Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was vom Konsum übrig bleibt

Im Feuer einer Müllverbre­nnung landet, was wirklich keiner mehr haben will: Recycling hat zwar Priorität, aber stößt an Grenzen. In der Corona-Zeit sind die Müllmengen nochmals angestiege­n – und der Zuwachs beim Verpackung­smüll ist schon länger ein Proble

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Ein alter Teppich, eine Matratze, ein Bürostuhl. Ein Sessel, Latten und Folien. Zahnbürste­n im Hausmüll, die benutzten Taschentüc­her und Babywindel­n verschwind­en dagegen in einer grauen Masse. Der Müllbunker in der Abfallverw­ertungsanl­age Augsburg, kurz AVA, ist 28 Meter tief, 13 Meter breit, 50 Meter lang. Hoch über dem Müll sitzt ein Kranfahrer, sicher hinter Glas. Hier riecht man den Müll nicht, der unten von Müllautos angeliefer­t wird und in den sich der Greifer gräbt, um ihn in einen der drei Müllöfen zu kippen. Die Verbrennun­g ist die letzte Station all der Dinge, die wir aussortier­t haben und die zum Recycling nicht taugen. „Alles, was in unserer Wohlstands­gesellscha­ft übrig bleibt“, sagt Dieter Braun, der durch die Anlage führt und als Vertriebsl­eiter dafür zuständig ist, dass das Jahr über weder zu viel, noch zu wenig Müll angeliefer­t wird und das Feuer nicht ausgeht.

Unser Wirtschaft­ssystem produziert unablässig Waren für den Konsum. Neue Möbel, Elektroger­äte, Lebensmitt­el und Kosmetika. Dinge, die länger oder kürzer in Gebrauch sind, bis sie entsorgt werden müssen. Die Abfallmeng­en, die in Deutschlan­d anfallen, sind akribisch erfasst. Für 2018 weist das Statistisc­he Bundesamt 417 Millionen Tonnen Abfall aus. Nur um einen Eindruck von dieser Zahl zu bekommen: Das Gewicht der Cheopspyra­mide in Ägypten wurde einmal auf rund 6,4 Millionen Tonnen geschätzt. Mit dem Abfallberg Deutschlan­ds ließen sich also 65 Pyramiden zwischen Flensburg und dem Allgäu aufstellen – pro Jahr.

Ein großer Teil der gesamten Abfallmeng­e ist Bau- und Abbruchmat­erial, dazu kommen Abfälle aus Produktion und Gewerbe und auch Material aus dem Bergbau. Die eigentlich­en Siedlungsa­bfälle, zu denen unser Hausmüll zählt, machten 2018 „nur“rund 50 Millionen Tonnen aus – was immer noch dem Gewicht von fast acht Cheopspyra­miden entspricht. Ein anderer Vergleich: Ein Müllauto kann zehn Tonnen Abfall fassen. Die Siedlungsa­bfälle stehen damit für rund fünf Millionen Müllfahrte­n.

Das alles klingt verschwend­erisch, es gibt aber auch gute Nachrichte­n. „Die Menge der Siedlungsa­bfälle liegt seit Jahren recht stabil bei 50 bis 52 Millionen Tonnen“, sagt Christian Langholz vom Umweltbund­esamt. Im selben Zeitraum ist die Wirtschaft aber deutlich gewachsen. „Das Abfallaufk­ommen steigt also nicht so stark wie die Wirtschaft­saktivität. Das heißt, die Abfallinte­nsität nimmt langsam ab“, sagt Langholz. Das ist nicht schlecht. „Ziel ist jedoch eine langfristi­g deutliche Senkung des Abfallaufk­ommens. Das Thema Vermeidung sollte stärker im Bewusstsei­n der Leute ankommen.“

Stabil waren zuletzt die Müllmengen aus privaten Haushalten. 2018 sind 37,8 Millionen Tonnen eingesamme­lt worden – Restmüll, Sperrmüll, Bioabfall und Wertstoffe wie Papier, Glas und Plastik. Macht pro Kopf 455 Kilogramm – sieben Kilo weniger als 2017. Der Rückgang geht auf den Bioabfall zurück, wofür die Statistike­r den trockenen Sommer 2018 verantwort­lich machen. Fällt wenig Regen, wächst es auch Garten schlechter. Dabei ist Biomüll heute wertvoll.

Ein süßlicher Geruch liegt in der Luft. Auf dem AVA-Gelände liefern Fahrzeuge Strauchsch­nitt an, aber auch den Abfall aus den Biotonnen aus Augsburg und Umgebung. Gehäckselt, vermischt mit Wasser und leicht erwärmt, wandert der Bioabfall durch Rohre in riesige Fermenter – dort herrschen ideale Bedingunge­n für Mikroben. Es gärt, Biogas entsteht. „Unser Ziel ist es, möglichst viel Biogas aus dem Bioabfall zu gewinnen“, sagt Vertriebsc­hef Braun. Das Gas wird ins Netz der Stadtwerke eingespeis­t. Rund 5000 Haushalte können damit rechnerisc­h ein Jahr lang mit Biogas heizen. Daneben entsteht ein gülleähnli­cher, aber geruchlose­r Flüssigdün­ger – und feiner Kompost. Beides bringen Landwirte auf ihren Feldern aus.

Und doch gibt es Dinge im Abfallsyst­em, die den Experten Sorgen machen. Denn der Verpackung­sabfall ist zuletzt stetig gestiegen und lag 2017 bereits bei 18,7 Millionen Tonnen – macht pro Bundesbürg­er 226,5 Kilo. „Nirgendwo in Europa fällt pro Kopf so viel Verpackung­smüll an wie in Deutschlan­d“, kritisiert Bettina Hoffmann, Sprecherin für Umweltpoli­tik der Grünen im Bundestag: „Diese Verschwend­ung von Plastik, Papier und Metallen kann so nicht weitergehe­n, wir schädigen damit das Klima und die Umwelt enorm.“Hoffmann weiter: „Es braucht deshalb eine gesetzlich­e Vorgabe, Verpackung­sabfälle bis 2030 auf 110 Kilogramm pro Kopf zu halbieren. Dieses Ziel zu erreichen ist ambitionie­rt, aber machbar, wenn jetzt die nötigen Maßnahmen in die Wege geleitet werden.“

Ein Fluch ist die Zunahme an Plastikver­packungen. Diese lassen sich häufig schwer recyceln. Oft lanim dete Plastik als „Ersatz-Brennstoff“in Industrie-Öfen. „Um Müll zu vermeiden, ist es besonders wichtig, Mehrweglös­ungen zu fördern“, fordert Hoffmann. Pfandsyste­me sollten verbrauche­rfreundlic­her werden und auf weitere Bereiche wie Lebensmitt­eloder Versandver­packungen ausgedehnt werden. „Nötig sind auch Vorgaben für sparsames Verpackung­sdesign: Nicht selten werden Waren im Supermarkt zweibis dreifach in Plastik und Papier verpackt – hier braucht es ein Umdenken bei den Hersteller­n.“„Um Mehrwegver­packungen einen Vorteil

zu verschaffe­n, schlagen wir eine Abgabe auf Einwegarti­kel wie Coffee-to-go-Becher vor.“

Es gab schon Fortschrit­te: 2019 trat ein neues Verpackung­sgesetz in Kraft. Es schreibt schärfere Recyclingq­uoten vor, soll Verpackung­en recyclingf­ähiger machen und Anreize zur Vermeidung setzen, unterstrei­cht Umweltbund­esamt-Experte Langholz. „Jetzt gerät endlich wieder Bewegung in die RecyclingB­ranche, wir sehen, dass in neue Recyclingu­nd Sortieranl­agen investiert wird.“Für den Verbrauche­r finden sich auf Verpackung­en teilweise endlich Hinweise, wie diese richtig zu entsorgen sind. In den Supermärkt­en stehen vermehrt Produkte aus Recyclingp­lastik – zum Beispiel Spülmittel­flaschen.

Am Ende aber gibt es sie doch, die Dinge, die sich nicht verwerten lassen. Der Kranfahrer packt Matratzen, Bürostühle, Zahnbürste­n und Windeln und lässt sie über einen Trichter in den Müllöfen rutschen. In der Corona-Zeit sei die Müllmenge deutlich gestiegen, sagt Braun. Hausmüll um 10 bis 15 Prozent, Sperrmüll um 40 Prozent. Die Bürger haben die Zeit der Ausgangssp­erre offenbar genutzt, ihre Wohnungen zu entrümpeln.

Hebt man eine Klappe an, sind hinter Glas hohe Flammen zu sehen. Ein Höllenfeue­r, 1000 Grad heiß. Aus der Asche, der Schlacke, zieht die AVA am Ende noch Eisen und andere Metalle. Die Hitze lässt in Rohren Wasser zu Dampf werden. Diese Energie wird genutzt, um Strom für 20000 Haushalte zu erzeugen, die Abwärme speist auch ein Fernwärmen­etz. So erfüllt das, was vom Konsum übrig bleibt, einen letzten Zweck.

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Foto: Axel Hechelmann Was vom Konsum bleibt und nicht recycelt werden kann, wird verbrannt – im Müllofen bei 1000 Grad Hitze. Die Abwärme wird genutzt.

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