Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was vom Konsum übrig bleibt
Im Feuer einer Müllverbrennung landet, was wirklich keiner mehr haben will: Recycling hat zwar Priorität, aber stößt an Grenzen. In der Corona-Zeit sind die Müllmengen nochmals angestiegen – und der Zuwachs beim Verpackungsmüll ist schon länger ein Proble
Augsburg Ein alter Teppich, eine Matratze, ein Bürostuhl. Ein Sessel, Latten und Folien. Zahnbürsten im Hausmüll, die benutzten Taschentücher und Babywindeln verschwinden dagegen in einer grauen Masse. Der Müllbunker in der Abfallverwertungsanlage Augsburg, kurz AVA, ist 28 Meter tief, 13 Meter breit, 50 Meter lang. Hoch über dem Müll sitzt ein Kranfahrer, sicher hinter Glas. Hier riecht man den Müll nicht, der unten von Müllautos angeliefert wird und in den sich der Greifer gräbt, um ihn in einen der drei Müllöfen zu kippen. Die Verbrennung ist die letzte Station all der Dinge, die wir aussortiert haben und die zum Recycling nicht taugen. „Alles, was in unserer Wohlstandsgesellschaft übrig bleibt“, sagt Dieter Braun, der durch die Anlage führt und als Vertriebsleiter dafür zuständig ist, dass das Jahr über weder zu viel, noch zu wenig Müll angeliefert wird und das Feuer nicht ausgeht.
Unser Wirtschaftssystem produziert unablässig Waren für den Konsum. Neue Möbel, Elektrogeräte, Lebensmittel und Kosmetika. Dinge, die länger oder kürzer in Gebrauch sind, bis sie entsorgt werden müssen. Die Abfallmengen, die in Deutschland anfallen, sind akribisch erfasst. Für 2018 weist das Statistische Bundesamt 417 Millionen Tonnen Abfall aus. Nur um einen Eindruck von dieser Zahl zu bekommen: Das Gewicht der Cheopspyramide in Ägypten wurde einmal auf rund 6,4 Millionen Tonnen geschätzt. Mit dem Abfallberg Deutschlands ließen sich also 65 Pyramiden zwischen Flensburg und dem Allgäu aufstellen – pro Jahr.
Ein großer Teil der gesamten Abfallmenge ist Bau- und Abbruchmaterial, dazu kommen Abfälle aus Produktion und Gewerbe und auch Material aus dem Bergbau. Die eigentlichen Siedlungsabfälle, zu denen unser Hausmüll zählt, machten 2018 „nur“rund 50 Millionen Tonnen aus – was immer noch dem Gewicht von fast acht Cheopspyramiden entspricht. Ein anderer Vergleich: Ein Müllauto kann zehn Tonnen Abfall fassen. Die Siedlungsabfälle stehen damit für rund fünf Millionen Müllfahrten.
Das alles klingt verschwenderisch, es gibt aber auch gute Nachrichten. „Die Menge der Siedlungsabfälle liegt seit Jahren recht stabil bei 50 bis 52 Millionen Tonnen“, sagt Christian Langholz vom Umweltbundesamt. Im selben Zeitraum ist die Wirtschaft aber deutlich gewachsen. „Das Abfallaufkommen steigt also nicht so stark wie die Wirtschaftsaktivität. Das heißt, die Abfallintensität nimmt langsam ab“, sagt Langholz. Das ist nicht schlecht. „Ziel ist jedoch eine langfristig deutliche Senkung des Abfallaufkommens. Das Thema Vermeidung sollte stärker im Bewusstsein der Leute ankommen.“
Stabil waren zuletzt die Müllmengen aus privaten Haushalten. 2018 sind 37,8 Millionen Tonnen eingesammelt worden – Restmüll, Sperrmüll, Bioabfall und Wertstoffe wie Papier, Glas und Plastik. Macht pro Kopf 455 Kilogramm – sieben Kilo weniger als 2017. Der Rückgang geht auf den Bioabfall zurück, wofür die Statistiker den trockenen Sommer 2018 verantwortlich machen. Fällt wenig Regen, wächst es auch Garten schlechter. Dabei ist Biomüll heute wertvoll.
Ein süßlicher Geruch liegt in der Luft. Auf dem AVA-Gelände liefern Fahrzeuge Strauchschnitt an, aber auch den Abfall aus den Biotonnen aus Augsburg und Umgebung. Gehäckselt, vermischt mit Wasser und leicht erwärmt, wandert der Bioabfall durch Rohre in riesige Fermenter – dort herrschen ideale Bedingungen für Mikroben. Es gärt, Biogas entsteht. „Unser Ziel ist es, möglichst viel Biogas aus dem Bioabfall zu gewinnen“, sagt Vertriebschef Braun. Das Gas wird ins Netz der Stadtwerke eingespeist. Rund 5000 Haushalte können damit rechnerisch ein Jahr lang mit Biogas heizen. Daneben entsteht ein gülleähnlicher, aber geruchloser Flüssigdünger – und feiner Kompost. Beides bringen Landwirte auf ihren Feldern aus.
Und doch gibt es Dinge im Abfallsystem, die den Experten Sorgen machen. Denn der Verpackungsabfall ist zuletzt stetig gestiegen und lag 2017 bereits bei 18,7 Millionen Tonnen – macht pro Bundesbürger 226,5 Kilo. „Nirgendwo in Europa fällt pro Kopf so viel Verpackungsmüll an wie in Deutschland“, kritisiert Bettina Hoffmann, Sprecherin für Umweltpolitik der Grünen im Bundestag: „Diese Verschwendung von Plastik, Papier und Metallen kann so nicht weitergehen, wir schädigen damit das Klima und die Umwelt enorm.“Hoffmann weiter: „Es braucht deshalb eine gesetzliche Vorgabe, Verpackungsabfälle bis 2030 auf 110 Kilogramm pro Kopf zu halbieren. Dieses Ziel zu erreichen ist ambitioniert, aber machbar, wenn jetzt die nötigen Maßnahmen in die Wege geleitet werden.“
Ein Fluch ist die Zunahme an Plastikverpackungen. Diese lassen sich häufig schwer recyceln. Oft lanim dete Plastik als „Ersatz-Brennstoff“in Industrie-Öfen. „Um Müll zu vermeiden, ist es besonders wichtig, Mehrweglösungen zu fördern“, fordert Hoffmann. Pfandsysteme sollten verbraucherfreundlicher werden und auf weitere Bereiche wie Lebensmitteloder Versandverpackungen ausgedehnt werden. „Nötig sind auch Vorgaben für sparsames Verpackungsdesign: Nicht selten werden Waren im Supermarkt zweibis dreifach in Plastik und Papier verpackt – hier braucht es ein Umdenken bei den Herstellern.“„Um Mehrwegverpackungen einen Vorteil
zu verschaffen, schlagen wir eine Abgabe auf Einwegartikel wie Coffee-to-go-Becher vor.“
Es gab schon Fortschritte: 2019 trat ein neues Verpackungsgesetz in Kraft. Es schreibt schärfere Recyclingquoten vor, soll Verpackungen recyclingfähiger machen und Anreize zur Vermeidung setzen, unterstreicht Umweltbundesamt-Experte Langholz. „Jetzt gerät endlich wieder Bewegung in die RecyclingBranche, wir sehen, dass in neue Recyclingund Sortieranlagen investiert wird.“Für den Verbraucher finden sich auf Verpackungen teilweise endlich Hinweise, wie diese richtig zu entsorgen sind. In den Supermärkten stehen vermehrt Produkte aus Recyclingplastik – zum Beispiel Spülmittelflaschen.
Am Ende aber gibt es sie doch, die Dinge, die sich nicht verwerten lassen. Der Kranfahrer packt Matratzen, Bürostühle, Zahnbürsten und Windeln und lässt sie über einen Trichter in den Müllöfen rutschen. In der Corona-Zeit sei die Müllmenge deutlich gestiegen, sagt Braun. Hausmüll um 10 bis 15 Prozent, Sperrmüll um 40 Prozent. Die Bürger haben die Zeit der Ausgangssperre offenbar genutzt, ihre Wohnungen zu entrümpeln.
Hebt man eine Klappe an, sind hinter Glas hohe Flammen zu sehen. Ein Höllenfeuer, 1000 Grad heiß. Aus der Asche, der Schlacke, zieht die AVA am Ende noch Eisen und andere Metalle. Die Hitze lässt in Rohren Wasser zu Dampf werden. Diese Energie wird genutzt, um Strom für 20000 Haushalte zu erzeugen, die Abwärme speist auch ein Fernwärmenetz. So erfüllt das, was vom Konsum übrig bleibt, einen letzten Zweck.