Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was passierte tatsächlich am Kö?
Nach der tödlichen Attacke am Augsburger Königsplatz im Dezember hielten die Ermittler eine Pressekonferenz ab. Die Anklage schildert den Angriff nun anders
Augsburg Am 9. Dezember vergangenen Jahres hielten Polizei und Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz ab. Thema war ein Augsburger Kriminalfall, der so viel Aufmerksamkeit erregte wie vielleicht zuletzt der Mord an dem Polizisten Mathias Vieth. Es ging um einen tödlichen Schlag am Königsplatz, Opfer war ein 49-jähriger Passant gewesen, ein Mitglied der Augsburger Berufsfeuerwehr. Das Interesse an dieser Pressekonferenz war gewaltig, der Medienrummel groß, noch heute ist die Übertragung etwa auf der Internetseite des ZDF zu sehen. Es fielen an diesem Nachmittag eindeutige Sätze der Ermittler zum Tatablauf, die aus heutiger Sicht erstaunen. In der Anklageschrift der Augsburger Staatsanwaltschaft jedenfalls ist von ihnen nicht mehr viel übrig.
Der damalige Kripo-Chef Gerhard Zintl sagte etwa, das spätere Opfer habe sich am Königsplatz umgedreht, sei auf eine Gruppe zugegangen und „war plötzlich umringt von diesen sieben jungen Männern“. Doch erste Zweifel an dieser Darstellung kamen bereits einen Tag später auf, als das Video der Frontscheiben-Kamera eines Taxis bekannt wurde, einer sogenannten Dashcam.
Ein klassisches „Umringen“konnte man nur schwer erkennen, eher schon sah es nach einem kurzen Handgemenge zwischen dem 49-jährigen späteren Opfer und mehreren Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der Gruppe aus, ehe einer von ihnen den Mann mit einem Schlag niederstreckte. Es waren auch keine sieben jungen Männer zu erkennen, zwei junge Männer aus der Gruppe standen zu der Zeit einige Meter vom Tatort entfernt. Es blieben Fragen offen.
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft den mutmaßlichen Täter angeklagt, einen 17-jährigen Augsburger. Sie legt ihm unter anderem Körperverletzung mit Todesfolge zur Last. Von einem „Umringen“ist in der Anklageschrift keine Rede mehr. Der darin geschilderte Tatablauf liest sich stattdessen anders – nämlich tendenziell eher so, wie es die Jugendkammer des Landgerichtes annahm, als es kurz vor Weihnachten sechs der sieben Haftbefehle gegen die damals sieben Beschuldigten aufhob. Die Staatsanwaltschaft geht von einem unvermittelten Schlag aus. Gleichsam aus dem also ohne jede Vorgeschichte, kam es aber auch laut Anklage nicht zu der tödlichen Attacke.
Einer aus der Gruppe soll das spätere Opfer nach einer Zigarette gefragt haben. Es entwickelte sich ein Streit zwischen den Beteiligten, das spätere Opfer soll einen aus der Gruppe mit den Händen weggestoßen haben. Es folgte der tödliche Schlag von der Seite. Durch den Schlag war laut Obduktion eine Schlagader eingerissen.
Angeklagt sind neben den mutmaßlichen Haupttäter nur noch zwei weitere junge Männer aus der Gruppe, ein 20-Jähriger und ein 18-Jähriger.
Sie haben sich laut den Vorwürfen aber nur noch der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, weil sie, ebenso wie der 17-Jährige, einen Freund des Feuerwehrmannes geschlagen haben sollen. Aus Sicht der Ermittler hatte es zeitweise offenbar Gründe gegeben, von einer Gruppenstruktur der Verdächtigen auszugehen, was sich in den Ermittlungen dann aber so nicht bestätigte.
Die Anwälte der damaligen Verdächtigen sahen die Sachlage deutlich anders, die Stimmung im Ermittlungsverfahren war frostig. Wie berichtet, waren die sechs zwischenzeitlich freigelassenen Jugendlichen und jungen Männer nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes München wieder in Untersuchungshaft gekommen, ehe eine Verfassungsbeschwerde eines Anwaltes Erfolg hatte und daraufhin alle damaligen Verdächtigen mit Ausnahme des mutmaßlichen Haupttäters im März wieder frei kamen.
Zugelassen hat die Jugendkammer die Anklage noch nicht, es steht daher auch noch nicht sicher fest, wann der Prozess stattfinden wird. Es wäre allerdings mehr als nur eine faustdicke Überraschung, sollte die Anklage nicht zugelassen werden. Schließlich geht die jetzige Anklage von der Sichtweise des Gerichtes aus, als es die Haftbefehle zwischenzeitlich aufhob. Angepeilt ist offenbar ein Prozessbeginn im Herbst, das Verfahren soll dem Vernehmen nach mehrere Verhandlungstage lang dauern. Da sich das Verfahren auch gegen Heranwachsende, also 18- bis 20-JähriNichts, ge richtet, dürfte der Prozess grundsätzlich öffentlich sein, auch wenn der Hauptverdächtige erst 17 Jahre alt ist. Er sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft.
Angesichts der Menge der Prozessbeteiligten wird sich die Kammer wohl etwas überlegen müssen. Neben den drei Angeklagten, die jeweils von zwei Verteidigern vertreten werden, wollen auch mehrere Angehörige des Opfer als Nebenkläger am Prozess teilnehmen, offenbar jeweils auch mit eigenen Anwälten. Was zu normalen Zeiten kein großes Thema wäre, wird durch Corona zu einer kleinen Herausforderung: Allzu viele Sitzungssäle, in denen eine große Zahl von Prozessbeteiligten Platz haben und vor allem auch Abstand zueinander halten können, stehen der Augsburger Justiz nicht zur Verfügung.
Ein Saal, der sich anbieten würde, wäre der alte Schwurgerichtssaal im Gerichtsgebäude Am Alten Einlass, der vielen Beteiligten Platz bietet. Dort werden in der Regel Zivilklagen behandelt, keine Strafverfahren. Doch auch der Strafprozess um das mutmaßliche Buskartell soll beispielsweise dort ab Oktober stattfinden.
17-Jähriger sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft