Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Rassismus ist kein Problem einzelner Betroffener
Ruth Zelinsky hat die Petition zur Umbenennung des Hotels Drei Mohren mit angestoßen. Sie ist froh, dass nun Taten folgen. Was die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit betrifft, sieht sie noch Handlungsbedarf
Die Jugendgruppe von Amnesty International hat vor zwei Jahren Häme geerntet für ihren Vorschlag, das Hotel Drei Mohren in „Drei Möhren“umzubenennen. Ist es für Sie eine Genugtuung, dass die Hotelleitung nun einen neuen Namen gewählt hat?
Ruth Zelinsky: Wir sind etwas irritiert, dass ständig gesagt wird, wir hätten das Hotel „Drei Möhren“nennen wollen. Wir hatten von Anfang an kommuniziert, dass das ein ironischer Aufhänger für unsere Aktion ist und es hat tatsächlich geholfen, die Aktion so publik zu machen. Trotzdem freuen wird uns natürlich, dass es letztendlich gemeinsam mit dem Druck der internationalen Gäste und der Black Lives Matter-Bewegung zu dieser Änderung kam.
Der Name verschwindet, die Büsten an der Fassade bleiben. Stört Sie das? Zelinsky: Die Büsten an der Fassade zeigen individuelle Gesichter und stilisieren und entmenschlichen Schwarze Menschen nicht. Sie sind somit unproblematisch. Das größere Problem ist das Logo, das eigentlich schon vor zwei Jahren geändert wurde, sich aber im Innenbereich des Hotels noch an vielen Stellen findet und drei stilisierte Köpfe Schwarzer Menschen zeigt.
Wäre es möglich gewesen, den Namen beizubehalten, sich aber in Diskussionsrunden mit der Herkunft des Namens sowie mit dem Thema Rassismus auseinanderzusetzen?
Zelinsky: Sich ehrlich und intensiv mit dem Thema auseinander zu setzen, ohne den Namen zu ändern, ist nicht möglich. Natürlich sind Diskussionsrunden und Informationen zur Herkunft des Namens wichtig. Der Name an sich aber ist untragbar – und noch mehr für ein Hotel, das Augsburg repräsentiert. Auch das Argument, Geschichte würde „gelöscht“ist kein schlagendes. Eine Geschichte, die nur eine Seite erzählt und bis heute Teile der Gesellschaft verletzt, dürfen wir nicht weitertragen. Geschichte wird hier vielmehr ergänzt. Die Perspektive muss gewechselt werden, hin zur Problematik und dem kolonialen und rassistischen Erbe.
Gibt es in Augsburg andere kritische Bezeichnungen, die Ihrer Ansicht nach hinterfragt werden sollten?
Zelinsky: Wer sich mehr zur kolonialen Vergangenheit Augsburgs informieren möchte, sollte eine Stadtführung zu kolonialen Spuren in Augsburg von „Augsburg Postkolonial“mitmachen. Die Fugger waren eine der wichtigsten Familien im deutschen Sklavenhandel, was Tupoka Ogette in ihrem Buch „Exit Racism“auch aufgreift. Von ihnen stehen noch viele Statuen in Augsburg. Das Mindeste wäre, sie mit ergänzenden Texten historisch einzuordnen. Die Diskussion um die App im Fugger- und Welser Erlebnismuseum ist ja glücklicherweise schon in vollem Gang. Außerdem darf man das „afrikanische Dorf“des Augsburger Zoos 2005 nicht vergessen, das stark an die Menschenzoos des 18. und 19. Jahrhunderts erinnerte. Dass der Besitzer der schwarzen Kiste, die sich sonst so modern gibt, während der Diskussion um das Hotel den Biergarten Mohrenkönig übernahm und sich gegen eine Umbenennung entschied, ist auch unbegreiflich.
Auch Straßennamen stehen oft im Fokus. Fallen Ihnen problematische ein? Zelinsky: Ein Viertel hier ist, wie viele weitere Viertel und Straßen in Deutschland, nach Otto von Bismarck benannt, dem Organisator der Afrika-Konferenz, die den „Wettlauf um Afrika“und damit die Kolonisierung des Kontinents eingeleitet hat, die bis heute schwerwiegende negative Folgen hat und deutschlandweit kaum aufgearbeitet wird. Wie man sieht, haben wir in Augsburg gerade erst angefangen, unsere Vergangenheit und Gegenwart aufzuarbeiten, aber es wird sich lohnen.
Rassismus in der Sprache sind das eine, Alltagsrassismus hat auch andere Ausprägungen. Was muss sich ändern? Zelinsky: Einerseits müssen Antidiskriminierungsund Sensibilisierungsmaßnahmen in allen Institutionen normal werden. Nicht nur gegen Rassismus, sondern alle Diskriminierungsformen und ihre Überkreuzungen. Das Thema anzusprechen, muss auch normal werden. Wir werden uns in Zukunft darauf einstellen müssen, auf unsere Fehler hingewiesen zu werden und das hoffentlich als Chance sehen, ein angenehmeres Umfeld für alle zu schaffen.
Viele Reaktionen auf die Umbenennung aus der Augsburger Bevölkerung hatten den Tenor, man würde damit auf die Wünsche von Minderheiten reagieren...
Zelinsky: Was wir schaffen müssen, ist Rassismus nicht mehr als Problem der betroffenen Individuen zu sehen. Rassismus ist in unseren Systemen verankert und muss bekämpft werden. Das heißt, wir müssen auch verstehen, dass wir nicht frei von der Vergangenheit sind, dass die Ausbeutung des Südens aus dem Kolonialismus entspringt und dass die Institutionen, die wir aufgebaut haben, rassistisch gebaut wurden. Um das zu bekämpfen, brauchen wir Umstrukturierung und gesetzliche Grundlagen.
Wie groß ist das Problem des Alltagsrassismus aus Ihrer Sicht in Augsburg? Zelinsky: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Bereitschaft, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen, gering ist. Der Widerstand, den wir erfahren haben, zeugt von einem Gefühl der Angegriffenheit. Das kommt, wenn Menschen sich auf die Zehen getreten fühlen. Und auch jetzt, da die Änderung durch ist, lesen wir Leserbriefe, in denen das als lächerlich oder sogar schlecht bewertet wird. Was den Umgang mit Diskriminierung angeht, haben Augsburg und Deutschland noch viel zu tun. Interview: Nicole Prestle
OZur Person Ruth Zelinsky, 21, war Mitglied der Jugendgruppe von Amnesty International, die die Petition zur Umbenennung anstieß. Die Gruppe hat sich inzwischen aus organisatorischen Gründen aufgelöst.