Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mesut Özil, zerrissen und vergessen
Was nun anfangen mit diesem Mesut Özil? An guten Tagen ein Fußballer, wie es sie nur sehr selten gibt. Ein Ballstreichler. Einer, der das Spiel lesen und lenken kann, der seine Mitspieler besser macht. An schlechten Tagen ein Fußballer, der Trainer und Zuschauer gleichermaßen in den Wahnsinn treibt. Fleischgewordenes Phlegma. Einer, in dessen System kein Rückwärtsgang eingebaut scheint. Und dann gibt es noch den Özil abseits des Platzes. Der mindestens ebenso ambivalent, gar zerrissen daherkommt. Erinnert sei an seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft, den er in drei Teilen und sorgsam orchestriert über die sozialen Netzwerke ausstreute. Rassistische Anfeindungen und fehlende Unterstützung seitens des DFB nach umstrittenen Bildern mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ließen sich als die zentralen Gründe herausdestillieren.
Schon vor dem Bruch mit der Nationalmannschaft (nach 92 Länderspielen) hatte Özil gesagt, dass er deutsch denke, aber türkisch fühle. Ein Zerrissener. „Ich bin Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren.“
Mittlerweile ist Özil, Sohn türkischer Gastarbeiter, ein Vergessener, wie es die FAZ treffend formulierte. Einer der größten Fußballer, die Deutschland je hervorgebracht hatte – abgetaucht. Zwischen Bundestrainer Joachim Löw, einst sein Förderer, und Özil herrscht ohrenbetäubendes Schweigen. Der 31-Jährige zog sich in seine Wahlheimat London zurück.
Dort allerdings setzt sich fort, was in Deutschland begonnen hat. Özil grenzt sich aus. Oder, wie er es sieht, wird ausgegrenzt. Gespielt hat er schon vor der Corona-Pause nur noch selten. Es scheint, als sei seine Zeit bei Arsenal abgelaufen. Ganz im Gegensatz zu seinem Vertrag dort, der, mit angeblich 387 000 Euro pro Woche üppigst dotiert, noch ein Jahr gültig ist. Eine coronabedingte Gehaltseinbuße hatte er abgelehnt, wie, rein zufällig, durchgesickert war.
Seitdem ist mehr als klar, dass Arsenal seinen Bestverdiener loswerden will. Özil aber sagt: „Ich entscheide, wann ich gehe, und sonst niemand.“Er sei enttäuscht von Trainer Mikel Arteta und dem Verein, dass er keine Chance mehr bekomme. Und das ist tatsächlich bedauerlich, denn an seinen guten Tagen hat der Fußball wenig Besseres zu bieten, als Mesut Özil. Aber vielleicht sind diese guten Tage einfach schon vorbei.