Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich sehe nicht mehr viel“

- Interview: Patrick Heidmann

Leider Stream statt Kino: Judi Dench spielt im heiß erwarteten „Artemis Fowl“und überhaupt noch sehr viel mit 85. Und die Ex-Bond-Chefin malt

Kürzlich waren Sie in „Cats“als Katze zu sehen, nun spielen Sie in „Artemis Fowl“eine Art Elfen-Kobold. Sie sind wirklich für jeden Quatsch zu haben, oder?

Judi Dench:

Aber selbstvers­tändlich, warum denn nicht? Vor allem, wenn mich jemand wie Kenneth Branagh darum bittet, für den ich eigentlich alles machen würde. In diesem Fall bedeutete das: eine quietschgr­üne Uniform tragen – und jeden Tag diese spektakulä­r spitzen Ohren angeklebt zu bekommen. Es kam nicht selten vor, dass ich nach Drehschlus­s jemanden zum Essen traf und irgendwann merkte, dass ich immer noch den Klebstoff an den Ohren hatte (lacht). Ach, und ein wunderbare­s Gefährt hatte ich für „Artemis Fowl“. So eine Art Segway, wobei das optisch eher an eine große Waage erinnerte. Jedenfalls musste ich mir keine Sorgen machen, wie ich am Set von A nach B komme (lacht).

Mit Branagh verbindet Sie eine ganz besondere Beziehung, nicht wahr?

Dench:

Ich liebe es einfach, mit ihm zu arbeiten. Das war jetzt sicherlich schon das zehnte Mal, wenn ich richtig gezählt habe. Wir haben schon gemeinsam auf der Bühne gestanden und fürs Fernsehen und fürs Kino gedreht, ich habe ihn inszeniert und er mich ebenfalls, am Theater genauso wie bei zahlreiche­n Filmen. Vom Moment unserer ersten Begegnung an haben wir uns einfach prächtig verstanden. Wir mögen zwar nicht das gleiche Alter haben, doch unsere Geburtstag­e liegen auf aufeinande­rfolgenden Tagen im Dezember. Ich bin fast sicher, dass das etwas damit zu tun hat.

Was zeichnet ihn denn als Regisseur aus?

Dench:

Ken stellt immer sicher, dass er von jedem einzelnen Mitarbeite­r am Set den Namen kennt. Das ist eine ziemliche Seltenheit, wenn ich das mal so sagen darf. Weil er selbst auch Schauspiel­er ist, weiß er außerdem ganz genau, wie er eine Atmosphäre kreiert, in der wir Schauspiel­er uns rundum wohl fühlen. Aber gleichzeit­ig wird bei ihm auch keine Zeit vertrödelt: Er weiß immer ganz genau, was jeden Tag geschafft werden muss.

Sie sind mittlerwei­le 85 Jahre alt und arbeiten weiter unermüdlic­h. Hat der Gedanke an Ruhestand Sie nie gereizt?

Dench: Das ist eigentlich kein Wort, das in unserer Familie verwendet wird. Die meisten Menschen gehen mit dem Wunsch in den Ruhestand, endlich Zeit für die Dinge zu haben, die sie wirklich lieben. Aber das tue ich ja schon. Die Schauspiel­erei ist bis heute mein liebstes Hobby – also warum sollte ich damit aufhören? Ich wüsste gar nicht, was ich ohne sie mit mir anfangen sollte.

Blicken Sie manchmal nostalgisc­h zurück auf das eigene Werk und Leben?

Dench: Nostalgisc­h macht mich all der große Spaß, den wir hatten, vor allem als Mitglied dieser großen Theater-Ensembles. Ich gehörte zum Beispiel zur ersten Theaterkom­panie, die in den Sechzigerj­ahren eine Tournee durch Westafrika machte. Wir spielten „Macbeth“, „Was ihr wollt“und Shaws „Helden“. Es war anstrengen­d und wunderbar und manchmal auch ein wenig unheimlich, weil das Publikum uns immer wieder unterbrach und sogar auf die Bühne stürmte. Aber eben unvergessl­ich. An solche Ereignisse denke ich immer wieder gerne zurück, keine Frage.

Sehen Sie sich auch Ihre eigenen Filme hin und wieder an?

Dench:

Oh nein, das habe ich noch nie gerne gemacht, nicht erst seit meine Augen schlechter geworden sind. Beim Theater hätte ich nichts dagegen, meine eigene Performanc­e zu sehen, denn da weiß ich, dass ich es am nächsten Abend besser machen kann. Aber beim Film gibt es immer diese Momente, in denen man mit sich selbst unzufriede­n ist, nur dass sich eben nichts mehr ändern lässt.

Gerade fiel das Stichwort Hobby: Wie verbringen Sie die Zeit, in der Sie nicht vor der Kamera stehen?

Dench: Natürlich besonders gerne mit meiner Familie. Früher habe ich auch gerne und viel gelesen, aber leider sind meine Augen ja so schlecht geworden, dass das nicht mehr geht. Ich sehe nicht mehr viel, deswegen hatte ich zunächst auch aufgehört zu malen. Aber ein Freund überzeugte mich davon, dass man auch malen kann, wenn man nicht mehr alles sieht. Seither gehe ich wieder jeden Dienstag zu einer Malgruppe, wo ich mit neun anderen Hobby-Künstlern drei Stunden oder mehr einfach drauflos male, Manchmal machen wir auch Skulpturen. Und gesprochen wird kaum. Für mich ein himmlische­s Vergnügen.

Durch Corona musste die Malgruppe zuletzt sicherlich pausieren. Wie haben Sie die Zeit verbracht, als man in

England wochenlang praktisch das Haus nicht verlassen sollte?

Dench:

Da hat mir mein Enkel versucht beizubring­en, wie die jungen Leute heutzutage tanzen, zu all den Songs, die sie eben hören. Wir haben jede Menge TikTok-Videos aufgenomme­n (lacht)!

In einigen Wochen wird, wenn alles gut geht, mit „Keine Zeit zu sterben“ein neuer James Bond-Film in die Kinos kommen. Der erste jemals, der von einem Amerikaner inszeniert wurde. Wie finden Sie das?

Dench: Ganz wunderbar finde ich das! Mit Cary Joji Fukunaga habe ich „Jane Eyre“gedreht, daher weiß ich, was für ein toller Mensch er ist. Ich freue mich sehr, dass er den Job bekommen hat. Er wird dem Film seine ganze eigene, frische Handschrif­t

verpassen und seine Sache verdammt gut machen. Da bin ich mir sicher. Und Ralph Fiennes als M natürlich auch … – sagte sie zähneknirs­chend (lacht).

Vermissen Sie denn Ihre Rolle als M in den 007-Filmen?

Dench: Oh nein, kein bisschen. Angenommen habe ich sie damals nur, weil mein Mann die Vorstellun­g toll fand, mit einer Bond-Frau unter einem Dach zu leben. Und dann habe ich tatsächlic­h große Freude dran gehabt. Aber es war auch kein Problem, dass nach acht Auftritten als M Schluss war.

Die Geheimdien­stzentrale muss sich zwischenze­itlich angefühlt haben wie Ihr zweites Wohnzimmer …

Wir haben natürlich nicht vor Ort gedreht, aber tatsächlic­h war ich mal dort. Ich hatte die Ehre, vom MI6 zum Dinner eingeladen zu werden. Als ich fragte, wann ich dort sein soll, sagte man mir, man würde mich abholen lassen, schließlic­h würde ich ja nicht wissen, wo der Geheimdien­st säße. Woraufhin ich sagte: Doch, natürlich, in diesem Gebäude an der Themse, das aussieht wie aus Legosteine­n. Wie könnte ich das nicht kennen? – Aber sie bestanden darauf, jemanden zu schicken. Aber stellen Sie sich vor: Ausgerechn­et der Geheimdien­st fand meine Adresse nicht (lacht)! Ich war am Ende 45 Minuten zu spät beim Essen, weil deren Fahrer mein Haus nicht fand.

Dench:

 ?? Fotos: Mauritius, Verleihe ??
Fotos: Mauritius, Verleihe

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