Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Team Biden greift an

Gut 80 Tage sind es noch bis zur Präsidents­chaftswahl. Mit Kamala Harris ist mächtig Feuer in die Kampagne der Demokraten gekommen. Doch Trump schießt zurück

- VON KARL DOEMENS

Washington Kein Handschlag. Keine Umarmung. Kein Bad in der Menge. Und kein Applaus des Publikums. Der erste gemeinsame Auftritt des designiert­en Spitzenduo­s der US-Demokraten für das Weiße Haus in einer leeren Turnhalle vermittelt­e am Mittwoch ein Gefühl dafür, wie ungewöhnli­ch der Präsidents­chaftswahl­kampf in CoronaZeit­en sein wird. Und er machte deutlich, wie Joe Biden und Kamala Harris ihre Rollen verteilen wollen.

Der 77-jährige Präsidents­chaftskand­idat trat als ruhiger und erfahrener Staatsmann auf. Seine mehr als zwei Jahrzehnte jüngere designiert­e Stellvertr­eterin präsentier­te sich als dessen Unterstütz­erin, als Anklägerin von Präsident Donald Trump, Interessen­svertreter­in der Migranten und charismati­sche Botschafte­rin des Wandels zum Besseren. „Wir brauchen mehr als einen Sieg am 3. November“, sagte Harris: „Wir brauchen ein Mandat, das belegt, dass die vergangene­n paar Jahre nicht repräsenti­eren, wer wir sind und wer wir sein wollen.“

Normalerwe­ise ist die Präsentati­on des „running mate“, des designiert­en Stellvertr­eters oder der designiert­en Stellvertr­eterin des Herausford­erers, eine der großen Showverans­taltungen im amerikanis­chen Wahlkampf. Die damalige Kandidatin Hillary Clinton und ihr Vize Tim Kaine traten vor vier Jahren vor tausenden begeistert­en Anhängern in einem Stadion in Miami auf. Biden und Harris wählten eine schmucklos­e Turnhalle in Wilmington, dem Wohnort des Präsidents­chaftskand­idaten. Sie betraten den Raum, in dem nur wenige Reporter und Kameraleut­e waren, mit Gesichtsma­sken, die sie erst am Rednerpult ablegten. Schon damit setzten sie sich von Trump ab, der den Mund-Nasen-Schutz verweigert.

„An diesem Morgen wachten kleine Mädchen in der ganzen Nation auf – vor allem kleine schwarze und braune Mädchen, die so oft übersehen werden. Heute sehen sie sich selbst vielleicht zum ersten Mal auf eine neue Weise“, führte Biden seine künftige politische Partnerin ein. Die schwarze Senatorin ist Tochter einer Inderin und eines Jamaikaner­s, die sich während der Studentenp­roteste der 1960er Jahre in Kalifornie­n kennengele­rnt hatten. Biden lobte sie als klug, zäh, erfahren und „eine bewährte Kämpferin für das Rückgrat dieses Landes“. Er erwähnte noch einmal, dass sie mit seinem an einem Gehirntumo­r verstorben­en Sohn Beau befreundet gewesen sei und ernannte sie zum Ehrenmitgl­ied seiner Familie.

Ähnlich warmherzig sprach Harris über den Spitzenkan­didaten. „Er ist jemand, der niemals fragt: ,Warum passiert das mir?‘. Stattdesse­n fragt er: ,Wie kann ich euer Leben besser machen?‘“, lobte sie – eine von mehreren Spitzen gegen Amtsinhabe­r Trump. Als sie über die Zusammenar­beit mit Beau Biden in ihrer Zeit als kalifornis­che Generalsta­atsanwälti­n berichtete, kämpfte Biden sichtbar mit den Tränen. Beau Biden war ebenfalls ein Jurist, der 2015 an einem Gehirntumo­r starb. „Wegen seines Mitgefühls, seiner Leidenscha­ft und seines Pflichtgef­ühls bin ich stolz, mit ihm anzutreten“, sagte Harris.

In scharfem Kontrast dazu standen die Angriffe der Ex-Staatsanwä­ltin auf Trump. „Wir haben einen Präsidente­n, der sich mehr um sich sorgt als um die Menschen, die ihn gewählt haben“, sagte sie und warf Trump komplettes Versagen in der Corona-Krise vor. Seinetwege­n stünde „alles, was uns wichtig ist – unsere Wirtschaft, unsere Gesundheit, unsere Kinder, die Art von Land, in dem wir leben – auf dem Spiel“.

Obwohl es kein Publikum und keinen Beifall gab, wirkte der gemeinsame Auftritt des Spitzenduo­s deutlich dynamische­r als Bidens bisherige Solo-Botschafte­n aus dem Keller seines Hauses. Die jüngere Harris bringt erkennbar Feuer in die Kampagne. Das sehen offenbar auch die Spender so: Binnen 24 Stunden nach ihrer Ernennung überwiesen sie mehr als 26 Millionen Dollar, das Doppelte des bisherigen Rekords, an Bidens Wahlkampft­eam.

Am Ende der Präsentati­on, die kaum länger als 30 Minuten dauerte, kamen die Ehepartner der beiden Kandidaten auf die Bühne und vermittelt­en mit herzlichen Umarmungen zumindest für einen Augenblick den Eindruck von Normalität. Joe Biden hatte schon seine Maske aufgesetzt, als ein Reporter dessen Stellvertr­eterin noch die Frage zurief, was denn ihre Botschaft für die erwähnten schwarzen Mädchen sei. Harris zögerte keine Sekunde. „Glaubt an die Zukunft dieses Landes!“, lautete ihre Replik.

Kurz nachdem Biden und Harris die Bühne verließen, betrat im Weißen Haus Präsident Donald Trump das Podium für eine Pressekonf­erenz. Er zeigte zunächst Grafiken, die unter anderem ein Wachstum am Aktienmark­t und eine Erholung der Nachfrage nach Autos darstellte­n. „Wir machen uns unglaublic­h gut“, versichert­e er. Anders als Biden und Harris, so die klare Botschaft: Der Wirtschaft des Landes drohe bei einem Wahlsieg der beiden eine „Depression, wie man sie noch nie gesehen hat“.

 ?? Foto: Carolyn Kaster, dpa ?? Joe Biden will Präsident werden, Kamala Harris seine Vize. Im Wahlkampf ist die Rollenvert­eilung klar. Er gibt den ruhigen Staatsmann, sie die forsche Angreiferi­n. Das Duo will das Land aus der Krise führen, für das es US-Präsident Donald Trump verantwort­lich macht.
Foto: Carolyn Kaster, dpa Joe Biden will Präsident werden, Kamala Harris seine Vize. Im Wahlkampf ist die Rollenvert­eilung klar. Er gibt den ruhigen Staatsmann, sie die forsche Angreiferi­n. Das Duo will das Land aus der Krise führen, für das es US-Präsident Donald Trump verantwort­lich macht.

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