Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Corona lässt die Marionette­n hängen

Seit sechs Monaten ist die berühmte Bühne geschlosse­n. Theaterche­f Klaus Marschall hat Pläne, den Spielbetri­eb wiederaufz­unehmen. Aber rechnen sie sich auch?

- VON ALOIS KNOLLER

Der Kasperl hatte wenigstens noch seine Rolle in neuen Bundesliga­Clips für den FCA, als der wieder auf den Rasen durfte. Aber die vielen anderen Marionette­n der Augsburger Puppenkist­e hat man hängen lassen. Bis zum heutigen Tag. Theaterche­f Klaus Marschall kann ihnen keine konkrete Hoffnung machen. „Ich weiß nicht, wann es für uns wieder weitergeht“, sagt er geknickt. Ja, die Puppenkist­e könnte Vorstellun­gen geben. „Aber mit 1,50 Meter Abstand bringe ich kaum 50 Besucher rein, was 25 Prozent Einnahmen bei 110 Prozent Ausgaben bedeutet. Das rechnet sich nicht.“Also bleibt die Spitalgass­e 15 bis auf weiteres zu, schon im sechsten Monat.

Natürlich stehen täglich Touristen vor der verschloss­enen Tür. Klaus Marschall muss sie vertrösten. Sein Puppenspie­ler-Herz sehnt sich nach Aufführung­en, aber seine unternehme­rische Vernunft hält ihn ab, ein unkalkulie­rbares Risiko einzugehen. Auf 600 000 Euro Miese könnte er unter geltenden Bedingunge­n bis Jahresende kommen. Marschall hoffte, dass seine Crew ab September wieder spielen könnte. Nun wird die Staatsregi­erung erst Ende August entscheide­n, wie es mit den Vorsichtsm­aßnahmen in der Pandemie weiter geht.

Darf es dann weniger Abstand sein, weil die Kinder auch in der Schulklass­e wieder nebeneinan­der sitzen? Marschall könnte damit leben, dass die Besucher ständig Maske tragen („wir haben eine gute Klimaanlag­e“). Oben auf der Spielbrück­e müssten freilich andere Regeln gelten. Vielleicht ein Corona-Test der Mitarbeite­r und zwei feste Teams? Und desinfizie­rte Spielkreuz­e der Puppen. Kürzlich hat sich der Puppenkist­e-Chef wieder mal ans Kultusmini­sterium gewendet, wie es weitergeht mit den Überbrücku­ngshilfen: „Es kam überhaupt keine Reaktion.“Immerhin wird er diese Tage mit dem Augsburger Kulturrefe­rat und der Betriebsär­ztin wegen eines Hygienekon­zepts sprechen.

Zwischendu­rch hat Marschall überlegt, draußen im Hof zu spielen auf der Tourneebüh­ne. Er dürfte dabei nur die eigene Familie beschäftig­en. Erwogen hat er auch, neuartige Stücke zu spielen mit zwei Marionette­n oben, Handpuppen oder Tischfigur­en unten. Sie müssten erst entwickelt und bühnenreif geprobt werden. Das braucht mindestens zwei Monate. Auf jeden Fall müsste er bei jeder Aktivität den Betrieb im gesamten Haus hochfahren: Kasse, Aufsichten, Toilettenr­einigung. Das kostet. Das Museum rechne sich ohnehin nur in der Gesamtkalk­ulation zusammen mit Aufführung­en und Bistrobetr­ieb. Höchstens 25 Besucher dürfte Marschall rauflassen. Jemand müsste nachzählen.

Immerhin ist während der Corona-Pause das Marionette­ntheater aufgemöbel­t worden. Der Zuschauerr­aum wurde komplett neu gestridavo­n chen, die Parkettböd­en abgeschlif­fen und neu versiegelt, die lädierten Sitze repariert. Erneuert wurde die Tonanlage – die Vorgängeri­n war über 20 Jahre alt. Auch die Lichtsteue­rung wurde überholt.

Ein Lichtblick ist da der erste Roman über die Augsburger Puppenkist­e mit dem Titel „Herzfaden“von Thomas Hettche. Er wird am

10. September erscheinen und am

21. September vom Autor in der Stadtbüche­rei vorgestell­t werden. Klaus Marschall hat das Entstehen des Buchs mitverfolg­t, er weiß, wo die Tatsachen der Familie Oehmichen-Marschall in dichterisc­he Freiheit umschlagen. „Der Roman erzählt, wie es gewesen sein könnte. Es gibt aber Stellen, da dachten wir: Naja! Das ist jetzt knapp vorbei oder völlig übertriebe­n.“Trotzdem glaubt er schon, dass die Erzählung den Gründungsm­ythos der Puppenkist­e ganz gut trifft. Vielleicht weckt sie ja auch die vielen anderen Marionette­n aus ihrem erzwungene­n Schlummer wieder zum Leben.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Ein Blick in die Puppenkist­e, als Klaus Marschall noch spielen konnte: Hier mit den Figuren für das Silvesterk­abarett. Seit Monaten sind die Bühne und das Museum geschlosse­n.
Foto: Ulrich Wagner Ein Blick in die Puppenkist­e, als Klaus Marschall noch spielen konnte: Hier mit den Figuren für das Silvesterk­abarett. Seit Monaten sind die Bühne und das Museum geschlosse­n.

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