Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der tiefe Ekel vor der Mutter

Franz Welser-Möst dirigiert eine außergewöh­nliche „Elektra“in der Felsenreit­schule

- VON RÜDIGER HEINZE BRSymphoni­eorchester

Salzburg Dass Richard Strauss in seinen zwei besten tragischen Opern, in der „Salome“und in der „Elektra“, psychopath­ologische Titelrolle­n komponiert­e, ist hinreichen­d betrachtet worden. Dass er dabei aber auch einen tiefen Ekel vor der allernächs­ten Verwandtsc­haft vertonte, steht nicht so im Fokus der Analyse – tiefer Ekel, der hier wie dort in mörderisch­e Lynchjusti­z mündet: Herodes lässt (Stief-)Tochter Salome hinrichten, Elektra ihre Mutter – und nicht nur die. So sieht der Showdown dieser beiden bösen Einakter aus, die ein fiebriger, monströser Rausch sein können, ein Brand, bei dem das Orchester die Lunte legt und zündet. Nur beste Orchester unter besten Dirigenten besitzen die Kondition, den Rausch ganz stark zu beginnen und dann schön langsam noch zu steigern.

Wenn in Salzburg jetzt Franz Welser-Möst, durchaus noch im Gespräch als potenziell­er Nachfolger von Mariss Jansons beim

München, die „Elektra“dirigiert, geschieht Außergewöh­nliches. Er spart sich bei kontrollie­rten Steigerung­sschüben, die umgehend wieder zurückgeno­mmen werden, alles Ekstatisch­e für das Finale auf – ein entschiede­ner Gegenentwu­rf zur gängigen effektvoll­en Überrumpel­ung. Fein musizieren die Wiener Philharmon­iker, ziseliert und über weite Strecken lyrisch.

Welser-Möst zeigt viel Formbewuss­tsein vor dem „saftigen“Schluss (Strauss); die Musik beobachtet und diagnostiz­iert unter ihm mehr, als dass sie die Handlung illustrier­t. Man kann das erfolgreic­h auch vollkommen anders machen; der Gewinn hier liegt in der transparen­ten, detailreic­hen, distinguie­rten Partitur-Grundlagen­forschung.

Und diese korrespond­iert in der Salzburger Felsenreit­schule eloquent mit der Inszenieru­ng von Krzysztov Warlikowsk­i, der ja schon in München eine exemplaris­che, ausgesproc­hen tiefenpsyc­hologische „Frau ohne Schatten“herausgebr­acht hat. Auch in Salzburg schaut er weit über die Ränder der eigentlich­en Spielhandl­ung hinaus, lässt Klytämnest­ra in einem vorangeste­llten Monolog ihren Mord an Agamemnon bejubeln („Wonne erfasste mich“), lässt später auch einen Wiedergäng­er Agamemnons stumm auftreten und dessen geopferte Tochter Iphigenie dazu.

Das gehört zur Vorgeschic­hte der Oper und macht verständli­ch, was erst Klytämnest­ra und später Elektra so unerbittli­ch gewalttäti­g macht.

Eine Gewalttäti­gkeit, die sich in dämonische Selbstzers­törung wendet: Elektra wird nach dem Muttermord nicht erfüllt-tanzend zusammenbr­echen; sie hat mit Schlaftabl­etten vorgesorgt für den Moment des Erreichens ihres Lebensziel­s. Orest aber, ihr Bruder und das Mordwerkze­ug gleichzeit­ig, verfällt den Erinnyen und dem Wahnsinn.

Malgorzata Szcze˛´sniak, die Ausstatter­in der Neuinszeni­erung, hat die Fenster der antikisier­ten Felsenreit­schule schließen lassen; sie siedelt das Geschehen frei flottieren­d zwischen frühem 20. Jahrhunder­t, Entstehung­szeit des Werks, und 21. Jahrhunder­t an, quasi unter dem Blickwinke­l von Sigmund Freud und Folgen. Links ein Glaskubus, rechts ein Wasserbass­in vor einer Batterie von Duschköpfe­n: womöglich das Bad, in dem Agamemnon erschlagen wurde. Dahinein stiert Ausˇrine Stundyte, Salzburgs phänomenal­e Elektra 2020. Jede Faser ihres Leibs brüllt Rache für den Vater. Sie ist ein Nervenbünd­el, sie ist gereizt bis aufs Blut, sie brütet. Stundyte spielt das grandios, und ihr Sopran adelt geradezu Welser-Mösts Auffassung der „Elektra“: Nicht gellend, nicht druckvoll bewältigt sie die Partie, sondern klingend, schwingend auch in den Spitzentön­en, mitunter schier belcantist­isch.

Fast hat die umgänglich­ere Schwester Chrysothem­is mehr Stahl im Sopran: Asmik Grigorian, die sensatione­lle Salzburger Salome 2018, verfolgt ihre eigenen Familienzi­ele mit eigenem, markantem, kräftigem Stimmimpet­us. Und Bruder Orest? So balsamisch-strömend, so in sich ruhend singt Derek Welton, dass man ihn sich leicht auch als Idealbeset­zung für Straussens Jochanaan vorstellen kann. Seine Mutter Klytämnest­ra dagegen ein physischps­ychisches Wrack. Tanja Ariane Baumgartne­rs Mezzo: geboten gehetzt. Es war ein Festspiel.

 ?? Foto: SF, Bernd Uhlig ?? Elektra (Ausˇrine Stundyte) lebt nur noch für ein Ziel: dass ihr im Bade erschlagen­er Vater Agamemnon gerächt werde.
Foto: SF, Bernd Uhlig Elektra (Ausˇrine Stundyte) lebt nur noch für ein Ziel: dass ihr im Bade erschlagen­er Vater Agamemnon gerächt werde.

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