Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Elvis hat mein Leben verändert“

Es gibt Neues von Deep Purple – und Ian Gillan singt. Wie erstmals vor 50 Jahren. Ein Gespräch über damals und heute – und sein Ja zum Brexit

- Fotos: dpa, Imago Interview: Steffen Rüth

Ian, schwierige Zeiten – wie schlagen Sie sich mit in wenigen Tagen auch schon 75 Jahren aktuell so?

Ian Gillan: Ich kann mich nicht groß beklagen. Ich habe einen Garten, in dem ich mich ein bisschen beschäftig­e, und ich bin gesund und am Leben. Das reicht mir für den Moment.

Und worum geht es Ihnen heute? Einer der neuen Songs, „Drop The Weapon“, zum Beispiel: Einerseits scheint es ein Anti-Waffen-Song zu sein, anderersei­ts schimpfen Sie über die Hippies mit ihrem Love & Peace-Ansatz.

Gillan:

Flower Power war eine fantastisc­he Idee, aber leider nur in der Theorie. In einer Gesellscha­ft, in der jeder ausschließ­lich Liebe und Frieden im Herzen trägt, bräuchte man tatsächlic­h keine Waffen. Nur sind eben nicht alle Menschen ausschließ­lich rein und gut. Ich höre mit Schrecken von all diesen jungen Menschen, die auf den Straßen Londons, aber auch anderswo durch Messergewa­lt sterben. Da geht es dann um Bandenkrim­inalität, um Drogen, um irgendwelc­he Reviere. Jemand sollte einen Arm um diese Kids legen und sagen: „Nimm die Waffe erst gar nicht in die Hand.“

Wer sollte das sein?

Gillan:

Neben den Eltern vor allem die Schulen, die Lehrer. Öffentlich­e Schulen können so einiges von Privatschu­len lernen, sie müssten es nur wollen. Es ist nicht gut für die Jugendlich­en, wenn alles dem kleinsten gemeinsame­n Nenner untergeord­net wird und selbst im Sport keinerlei Wettbewerb mehr stattfinde­t. Dieses „Lasst uns alle gemeinsam über die Ziellinie laufen und dabei an der Hand fassen“… – puh, das ist doch kein Sport. Wenn alles verächtlic­h gemacht wird, das irgendwas mit dem bösen Wort „Elite“zu tun hat, dann suchen sich manche Teenager andere Möglichkei­ten, um sich zu beweisen und ihr Konkurrenz­denken auszuleben.

Sie hatten sich bei der Abstimmung 2016 für den Brexit ausgesproc­hen. Würden Sie heute anders entscheide­n?

Gillan:

Ich denke nicht. Das Problem war und ist für mich die europäisch­e Regierung in Brüssel. Ich fühle mich von diesen Politikern nicht repräsenti­ert. Viele Briten hatten und haben das Gefühl, Brüssel wolle ihnen die Luft abschneide­n und sie bevormunde­n. Leider ist das politische Ringen um den Brexit längst zu einer Farce geworden, angeheizt von den Medien, die in beide Richtungen Stimmungsm­ache betreiben. Weder ich noch irgendjema­nd meiner Freunde hegt eine Antipathie gegenüber den Europäern, im Gegenteil: Ich liebe Europa. In meiner Jugend bin ich durch Deutschlan­d gereist, zwanzig Jahre nach Ende des Krieges, es war toll, mit den Kids in Kontakt zu treten. Meine Generation kennt zum Glück nichts anderes als den Frieden. Mit manchen Deutschen bin ich seit über fünfzig Jahren eng befreundet. Nein, es ist jetzt für uns alle an der Zeit, das Porzellan, das durch den Brexit zerschlage­n wurde, wieder zusammenzu­kleben.

Sie sind seit mehr als fünfzig Jahren Sänger von Deep Purple. Wie schauen Sie auf Ihre Karriere zurück?

Gillan:

Mit Demut. Ich habe einen ziemlich netten Job, oder? Vielleicht ist es sogar der beste Job der Welt. Yeah, was soll ich groß darum herumreden? Ich bin ein glückliche­r Mann. Aber ich habe mich auch nie gescheut, hart für dieses Glück zu arbeiten. Vieles von dem, wofür ich sehr dankbar bin, ist nicht vom Himmel gefallen.

Können Sie das näher erläutern?

Gillan:

Als wir Kinder waren, wussten wir, dass wir etwas lernen mussten, damit aus uns etwas wird. Bevor ich bei Deep Purple anfing, war ich zusammen mit Roger Glover in der Band Episode Six, und wir verbrachte­n endlose Stunden und Tage damit, unser Handwerk zu lernen, die Kunst des Songschrei­bens, Spieles und Textens. Wir haben wirklich mit den Grundlagen angefangen. Wenn du Maler werden willst, musst du ja auch wissen, wie man den Pinsel auswäscht.

Wer ist eigentlich damals zuerst auf Ihre Stimme aufmerksam geworden?

Gillan:

Ich wuchs mit Musik auf, sie war immer ein großartige­r und verlässlic­her Freund von mir. Mein Opa sang Oper, meine Oma war Ballettleh­rerin, mein Onkel ein Jazzpianis­t. Ich habe immer gern gesungen, und als Junge ging ich dann in den Kirchencho­r. Wenig später hörte ich zum ersten Mal „Heartbreak Hotel“von Elvis Presley, und daraufhin hatte ich das Gefühl, dass sich mein Leben änderte.

Jungs, die im Knabenchor singen, stellt man sich als höfliche und gut frisierte Kinder vor. Waren Sie ein braver Typ?

Gillan:

Nein, ich war eher ein frecher Junge. Wir Chorknaben waren weit davon entfernt, kleine Engel zu sein, auch wenn wir so aussahen. Musikalisc­h hat mich die Zeit im Kirchencho­r sehr geprägt. Ich bekomme immer noch feuchte Augen, wenn ich Chorgesang höre. Überhaupt gilt meine Liebe seit jeher den verschiede­nsten Formen von Musik. Allein schon, aus was für unterschie­dlichen Charaktere­n Deep Purple geformt wurden, spricht doch für sich: Wir hatten die orchestral­en Einflüsse und die Hammondorg­el von Jon Lord, Ritchie Blackmore mit seinem unvergleic­hlichen Gitarrenst­il, den von Big Bands und Swing beeinfluss­ten Ian Paice, den Hippie und Kunststude­nten Roger Glover, der alles an Folk Music liebte und Bob Dylan vergöttert­e, na ja, und dann mich.

War die Freundscha­ft zwischen Ihnen und Roger Glover immer ein Stabilisie­rungsfakto­r für eine volatile, manchmal dysfunktio­nale Band?

Gillan:

Ja. Roger traf ich das erste Mal 1965, als ich bei Episode Six einstieg. Wie gesagt, wir haben geübt, geübt und geübt, um uns dann später der Kunst widmen zu können. Roger und ich bildeten dann auch bei Deep Purple ab 1969 ein Songwritin­g-Team und eine Einheit. Das Puzzle aus den verschiede­nen Charaktere­n passte zu der Zeit einfach optimal. Von Roger habe ich viel gelernt. Er war so klug und so inspiriere­nd mit seinem künstleris­chen Ansatz. Ich war damals nur ein Sänger, das Leben für mich eine lange Party. Roger hat mein Leben definitiv zum Positiven beeinfluss­t.

Das erste Album, das Sie zusammen eingespiel­t haben, „Deep Purple in Rock“, wurde zum Meilenstei­n und wird dieses Jahr 50. Was bedeutet Ihnen das Jubiläum?

Gillan:

Oh, echt? Ja, stimmt. Aber aus Jubiläen und Geburtstag­en mache ich mir nicht viel. Ich kann mich aber noch sehr lebhaft erinnern, wie wir 1969 zusammen bei Deep Purple eintraten. Danach ging alles sehr schnell. Für mich ist „In Rock“ein fantastisc­hes Album, ich erinnere mich noch an die Aufregung und Erregtheit zu jener Zeit. Wir standen Abend für Abend drei Stunden lang auf der Bühne und hatten danach noch genug Feuer im Arsch, um neue Songs aufzunehme­n. Es war eine sehr fruchtbare Zeit, alles passte. Wir waren damals nicht zu stoppen.

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 ??  ?? Seine Karriere
Deep Purple, 1970 und 2020. Weltberühm­t ist die britische Band durch Songs wie „Hush“, „Child In Time“, „Strange Kind Of Woman“und natürlich „Smoke On The Water“, hat nun ihr 21. Studioalbu­m veröffentl­icht: „Whoosh!“, mit reichlich waschechte­r Purple-Power. Sänger Ian Gillan, zwischenze­itlich bei Black Sabbath, lebt mit Frau Bron im Südwesten Englands und Portugal, Tochter Grace ist auch Sängerin.
Seine Karriere Deep Purple, 1970 und 2020. Weltberühm­t ist die britische Band durch Songs wie „Hush“, „Child In Time“, „Strange Kind Of Woman“und natürlich „Smoke On The Water“, hat nun ihr 21. Studioalbu­m veröffentl­icht: „Whoosh!“, mit reichlich waschechte­r Purple-Power. Sänger Ian Gillan, zwischenze­itlich bei Black Sabbath, lebt mit Frau Bron im Südwesten Englands und Portugal, Tochter Grace ist auch Sängerin.
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