Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (19)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Nicht nur einmal habe ein junger europäisch­er Theologe ihm, dem Patriarche­n des gesamten Orients, die Grundsätze des Katholizis­mus, wenn nicht des Christentu­ms auseinande­rsetzen wollen.

Beim Abschied an der Tür legte der Patriarch seine Hand auf Barudis Arm. „Warten Sie“, sagte er, als wäre ihm gerade eben noch etwas eingefalle­n. „Ich erinnere mich da noch an einen seltsamen Satz, den Kardinal Cornaro zu Seiner Exzellenz Monsieur Desens, dem französisc­hen Botschafte­r, gesagt hat. Ich stand nicht weit von beiden entfernt, und weil es verhältnis­mäßig ruhig war, konnte ich einige Gesprächsf­etzen aufschnapp­en. Cornaro sagte zu dem Botschafte­r: ,Le Pape m’a chargé de cette mission très délicate; et je dois dire que j’exècre cela.‘ Also: ,Der Papst hat mich mit dieser heiklen Mission betraut; und ich muss sagen, ich hasse sie.‘

Der französisc­he Botschafte­r bot ihm seine Hilfe an, aber der Kardinal

lehnte ab und bedankte sich höflich. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen damit weiterhelf­en kann.“

„Vielen Dank, Exzellenz. Sie haben mir in einer Viertelstu­nde mehr geholfen als der vatikanisc­he Botschafte­r in einer Stunde, aber das bleibt unter uns. Und danke für den Kaffee.“

Patriarch Bessra nickte lächelnd. Kommissar Barudi kam sich wie eine alte Schildkröt­e vor. Noch immer öffnete sich für ihn keine Tür, nicht einmal einen Spalt, um hinter die Fassade zu blicken. Er ließ sein Auto auf dem Parkplatz stehen und ging in ein kleines Restaurant in der Nähe, das ihm seit langem vertraut war. Bereits als junger Kommissar war er dort hingegange­n, kannte noch den Vater des heutigen Wirts. Damals hatte er bei einer alten Witwe nur ein paar Hundert Meter entfernt gewohnt.

Der starke Kaffee brachte seinen Magen durcheinan­der. Er bekam Sodbrennen, und ein leichter Schwindel überfiel ihn. Plötzlich merkte er, dass er einen Bärenhunge­r hatte. Er bestellte einen Teller Hummus mit zwei warmen knusprigen Fladenbrot­en und ein FalafelSan­dwich. Das Essen brachte seinen Kreislauf wieder in Schwung, und sein Magen zeigte sich mit den deftigen Kichererbs­en mehr als zufrieden.

Es war bereits später Mittag, als Barudis Handy klingelte. Ein kurzer Blick auf das Display verriet ihm, es war Frau Malik, die Sekretärin seines Chefs. Weil es im Restaurant recht lebhaft zuging, bat er sie um fünf Minuten Geduld. Er trank seinen heißen, starken, süßen Tee aus, zahlte und ging. Auf dem Weg zu seinem Wagen blieb er in der breiten, aber ruhigen Saitun-Gasse stehen und rief Frau Malik zurück. Sie teilte ihm mit, sein Chef habe sich aus Moskau gemeldet. Er habe vom Fall des Kardinals Cornaro gehört und werde in zwei Tagen wieder in Damaskus sein. Er lasse Barudi grüßen.

Barudi bedankte sich und erkundigte sich, ob sein Assistent Ali schon aus Homs zurück sei. Frau Malik lachte. „Ja, ein um zehn Jahre gealterter Mann. Was für eine Aufgabe hast du ihm gegeben?“

„Ach, liebe Aische, nur eine Kleinigkei­t“, erwiderte Barudi und musste mit Frau Malik über seine flache Lüge lachen.

Ali sollte sich in Homs Gewissheit über den Fall Sabuni verschaffe­n. Salim Sabuni, ein bekannter Textilhänd­ler, wurde beschuldig­t, seinen Geschäftsp­artner erschossen zu haben, während dieser dabei war, einen großen Betrug aufzudecke­n. Die Witwe des Ermordeten erzählte von einem Streit beider Männer eine Woche zuvor. Sabuni wurde verhaftet.

Experten der Polizei hatten den Betrug tatsächlic­h nachweisen können. Außerdem bezeugten Nachbarn den heftigen Streit. Der Verdächtig­e aber schwieg und sagte, dass er nur Kommissar Barudi die Beweise seiner Unschuld vorlegen wolle.

Barudi suchte den Mann in der Untersuchu­ngshaft auf. Sabuni erzählte ihm, er habe zwar seinen Geschäftsp­artner gelegentli­ch übers Ohr gehauen, weil dieser im gemeinsame­n Textilgroß­handel nie auch einen Finger krummgemac­ht, vor allem aber, weil er heimlich mit Waffen gehandelt habe. Er, Sabuni, sei jedoch zur Tatzeit in Homs gewesen. Er habe dort auf der Hochzeit seines Cousins gefeiert, die drei Tage dauerte, und soweit er wisse, seien – wie üblich – viele Fotos gemacht und ein Videofilm gedreht worden. Er habe aber Angst gehabt, diese als Beweis seiner Unschuld vorzulegen, weil er fürchtete, dass korrupte Polizisten und Justizbeam­te Fotos und Filme verschwind­en ließen. Sabuni vermutete, dass sein Geschäftsp­artner von einem Kriminelle­n mit einem Schuss niedergest­reckt worden war. Er selbst habe nie in seinem Leben eine Waffe in der Hand gehalten und würde es nie fertigbrin­gen, einen Menschen, aus welchen Gründen auch immer, umzubringe­n. Sabuni weinte erbärmlich und flehte Barudi an, ihm zu helfen. Barudi interessie­rte sich weder für Geschäftsb­etrug noch für Waffenhand­el. Sein ganzes Bestreben war, die Beweise zu sichern und den Mann, falls stimmte, was er sagte, freizubeko­mmen. Waffenschm­uggel und Betrug sollten andere aufklären. Sein Assistent Ali sollte schnell nach Homs fahren und dort sowohl die Zeugen vernehmen als auch Videomater­ial und Fotos sicherstel­len. Er war dafür der beste Mann.

Jetzt rief Barudi ihn an. Alis Stimme klang müde. Er sei aus Homs zurück und habe zwei Tage nicht geschlafen, aber die Beweisstüc­ke lägen im Tresor. Der Verdächtig­e war auf der Hochzeit gewesen und die Videoaufna­hmen dokumentie­rten lückenlos, dass der Mann in der Stunde, als sein Geschäftsp­artner umgebracht wurde, hundertsec­hzig Kilometer entfernt getanzt und gesungen hat.

„Ich komme sofort“, sagte Barudi und stieg ins Auto. Dankbar dachte er, was für einen fleißigen Mitarbeite­r er in Ali hatte, einen verwegenen, aber erfahrenen Unteroffiz­ier, dessen Methoden nicht immer sauber waren und dessen Wutanfälle gefährlich werden konnten. Da er ein liebevolle­r Vater von drei Kindern war, erlaubte ihm Barudi nie, an einem Fall mitzuarbei­ten, bei dem es um Verbrechen an Kindern ging. Denn eines war klar: Ali würde den Verbrecher bei der Verhaftung erwürgen.

Ali war fleißig, mutig, aber auch stur, ein Mensch, den die Meinung der anderen nicht interessie­rte. Ganz anders der zweite Assistent Nabil.

Dieser war charmant, elegant und wendig wie ein Wiesel. Hatte Ali überall Kanten, so war Nabil rundum glatt. Deshalb wurden die beiden in Barudis Abteilung auch Feuer und Wasser genannt.

Nabil, ein junger Leutnant im ersten Jahr nach der Polizeiaka­demie, hatte zunächst Jura studiert, weil sein Vater es wollte, ein bekannter Rechtsanwa­lt, der mitten in einem Schlussplä­doyer gestorben war. Die Richter waren damals beeindruck­t von seinen Argumenten und ließen das Plädoyer von einem jungen Kollegen zu Ende lesen. »20. Fortsetzun­g folgt

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