Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Betriebsratsgründung braucht einen langen Atem
Willkürliche Dienstpläne, ungleiche Löhne, ständiger Streit mit der Geschäftsführung: Anlässe, einen Betriebsrat zu gründen, gibt es viele. Es erfordert jedoch Zeit, Geduld sowie oft Kraft und Nerven
Berlin Stimmt die Arbeitskultur im Unternehmen nicht, sinkt die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Doch Beschäftigte haben Möglichkeiten, ihre Interessen gegenüber der Geschäftsleitung zu kommunizieren und durchzusetzen – zum Beispiel als Betriebsräte. So ließ sich etwa Manuela Fritsche, Wohnbereichsleiterin in einem Pflegeheim, von Kollegen inspirieren. Die arbeiteten bei einem Rettungsdienst und hatten dort selbst einen Betriebsrat gegründet. Mit Unterstützung der Gewerkschaft Verdi organisierte Fritsche mit anderen Beschäftigten eine Info-Veranstaltung, bei der direkt ein Wahlvorstand gewählt wurde. Dieses Gremium, das in der Regel aus drei Mitarbeitenden besteht, führt die Betriebsratswahl durch.
Fritsche rät, sich bei einer Betriebsratsgründung grundsätzlich an Gewerkschaften zu wenden: „Ohne Hilfe ist das ein Ding der Unmöglichkeit.“Es sei gut, die Fallstricke bei der Gründung zu kennen. Gewählte Betriebsratsmitglieder sind umfassend geschützt und können nur unter erschwerten Bedingungen gekündigt werden, erklärt Kerstin Jerchel, Bereichsleiterin Mitbestimmung bei der Verdi-Bundesverwaltung. Vor der Wahl sei Vorsicht angebracht: „Ich würde es nicht ans Schwarze Brett hängen“, rät Jerchel. Fritsche berichtet, dass der Wahlvorstand viel habe aushalten müssen: „Bei uns gab es heftigen Gegenwind.“Trotzdem ließ sie sich 2018 zur Betriebsratschefin wählen.
„Kaum ein Arbeitgeber wird spontan „Hurra“rufen, wenn seine Belegschaft einen Betriebsrat gründen will“, sagt Michael Bolte, beim DGB-Bundesvorstand zuständig für Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik. Er rät, sich der Geschäftsführung gegenüber bestimmt, aber respektvoll zu verhalten. Man könne erklären, dass es um die Ausübung demokratischer Mitbestimmungsrechte gehe – und nicht darum, sich gegen das Unternehmen zu stellen. „Der Arbeitgeber muss sich laut Gesetz neutral verhalten und darf die Wahl nicht verhindern“, betont Bolte. Sobald ein Betriebsrat gegründet sei, ändere sich die Einstellung des Arbeitgebers meist schnell.
Betriebsräte können in Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigten gegründet werden. Auslöser sind oft Anlässe wie Entlassungen oder Zeiten der Unruhe – wenn etwa eine neue Generation das Unternehmen übernimmt. Als dritten Grund nennt Bolte „das lange Leiden“– ein Missstand, der sich über einen langen Zeitraum hinzieht. Kerstin Jerchel nennt viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse innerhalb eines Betriebs als Beispiel. Das sei häufig in der Dienstleistungsbranche der Fall, etwa bei Sicherheitsdiensten. Aber auch in Bereichen mit hoch qualifizierten Beschäftigten – wie an privaten Hochschulen oder Weiterbildungseinrichtungen – komme es aus diesen Gründen zu Betriebsratsgründungen.
„Es gibt wenige Branchen, in denen es genug Betriebsräte gibt“, so Michael Boltes Einschätzung. Während in Betrieben mit mehr als 1000 Beschäftigten fast 100 Prozent einen Betriebsrat hätten, sehe es bei den kleinen mau aus: „Wenn Betriebe so klein sind, dass alle direkt miteinander reden können, muss schon etwas vorfallen, damit ein Betriebsrat gekonkrete gründet wird.“Sorgen macht dem DGB der mittlere Bereich mit 100 bis 500 Beschäftigten. Im Dienstleistungssektor – und generell in Branchen, in denen viele Frauen arbeiten – sei die Dichte an Betriebsräten gering. Auch in Unternehmen mit junger, fluktuierender Belegschaft seien Betriebsratsgründungen selten. Als Positivbeispiel nennt Bolte Fahrrad-Lieferdienste, bei denen es erste Erfolge gäbe.
Auch bei Start-ups fehlt es häufig an Mitbestimmungsmöglichkeiten. Hier sei das Problem, dass sie oft sehr schnell sehr groß würden, erklärt Jerchel. Am Anfang gebe es flache Hierarchien, alles könne direkt mit dem Chef besprochen werden. Meist zeige sich aber, dass doch nicht alle auf einer Ebene stünden. Themen wie Arbeits- und Gesundheitsschutz, Einhalten von Arbeitszeiten und Familienfreundlichkeit würden wichtiger. Bei all dem können Betriebsräte mitbestimmen. Sie haben Einfluss auf Schichtpläne, Lohngestaltung und Weiterbildungsprogramme. Auch beim Aushandeln von Kurzarbeit – wie in der Corona-Krise – sind Betriebsräte unabdingbar. Inga Dreyer, dpa