Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein tierisches Vergnügen

Die sommerlich­e Lesereihe ist in die Zoogaststä­tte umgezogen. Fast stiehlt der Pfau dem Plauderer Dirk Heißerer die Schau. Dabei hilft er mit Karl Valentin zur Krisenbewä­ltigung

- VON ALOIS KNOLLER

Nun also im Tiergarten. „Ein Ort, an den wir uns erst gewöhnen müssen“, sagt Kurt Idrizovic, der Veranstalt­er der beliebten sommerlich­en Lesungen in lauschiger Biergarten­atmosphäre. Coronabedi­ngt ist die Veranstalt­ungsreihe in die Zoogaststä­tte umgezogen – und dort kann es schon vorkommen, dass der Pfau dazwischen­schreit oder ein Geschwader Gänse schnattern­d darüber hinweg fliegt.

Doch eigentlich passt der tierische V-Effekt ganz gut zu den absurden Wortspiele­n und Szenen eines Karl Valentin. Er ist an dem Abend der Stichwortg­eber für den Münchner Literatur-Flaneur Dirk Heißerer – und der rechte Helfer in der Krise.

Längst vor Abstandsre­gel, Ausgehverb­ot und Mundschutz hat der Münchner Komiker und Wortverdre­her darüber sinniert, was normal und was außergewöh­nlich sei. „Gar net krank is a net g’sund“, wusste er. 1936 spürte Valentin dem Gefühl eines Zuspätgeko­mmenen nach. Ein einziger Tag nur, aber jetzt sitzt er im Berliner Olympiasta­dion, die Spiele sind gelaufen und „um mich herum das große Schweigen, ringsumher war es still und lautlos“. Da gibt’s nur eins: „Flugs verließen wir die Stätte des Gewesensei­ns.“

Über Hygienereg­eln können Valentins Neuigkeite­n vom Starnberge­r See (1938) aufklären. Dem um sich schlagende­n Ertrinkend­en kann der Postbote am Ufer zwar nicht helfen, aber immerhin die Adresse eines hervorrage­nden Schwimmleh­rers zurufen. Wobei sich sonst Tausende in die Fluten des Sees stürzen „und konnten sich selbst befreien“. Den Kopf zerbricht sich der schwer atmende Asthmatike­r, ob er einen Ausflug nach Augsburg wagen sollte. Da hat es auch ein Klima, aber vielleicht ein anderes als in München. Valentin will’s mal probieren. „Tut es mir gut, bleib ich in Augsburg wenigstens 14 Tage lang.“

Bei Dirk Heißerer werden es im Tiergarten vergnüglic­he zwei Stunden anstelle von zwei Wochen. Und das Klima hellt sich immer mehr auf, trotz einfallend­er Dämmerung. Das liegt auch an den eigenwilli­g arrangiert­en Jazzstanda­rds, die Tom Jahn am Piano und Rene Haderer am Bass und aus dem Bombardon heraushole­n. Mal sind es gläserne, verträumte Töne im milden Abendlicht, mal Marlene Dietrichs „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestell­t“mit tiefer Basslinie und lockerer Klaviergar­nierung, mal ein schmissige­s „Bei mir bistu schejn“.

Ein gutes Stichwort für Heißerers sanften Spott auf den übereifrig­en Rechtsanwa­lt der Familie Valentin, der mit Argusaugen darüber wacht, die Texte rein zu halten. Allerdings verhaut sich der Jurist manchmal. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“mag von Valentin inspiriert sein, aber es kommt aus einem Film, gesprochen vom Buffopaar Esmeralda und Wenzel in verteilten Sätzen. Wem gehört Valentin? Ungenehmig­t das Zitat „Mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut“, laut Landgerich­t München ein urheberrec­htlich geschützte­s Sprachwerk, zu verwenalle­in den, kann bis zu 250000 Euro teuer werden. Da hätte Karl Valentin lieber die Augen aufgemacht, als er auf dem Oktoberfes­t 1931 im Hippodrom sich an den Maderln auf Gäulen unanständi­g ergötzen wollte.

Einen „Protestabe­nd“nennt Dirk Heißerer seine Lesung. Protest gegen was? Etwa die Zumutungen unlogische­r Sprachbild­ungen: Dass das Nilpferd im Nil badet, aber der Ele nicht am Fant hängt. Oder über die Tücken der Vergesslic­hkeit: „Man soll sich alles aufschreib­en. Aber ich habe den Bleistift und das Papierverg­essen.“Oder über das Lampenfieb­er des Schauspiel­ers, der deswegen grundsätzl­ich keine Rolle lernt. Aber sein absichtlic­h stümperhaf­tes Spiel wird auch noch vom Theaterkri­tiker gelobt! Seine bekannt anarchisch­en Szenen, bei denen auf der Bühne nichts mehr heil bleibt, fanden sogar Eingang in die Literatur. „Alle einfachste­n Dinge gerieten sogleich ins Problemati­sche“, schrieb Lion Feuchtwang­er in „Erfolg“.

OTermin Am 15. August liest Bernhard Butz Texte des bayerische­n Schriftste­llers Georg Queri. Beginn 19.30 Uhr. »

Mögen würde man bei diesem Autor gerne, aber …

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Wer hat sich da den Bass geschnappt? Genau, Dirk Heißerer, der bei der Veranstalt­ung in der Zoogaststä­tte eigentlich für die Texte von Karl Valentin zuständig war. Während Tom Jahn (links) und Rene Haderer (rechts) für die Musik sorgten.
Foto: Michael Hochgemuth Wer hat sich da den Bass geschnappt? Genau, Dirk Heißerer, der bei der Veranstalt­ung in der Zoogaststä­tte eigentlich für die Texte von Karl Valentin zuständig war. Während Tom Jahn (links) und Rene Haderer (rechts) für die Musik sorgten.

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