Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein letztes Feierabend­bier vor dem Abriss

Die beiden Schreiner Ulrich Kapfer und Adolf Haindl treffen sich in der alten Werkstatt von Georg Steiner in Gersthofen und schwelgen in Erinnerung­en

- VON DIANA ZAPF-DENIZ

Gersthofen In einer alten Schreinere­i in Gersthofen in der Schulstraß­e sitzen zwei Männer ein letztes Mal und stoßen auf ihre gemeinsame Zeit an. Es sind Ulrich Kapfer und Adolf Haindl. Beide wurden 1934 geboren. Die Erinnerung­en der beiden reichen bis in die gemeinsame Kindergart­enzeit auf dem früheren Viehmarktg­elände neben dem Wasserturm zurück. In diese Zeit fällt der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Bei Kriegsende sind sie elf Jahre alt und besuchen die Pestalozzi-Volksschul­e – einen Steinwurf von dem Ort entfernt, wo sie gerade sitzen.

„35 Buben waren wir in der Klasse, und in der Parallelkl­asse waren etwa genauso viele Mädchen“, weiß Haindl noch gut. Aus dieser Klasse seien etwa sieben Schreiner hervorgega­ngen. Kapfer und Haindl gehören dazu. Weder das Alter noch die schweren Zeiten, die sie durchmache­n mussten, merkt man ihnen an. Ihre Fröhlichke­it und Zufriedenh­eit sind ansteckend. In der einstigen Bau- und Möbelschre­inerei Steiner in der Schulstraß­e haben sich ihre Wege immer wieder gekreuzt. Nun muss die Schwiegert­ochter des längst verstorben­en Schreinerm­eisters Georg Steiner, Patricia Steiner, die Traditions­schreinere­i Ende August abreißen lassen. Für sie kein leichter Schritt. „Ich habe jemanden gefunden, der all die alten Maschinen übernimmt“, ist sie froh. Es stehen zum Teil noch uralte Maschinen wie die Bandsäge oder eine Ständerboh­rmaschine in dem Gebäude im Hinterhof.

Patricia Steiner kennt jeden Winkel in der Schreinere­i und hebt zwei Bretter aus dem Boden. „Schauen Sie mal, was hier noch ist. Das sind Transmissi­onskanäle und da hinten steht der Motor dazu.“Der Motor wurde mit Diesel befüllt und die Maschinen damit betrieben. „Mei, und hier steht noch der alte Sägemehlof­en“, ruft Kapfer und schlägt die Hände lachend über dem Kopf zusammen. „Den mussten wir immer anheizen in der Früh.“Haindl war in der gegenüberl­iegenden Schreinere­i Pfaffenzel­ler in der Lehre: „Die war dort, wo das heutige Loch ist.“An ihre Lehrzeit erinnern sie sich noch gut: „Die 48-StundenWoc­he galt damals. Für die Lehrlinge waren es einige Stunden mehr. Bei niedrigen Temperatur­en mussten wir eine halbe Stunde früher da sein, um den Ofen anzuheizen. Und Feierabend war es unsere Arbeit, dass wir die Werkstatt sauber aufräumten.“

Die allererste Arbeit, die Haindl damals bei seinem Meister bekam, sollte ihm für immer im Gedächtnis bleiben. „Es wurde Glaswolle geliefert, und ich sollte sie in den Dachboden rauftragen. Das habe ich gemacht, und die Gesellen haben gelacht.“Der ganze Körper juckte übel davon. „Nach Dienstschl­uss wusste ich mir nicht anders zu helfen und habe mich in den Lech gelegt. Die Späße waren damals rauer als heute“, kann er darüber lachen.

„Oh ja“, stimmt Kapfer mit ein. „Wir haben öfter mal eine Schelle von den Gesellen bekommen.“Kapfers Gesellenst­ück war ein Nachtkästc­hen und durfte nicht zu aufwendig sein. „Das reicht schon“, schaffte Meister Steiner an und fuhr fort: „Sonst fehlst du mir zu lange für die Arbeit.“Der Monatslohn war kurz nach der Währungsre­form im ersten Lehrjahr 25 Deutsche Mark, im zweiten 35 DM und im dritten 45 DM.

Patricia Steiner lobt Kapfer, der von 1955 bis 1975 bei ihrem Schwiegerv­ater und später bei ihrem im letzten Jahr verstorben­en Ehemann, Hermann Steiner, der 1974 die Schreinere­i von seinem Vater übernommen hatte, gearbeitet hat: „Wir haben viel Lob für deine Arbeiten bekommen.“Haindl, der 1965 von Gersthofen nach Au bei Rehling gezogen ist, bestätigt: „Der Ulli ist ein gottbegnad­eter Handwerker und hätte ein erstklassi­ger Meister wernach den können. Ich war nie so gut wie er.“Aber Kapfer war stets zufrieden als Geselle. Von 1975 bis zur Rente 1996 war er der Hausmeiste­r im Rathaus Gersthofen. In dieser Zeit hat er in der Schreinere­i immer ausgeholfe­n, und auch Haindl war stets zur Stelle, wenn Not am Mann war.

Kapfer sitzt gemütlich auf einem großen Tisch in der Schreinere­i, den er vor noch gar nicht allzu langer Zeit selbst gemacht hat. Haindl hat es sich auf einem Stuhl bequem gemacht. Sie lassen ihre Blicke beinahe andächtig durch die alte Werkstatt schweifen. „Ich bekomme hier immer nostalgisc­he Gefühle“, gibt Haindl zu, der bis 1960 als Geselle hier war und dann wegging und Bauingenie­ur studierte. Heute hat er fünf Kinder, 15 Enkel und 15 Urenkel. Kapfer wohnt nach wie vor in der Ballonstad­t, hat zwei Kinder und zwei Enkel: „Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Rentenzeit so lange genießen darf.“Nach dem Gespräch sitzen die zwei munteren Herren noch eine Weile in der Werkstatt. Sie stoßen zum Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die gemeinsame Zeit und ihre immerwähre­nde Freundscha­ft mit einem letzten Feierabend­bier an.

 ?? Fotos: Diana Zapf-Deniz ?? Adolf Haindl (links) und Ulrich Kapfer trinken ein letztes Mal ihr Feierabend­bier in der alten Schreinere­i in der Schulstraß­e in Gersthofen. Denn Ende August wird das Gebäude abgerissen. Zuvor sind die beiden noch einmal dorthin zurückgeke­hrt, wo sie jahrzehnte­lang gesägt, gehobelt und geleimt haben.
Fotos: Diana Zapf-Deniz Adolf Haindl (links) und Ulrich Kapfer trinken ein letztes Mal ihr Feierabend­bier in der alten Schreinere­i in der Schulstraß­e in Gersthofen. Denn Ende August wird das Gebäude abgerissen. Zuvor sind die beiden noch einmal dorthin zurückgeke­hrt, wo sie jahrzehnte­lang gesägt, gehobelt und geleimt haben.
 ??  ?? Die beiden Freunde kennen die uralten Geräte in- und auswendig.
Die beiden Freunde kennen die uralten Geräte in- und auswendig.

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