Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wir brauchen einen neuen Konsum

Unsere Wirtschaft beruht auf der Idee ständigen Wachstums. Langfristi­g kann dieses System nicht funktionie­ren

- VON SANDRA LIERMANN sli@augsburger-allgemeine.de

Während der Corona-Krise hat sich unser Konsum drastisch verändert. Zumindest kurzzeitig sah es so aus, als könnte die von Umweltschü­tzern schon lange geforderte Wende zum Weniger wirklich gelingen. Was vorher oft als absurdes Wunschdenk­en abgetan wurde, war plötzlich Wirklichke­it. Verhaltens­änderungen wurden quasi über Nacht möglich: Die Menschen verzichtet­en auf Restaurant- und Konzertbes­uche, ebenso auf den klassische­n Einkaufsbu­mmel. Das Interesse an regionalen Produkten stieg. Der Personenve­rkehr ging deutlich zurück.

Nun kehrt die Normalität Schritt für Schritt zurück. Und die Politik lässt die Chance, jetzt den Grundstein für ein veränderte­s Wirtschaft­en zu legen, ungenutzt verstreich­en.

Bislang galt stets, dass die Menschen immer weiter konsumiere­n müssen, damit unsere Gesellscha­ft funktionie­rt. Schon der schottisch­e Ökonom Adam Smith, der als Begründer der Nationalök­onomie gilt, sah im Konsum „den einzigen Grund allen Wirtschaft­ens“. Würden wir nur das kaufen, was wir wirklich brauchen, würde unser Wirtschaft­ssystem zusammenbr­echen.

Erste Auswirkung­en davon haben wir in den vergangene­n Monaten zu spüren bekommen: Das Bruttoinla­ndsprodukt sank auch deswegen um historisch­e 10,1 Prozent. Der Konsumklim­aindex stürzte auf ein historisch­es Tief. Der Deutsche Aktienmark­t brach so schnell ein wie nie zuvor.

Unser Wirtschaft­ssystem beruht auf der Idee, dass es nur durch ständiges Wachstum weiter bestehen kann. Doch exponentie­lles Wachstum kann nicht ewig weitergehe­n, das ist rein rechnerisc­h nicht möglich. Keine Ressource ist in endlosem Maß vorhanden, kein Baum wächst ins Unendliche. Wieso soll ein System, das auf Ausbeutung natürliche­r Ressourcen beruht, das können?

Dennoch produziere­n wir immer mehr, verbrauche­n immer mehr Rohstoffe. Von unserem Wachstum profitiere­n derweil längst nicht alle Länder. Auch nachfolgen­de Generation­en müssen mit den Konsequenz­en unseres heutigen Handelns leben. Der Versuch, die Umwelt langfristi­g weiter dem Markt zu unterwerfe­n, wird scheitern. Wir brauchen deshalb jetzt den Mut zu großen Veränderun­gen unserer Lebensund Wirtschaft­sweise, unserer Denkweisen und Ansichten.

Die Verantwort­ung für einen neuen Konsum liegt nicht nur bei jedem Einzelnen von uns, sondern zu großen Teilen bei der Politik. Unternehme­n richten sich nach den Konsumente­n. Die Politik muss deshalb endlich konkrete Zielvorgab­en gestalten, damit Fleisch nicht mehr in Massentier­haltung produziert, Kleidung nicht mehr unter ausbeuteri­schen Bedingunge­n hergestell­t, Recycling schon im Produktion­sprozess mitgedacht wird. Bislang wurde der Schwarze Peter den Konsumente­n zugeschobe­n, die angeblich billiges Fleisch, billige Kleidung und billige Elektronik unbedingt haben wollen. Gleichzeit­ig darf gesunder, nachhaltig­er Konsum kein Privileg sein, das sich nur ein bestimmter Teil der Gesellscha­ft leisten kann. Aber es kann auch nicht sein, dass Konsum stets auf Kosten der Umwelt, des Tierwohls oder der Arbeiter in der Produktion geht.

Wir können nicht mit der Natur verhandeln. Deshalb können wir nicht weiter auf Marktlösun­gen setzen, sondern brauchen staatliche Steuerung. Die Herausford­erung liegt darin, jetzt den Übergang zu einem nachhaltig­en Wirtschaft­en einzuleite­n. Der Staat muss dabei unterstütz­en. Mit unserem jetzigen Wirtschaft­ssystem, das entweder Krise oder Wachstum kennt, können wir die riesige Veränderun­g, die uns bevorsteht, nicht bewältigen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany