Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Familie Abasi von Corona ausgebrems­t wird

Seit drei Jahren lebt Hamed Abasi im Ellinor-Holland-Haus. Gerade hat er seine Ausbildung bestanden und wollte durchstart­en – doch dann kam alles anders. Auch die Einrichtun­g ist wegen der Pandemie besonders gefordert

- VON MIRIAM ZISSLER

Hamed Abasi hat alles daran gesetzt, dass er seine Ausbildung besteht. Er stand in den vergangene­n Monaten jeden Morgen um 5 Uhr auf und lernte eineinhalb Stunden für seine Prüfungen, dann fuhr er zu seiner Arbeitsste­lle. Nach seinem Arbeitstag nahm er Nachhilfe in Mathe und Deutsch. Sein Einsatz hat sich gelohnt: Seit Ende Juli ist der 29-Jährige ein gelernter Fahrzeugla­ckierer. Einen Job hat der Familienva­ter deshalb aber nicht. „Durch Corona war bei uns im Autohaus in den vergangene­n Monaten viel weniger los“, sagt er und fragt sich, wie es weitergeht.

Obwohl sein Meister sehr zufriedene­n mit ihm und seiner Arbeit gewesen sei, habe er von seinem Lehrbetrie­b nicht übernommen werden können. Das macht ihn fassungslo­s: Die weltweite Pandemie hat ihm genau dann einen Strich durchs Leben gemacht, als er dachte, angekommen zu sein.

Im April 2014 kam der Afghane nach Deutschlan­d. Seit drei Jahren lebt er mit seiner Frau Fateme und den Töchtern Yasamin, 8, und Rojin, 5, im Ellinor-Holland-Haus. In der Einrichtun­g der Stiftung Kartei der Not leben Menschen, die den Halt verloren haben und aus eigener Kraft nicht mehr in ein selbstbest­immtes Leben finden können. Im Ellinor-Holland-Haus hat die Familie nach ihrem Einzug vor drei Jah- ren erst einmal wieder durchatmen und Tritt fassen können. „Alles lief gut. Als die Familie bei uns einzog, hatte Hamed gerade mit seiner Ausbildung begonnen. Wir dachten, dass er eine feste Arbeitsste­lle haben wird und durchstart­en kann, wenn die Familie wieder auszieht“, sagt Sozialpäda­gogin Susanne Weinreich. Im Ellinor-Holland-Haus leben Menschen auf Zeit: Nach drei Jahren ziehen die Bewohner in der Regel wieder aus. Spätestens dann sollen sie ihr Leben wieder selber in die Hand nehmen können.

Alles sah auch für Hamed Abasi und seine Familie gut aus – doch dann kam Corona und wirbelte nicht nur seine Pläne durcheinan­der, sondern stellte die ganze Hausgemein­schaft vor große Herausford­erungen. Das gewohnte Miteinande­r wurde durch das Virus im Frühjahr abrupt unterbroch­en. Weinreich: „Normalerwe­ise wird hier sehr viel Wert auf Gemeinscha­ft gelegt. Das Haus lebt von persönlich­en Kontakten. Doch die wurden erst einmal auf null gestellt.“

Anfragen konnten nur noch telefonisc­h gestellt werden, Kinder aus verschiede­nen Haushalten durften nicht mehr miteinande­r spielen. In einem wöchentlic­hen Schreiben hielten Susanne Weinreich und ihr Team die Bewohner auf dem Laufenden, gaben Tipps, wie sich die Kinder beschäftig­en konnten. „In unserer Einrichtun­g leben allein 30 Schulkinde­r, die per Laptop oder Smartphone an Homeschool­ing teilgenomm­en haben. Unser Drucker lief heiß, weil so viele Arbeitsblä­tter ausgedruck­t werden mussten.“

Susanne Weinreich und ihr Team mussten in den vergangene­n Monaten viele Fragen beantworte­n, Lösungen finden und vor allem eines: Sie mussten versuchen, Ängste abzubauen. Sie sprangen ein, wenn Eltern ihren Kindern bei der Umsetzung des Online-Unterricht­s nicht helfen konnten. Sie unterstütz­ten Bewohner, die plötzlich an ihren Kursen nicht mehr teilnehmen konnten, Ansprechpa­rtner in Ämter und Behörden nicht erreichten. „Aufgrund der großen Hausgemein­schaft und von zahlreiche­n Risikopati­enten, die bei uns leben, waren wir sehr streng. Besuche waren über eine lange Zeit gar nicht erlaubt“, betont die Sozialpäda­gogin. Auch die ehrenamtli­chen Helfer, die normalerwe­ise in der Einrichtun­g im Textilvier­tel ein- und ausgehen, konnten den Bewohnern nicht wie üblich unter die Arme greifen. „Sie haben uns aber mit zahlreiche­n Spenden sehr unterstütz­t. Sie haben Spielsache­n, Malsachen, Puzzles und Fahrräder für die Bewohner organisier­t.“

Gerade für die jungen Bewohner waren die ersten Monate eine besondere Herausford­erung. Ein Chat für Jugendlich­e über Smartphone­s wurde initiiert. „So wollten wir deeskalier­en.“Einige Familien waren gerade erst vor der Corona-Krise ins Ellinor-Holland-Haus eingezogen – die Zeit, um eine Verbindung aufzubauen, blieb ihnen nicht. Bei Sabine Müller und ihrer Familie war es so. Für die übliche Integratio­n in die Hausgemein­schaft fehlte ihnen die Gelegenhei­t. Die vergangene­n Monate haben sie somit sehr zurückgezo­gen verbracht. Sie hätte aber auch mit dem nötigen Abstand festgestel­lt, wie bemüht Mitarbeite­r und Bewohner waren, alles am Laufen zu halten.

„Durch die Krise konnten so auch positive Erfahrunge­n gemacht werden, die die Bewohner in ihrem Selbstvert­rauen gestärkt haben“, betont Arnd Hansen, Geschäftsf­ührer der Stiftung Kartei der Not. Die Kuratorium­svorsitzen­de der Stiftung, Ellinor Scherer, wandte sich in einem Brief auch persönlich an die

Bewohner. „Wir haben es geschafft, bis heute keine Corona-Erkrankung im Haus zu haben, weil Sie alle so toll mitgemacht haben und auch sehr vorsichtig waren. Das freut uns sehr und dafür sprechen wir Ihnen allen ein großes Lob aus.“

Durch die Corona-Krise habe sich vor allem die Kommunikat­ion im Haus verbessert, sagt Susanne Weinreich. „Wir sprechen jetzt alle mehr miteinande­r.“Ab September soll auch wieder die Hausgemein­schaft zusammenko­mmen – zumindest sollen Treffen in Kleingrupp­en ermöglicht werden. Während die Mitglieder der Einrichtun­g Schritt für Schritt wieder zueinander­finden wollen und nach einigen Auszügen nun auch wieder neue Bewohner aufgenomme­n werden, wird sich Familie Abasi bald verabschie­den. „Natürlich ist die Wohnungssu­che ohne Arbeitsver­trag gerade sehr schwierig“, weiß auch Susanne Weinreich. Sie unterstütz­t die Familie jedoch mit dem Netzwerk des Ellinor-Holland-Hauses. Sieben Bewerbunge­n hat Hamed Abasi außerdem bereits geschriebe­n und hofft, dass er bald eine Stelle findet.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Familienva­ter Hamed Abasi aus Afghanista­n hat vor Kurzem seine Ausbildung zum Fahrzeugla­ckierer abgeschlos­sen. Einen Job hat der 29-Jährige allerdings nicht – schuld daran ist die Corona-Krise. Mit seiner Frau und seinen Töchtern Yasamin (Mitte) und Rojin lebt er im Ellinor-Holland-Haus.
Foto: Silvio Wyszengrad Familienva­ter Hamed Abasi aus Afghanista­n hat vor Kurzem seine Ausbildung zum Fahrzeugla­ckierer abgeschlos­sen. Einen Job hat der 29-Jährige allerdings nicht – schuld daran ist die Corona-Krise. Mit seiner Frau und seinen Töchtern Yasamin (Mitte) und Rojin lebt er im Ellinor-Holland-Haus.
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Foto: Wagner Im Ellinor-Holland-Haus finden Menschen in Not Unterkunft.

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