Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie viel Konsum brauchen wir?

Das Wirtschaft­ssystem zu durchblick­en ist gar nicht so einfach. Wir haben uns genauer angeschaut, wie Konsumklim­aindex, Inflations­rate, BIP und Co zusammenhä­ngen

- VON SANDRA LIERMANN

Kaufen wir zu viel oder zu wenig? Wie wichtig ist Konsum für die Konjunktur im Land? Und: Geht das auch alles nachhaltig? Der Auftakt zu unserer Themenwoch­e

Augsburg Der Konsum soll uns aus der Krise helfen, die Menschen wieder zum Kaufen animiert werden. Deutschlan­d senkt dafür die Mehrwertst­euer für den Rest des Jahres. In Großbritan­nien übernimmt die Regierung an bestimmten Tagen die Hälfte der Restaurant- oder PubRechnun­g. Und Japans Bürger erhalten eine Direktzahl­ung in Höhe von 100000 Yen (circa 800 Euro). Mit all diesen Maßnahmen wollen Regierunge­n rund um den Globus die Konjunktur stützen. Denn mit Beginn der Corona-Krise und sämtlicher Lockdown-Maßnahmen ist die Wirtschaft in einen Tiefschlaf gefallen, aus dem sie wieder aufgeweckt werden muss. Als Erklärung heißt es, „der Konsumklim­aindex ist eingebroch­en“, „die Inflations­rate ist gesunken“oder „das Bruttoinla­ndsprodukt ist geschrumpf­t“. Aber was heißt das eigentlich? Wir haben die wichtigste­n Begriffe unter die Lupe genommen.

Monat für Monat ermitteln die Experten der Nürnberger Gesellscha­ft für Konsumfors­chung (GfK) den Konsumklim­aindex. Er gibt an, wie positiv oder negativ die Verbrauche­r ihre finanziell­e Lage bewerten, ob sie bereit sind, in naher Zukunft größere Anschaffun­gen zu tätigen, wie sorglos sie ihr Geld ausgeben. Bricht der Index ein, sieht es schlecht aus für die deutsche Konjunktur.

Die GfK berechnet den Konsumklim­aindex aus mehreren Einzelfakt­oren, für die sie allmonatli­ch 2000 repräsenta­tiv ausgewählt­e Personen ab 14 Jahren befragt. Einer dieser Einzelfakt­oren – die Anschaffun­gsneigung – spiegelt die Lust der Deutschen, Geld für privaten Konsum auszugeben, am deutlichst­en wider. In den vergangene­n zehn Jahren ist diese Kurve immer weiter gestiegen. Im Februar 2020 war die Anschaffun­gsneigung der Deutschen mehr als dreimal so hoch wie noch im Februar 2010. Doch dann kam Corona – und die Kurve stürzte steil nach unten ab, unterschri­tt sogar zum ersten Mal seit langer Zeit die Nulllinie.

Doch was passiert genau, wenn wir alle plötzlich aufhören, Dinge zu kaufen? Nicht nur die Verbrauche­r würden Geld sparen. Als Reaktion auf den spontanen Rückgang der wirtschaft­lichen Aktivität und die drastisch vermindert­en Aussichten für den zukünftige­n Verkauf ihrer Produkte würden die Unternehme­n ebenfalls ihre Investitio­nen kürzen.

An diesem Punkt tritt ein Phänoein, das Wirtschaft­swissensch­aftler als Sparparado­xon bezeichnen: Einerseits wird uns von klein auf vermittelt, dass wir immer einen Notgrosche­n auf der hohen Kante haben sollten. Gleichzeit­ig heißt es, wir dürfen die Wirtschaft nicht kaputtspar­en. Wie geht das zusammen? Sparen mag für den Einzelnen sinnvoll sein. Wenn aber alle Akteure einer Volkswirts­chaft um die Wette sparen, dann fehlt es an Nachfrage und allen geht es schlechter. Der Ökonom John Maynard Keynes hat einen Vergleich herangezog­en: Wenn eine einzelne Person in einem voll besetzten Kino aufsteht, kann sie besser sehen. Machen das alle Besucher nach, sieht keiner besser, obwohl jetzt alle stehen müssen.

Wenn plötzlich alle Menschen mehr sparen – beispielsw­eise, weil sich die Konjunktur im Abschwung befindet und die Verbrauche­r erwarten, dass sich ihre finanziell­e Lage verschlech­tern wird –, droht eine Deflation. Dabei sinkt das allgemeine Preisnivea­u langfristi­g; das heißt, dass vieles billiger wird. Was für Verbrauche­r erst einmal hervorrage­nd klingt, kann für die Wirtschaft ernste Folgen haben und eine Abwärtsspi­rale in Gang setzen. Schieben Käufer ihre Investitio­nen immer weiter auf, beispielsw­eise weil sie davon ausgehen, dass der neue Kühlschran­k im nächsten Monat noch günstiger sein wird, nimmt die Menge der angebotene­n Waren immer weiter zu. Dadurch sinken die Preise noch weiter. Das wiederum hat zur Folge, dass Unternehme­n nicht mehr investiere­n, weil ihre Investitio­nen keinen Gewinn mehr verspreche­n. Stellen werden gestrichen, Firmeninso­lvenzen steigen, ebenso wie die Arbeitslos­igkeit. Banken müssen verstärkt Kredite abschreibe­n. Zur Verringeru­ng des Ausfallris­ikos werden kaum weitere Kredite vergeben.

Eine Deflation kommt deutlich seltener vor als eine Inflation – letztere ist hierzuland­e normal. Dass Inflation herrscht, können wir relativ einfach beim Blick in unsere Geldbeutel feststelle­n. Nämlich dann, wenn wir für Waren und Dienstleis­tungen mehr ausgeben müssen als zuvor. Menschen mit geringem Einkommen spüren eine Inflation besonders deutlich. Denn gerade die Preise für Lebensmitt­el, Strom, Heizöl oder Sprit – also Güter, die wir alle regelmäßig brauchen – steigen vergleichs­weise stark an. Auch Menschen, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, trifft die Inflation stärker. Denn Arbeitslos­engeld, Sozialhilf­e, Rente und Co werden nicht zeitnah im gleichen Maß erhöht, was die Geldentwer­tung abfedern würde. Auch Sparer verlieren einen Teil ihres Vermögens, wenn die Zinsen für die Geldanlage unterhalb der Inflations­rate liegen. Schuldnern hingegen kommt eine Inflation entgegen. Denn wenn das Preisnivea­u steigt, verlieren Schulden relativ an Wert.

Im Juli ist die Inflations­rate zum ersten Mal seit vier Jahren negativ geworden. Wie das Statistisc­he Bundesamt meldete, sanken die Verbrauche­rpreise gegenüber dem Vorjahresm­onat um 0,1 Prozent. Das bedeutet aber nicht, dass Deutschlan­d nun in eine Deflation rutscht. Grund für die sinkende Inflations­rate ist nach Ansicht des Bundesamte­s unter anderem die seit 1. Juli geltende Mehrwertst­euersenkun­g, die Händler und Dienstleis­ter zu einem beträchtli­chen Teil an Kunden weitermen gegeben haben. Ökonomen erwarten, dass die Inflations­rate im August wegen steigender Ölpreise wieder in den positiven Bereich zurückkehr­t.

Eine weitere Kennzahl – eine zentrale Größe der volkswirts­chaftliche­n Gesamtrech­nungen – ist das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP). Es misst die wirtschaft­lichen Leistungen einer Volkswirts­chaft in einem bestimmten Zeitraum. Was sperrig klingt, ist einfach erklärt: Es errechnet sich aus allen Waren und Dienstleis­tungen, die in einem Jahr innerhalb der Landesgren­zen erbracht wurden. Für Deutschlan­d ist das alles, was von deutschen und nichtdeuts­chen Personen, von Unternehme­n und vom Staat hergestell­t oder geleistet wird.

Seit Jahren steigt das Bruttoinla­ndsprodukt – mit einer kleinen Delle im Jahr der Finanzkris­e 2009. Die nächste Delle in der Wachstumsk­urve ist jedoch in Sicht: Für das Jahr 2020 rechnet die Bundesregi­erung aufgrund der Corona-Krise mit einem Rückgang des BIP um 6,3 Prozent. Doch auch den Aufholproz­ess sehen die Ökonomen bereits voraus: Für das Jahr 2021 erwarten sie einen Zuwachs in Höhe von 5,2 Prozent.

Leicht zu durchblick­en sind diese Zusammenhä­nge nicht. Merken können wir uns: Konsum ist wichtig, um die Wirtschaft eines Landes zu erhalten. Je mehr die Menschen einkaufen, desto mehr muss produziert werden, desto mehr Arbeitnehm­er werden beschäftig­t, desto mehr Steuereinn­ahmen hat der Staat, die er weitervert­eilen und zur Verfügung stellen kann. Um unseren Wohlstand und unsere soziale Sicherheit zu erhalten, davon sind viele Experten überzeugt, muss die Wirtschaft immer weiter wachsen.

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