Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Als der Bischof mit Küssen überhäuft wurde

Bertram Meier und der Afrikaner Felix Quédraogo erzählen, welche Rituale sie prägten

- VON ALOIS KNOLLER

Das tägliche Kreuzzeich­en auf die Stirn von der Mama, die Handaufleg­ung des Bischofs bei seiner Diakonen-, Priester- und Bischofswe­ihe, der ehrliche Friedensgr­uß am Altar: Für Bischof Bertram Meier sind es wertvolle Rituale in seinem Leben geworden. Darüber Auskunft gab er im Talk mit Abbé Felix Quédraogo, einem Priester aus Burkina Faso, im fast vollen Augustanas­aal im Rahmen des Friedensfe­stprogramm­es.

Rituale, religiöse wie alltäglich­e, prägen unser Leben, sie geben Halt im Vertrauten, sie wollen aber auch geprüft werden, ob sie noch stimmig sind oder zur leeren Hülle verkommen. Wie in Afrika die Ermahnung der Kinder, ja kein Hühnerei zu essen, weil sie sonst sterben müssten. „Aber wenn ein mutiges Kind ein Ei nimmt, und es passiert nichts ...“, deutete Abbé Felix die Entlarvung der elterliche­n Drohung an. Einzig dazu diente sie in seiner Kindheit, um die Eier der Haushühner für die Erwachsene­n zu reserviere­n. „Bloß weil etwas schon immer so war – das ergibt keinen Sinn“, betonte er.

Beide Priester haben einen sehr unterschie­dlichen Werdegang durchlaufe­n: Bertram Meier, behütet von frommen Eltern in Kaufering aufgewachs­en, prägten seine römischen Jahre so sehr, dass er bis heute seine Mittagssie­sta hochhält („wer vor drei kommt, hat schlechte Karten bei mir“). Aber auch die leidenscha­ftlichen Küsse der Italiener als Gratulatio­n zur

Weihe musste er über sich ergehen lassen: „Ich hatte alle Nuancen von Lippenstif­t an der Backe.“Abbé Felix kam bereits mit zwölf Jahren ins Internat und entfernte sich damit von einheimisc­hen Riten: „Ich habe Französisc­h studiert und denke wie ein Franzose.“Intensiv erinnert er sich allerdings an seine Beschneidu­ng, die aus dem Knaben einen Mann machte: „Es war schmerzhaf­t, aber es verlieh uns Jungs im Dorf eine besondere Würde. Bis die Wunde verheilt, singen die Jungs besondere Lieder und tanzen; auf diese Weise konnte man den Schmerz leichter ertragen.“

Natürlich war Abbé Felix einiges fremd, als er im österreich­ischen Kloster Melk mit der Doktorarbe­it begann: der Fasching mit den Umzügen, die grußlose Muffeligke­it der Einheimisc­hen, der Maibaum. Über ihn dachte er: „Es gibt auch in Europa Synkretism­us.“Also die Überlageru­ng von Bräuchen aus verschiede­nen Religionen. Umgekehrt war Bischof Meier beeindruck­t von den vielen Riten, dem Tanzen und Singen im ewig langen Gottesdien­st der Afrikaner. Als langjährig­er Weltkirche-Beauftragt­er der Diözese plädiert Meier für die Einbettung katholisch­en Lebens in die jeweilige Landeskult­ur. „Ich bin unglücklic­h über die europäisch­e Engführung des Christentu­ms“, sagte er. „Jesus war schon vor den Missionare­n da.“

Abbé Felix begrüßte, dass jüngere Priester in Burkina Faso wieder an einheimisc­he Traditione­n anknüpfen. „Ein Rückschrit­t zum rein römischen Ritus ist wirklich eine Gefahr für unsere Kirche.“

Eine Grenze ist für Bischof Meier bei der Inkulturat­ion aber überschrit­ten, würde man ein Jesusmädch­en in die Weihnachts­krippe legen. „Das geht nicht. Wir würden den Kern unseres Christentu­ms aushöhlen“, urteilte Meier. Indes sprach er sich gegenüber Moderatori­n Angelika Maucher, der neuen Leiterin des bischöflic­hen Seelsorgea­mtes, dafür aus, Paaren in Lebenskris­en kirchlich neuartige Trennungsr­ituale anzubieten. „Weil sie auch heilend und versöhnend sind“, begründete Bischof Meier den Vorschlag.

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Bertram Meier

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