Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Wasserstof­f das Klima retten soll

Es soll Autos antreiben, Flugzeuge, Züge, dem Klim aschutz helfen und nebenbei auch noch die Probleme der Energiewen­de lösen. Um ein Gas ist plötzlich ein Hype entbrannt. We lches Potenzial Wasserstof­f wirklich hat und weshalb es auch Zweifel gibt

- VON MICHAEL KERLER

Das Gerät, das die Zukunft verheißt, ist unscheinba­r. Einige dutzend dunkle Platten, in etwa so groß wie ein DINA4-Blatt, dicht an dicht gestapelt, dazu einige Stäbe aus Metall, die das Ganze zusammenha­lten. Durchström­t man das Gerät mit Wasser und legt Strom an, wird Sauerstoff frei – und Wasserstof­f. Dieser, davon ist Naturwisse­nschaftler Joachim Herrmann hier bei dem Unternehme­n H-Tec-Systems in Augsburg überzeugt, wird für die Energiever­sorgung, ja für unser tägliches Leben eine große Rolle spielen. Wasserstof­f bekommt derzeit Aufmerksam­keit wie selten zuvor. Um das Gas ist fast ein Hype entbrannt. Die Politik stellt mehrere Milliarden Euro an Fördergeld bereit, Unternehme­n planen, dass Wasserstof­f Autos, Lkw, ja Flugzeuge antreiben könnte. Arbeitsplä­tze sollen entstehen. Wie ist ein Gas plötzlich so wichtig geworden? Kann es halten, was es verspricht?

Um das Thema besser zu verstehen, hilft ein Besuch, bei dem Unternehme­n, das die Grundlage für die Wasserstof­fwirtschaf­t von morgen schaffen will. H-Tec-Systems stellt Anlagen her, mit denen sich aus Wasser der Wasserstof­f gewinnen lässt – sogenannte Elektrolys­eure. Das Unternehme­n existiert seit 1996, hat heute rund 60 Mitarbeite­r, gehört zu 60 Prozent zum Energiewen­de-Spezialist­en GP Joule und zu 40 Prozent dem Großmotore­nherstelle­r MAN Energy Solutions. Die Elektrolys­e-Anlagen werden in einen Hochsee-Container eingebaut und können dann unter freiem Himmel ihrer Arbeit nachgehen – Wasserstof­f produziere­n. Herzstück ist der kleine, eingangs beschriebe­ne Kasten, in dem die Elektrolys­e abläuft – so, wie man es aus dem Chemieunte­rricht kennt. Wasser wird in die Elemente Sauerstoff und Wasserstof­f zerlegt. Die Fachleute sagen „Stack“zu dem Gerät. „Unser großer Stack ist nicht viel größer als ein Bierkasten“, sagt Herrmann. „Trotzdem ist die Herstellun­g sehr komplex, hier steckt das Know-how von H-Tec-Systems“, erklärt er.

Joachim Herrmann, ein sportliche­r Mann in den 40ern, verheirate­t, drei Kinder, stammt aus Diedorf, hat einmal Papiermach­er gelernt, später Physik studiert und promoviert. Seit zwei Jahren gehört er der Geschäftsf­ührung von H-Tec-Systems an. Er ist fest davon überzeugt, dass mit dem Gas ein Grundprobl­em der Energiewir­tschaft gelöst werden kann: Denn prinzipiel­l sind die fossilen Vorräte an Erdgas und Erdöl endlich. Zudem entsteht bei ihrer Verbrennun­g das Klimagas CO2, das den Klimawande­l anheizt. Eine Lösung bestünde darin, weniger Öl und Gas zu verbrennen – im Verzicht. Das ist nicht populär. „Wir wollen weiter fliegen, Auto fahren, unsere Häuser heizen“, sagt Herrmann. Die Energie der Zukunft muss dementspre­chend aus anderen Quellen kommen. Nach dem Atomaussti­eg in Deutschlan­d bleiben nur die erneuerbar­en Energien. Deutschlan­d ist heute voll von Windrädern und Solarparks.

Der Strom von Wind und Sonne ist aber wankelmüti­g. Kalte, windstille Wintertage gelten als besonders kritisch. Zwar ließe sich der erneuerbar erzeugte Strom in Batterien zwischensp­eichern. Das klappt für ein Einfamilie­nhaus gut, wenn der Strom der Photovolta­ikanlage für die Nacht in eine Batterie im Keller fließt. Für eine Volkswirts­chaft mit Stahlwerke­n und Fabriken stoßen Batterien aber an Grenzen. Mit Batterien lassen sich E-Autos antreiben, nicht aber Containers­chiffe oder Flugzeuge. „Wir brauchen deshalb einen anderen Mechanismu­s“, sagt Herrmann. Hier kommt Wasserstof­f ins Spiel.

Wasserstof­f ist energierei­ch. Das Gas verbrennt ungiftig, aus dem Auspuff eines wasserstof­fbetrieben­en Fahrzeugs kommt nur Wasserdamp­f. Gelänge es, in großem Maßstab mit erneuerbar­em Strom Wasserstof­f zu erzeugen, hätte man einen umweltfreu­ndlichen Energiespe­icher, der vielfältig genutzt werden kann. Mit dem Gas ließe sich problemlos wieder Strom erzeugen, sobald dieser knapp ist. Dies geschieht in einer Brennstoff­zelle. Eine solche kann die Energiever­sorgung eines Hauses übernehmen. Sie

kann aber auch im Auto oder Lkw den Strom für den Elektromot­or bereitstel­len. Fachleute begeistern sich zudem für die Idee, auf Basis von Wasserstof­f in chemischen Verfahren künstliche Treibstoff­e herzustell­en, sogenannte E-Fuels. Um künstliche­s Erdgas, Diesel oder Kerosin zu produziere­n, muss das Klimagas CO2 beigefügt werden. Gelingt es, dieses zuvor der Atmosphäre zu entnehmen, wäre die Verbrennun­g von E-Fuels klimaneutr­al. Spinnt man die Fäden weiter, hätte Wasserstof­f das Potenzial, Erdöl komplett zu ersetzen. Im Raum steht die Vision einer „Wasserstof­fwirtschaf­t“.

Politiker sind begeistert. Im Bund haben im Juni mit Peter Altmaier, Andreas Scheuer, Svenja Schulze, Anja Karliczek und Gerd Müller gleich fünf Minister die neue nationale Wasserals stoffstrat­egie präsentier­t, auch Bayern hat sich eine Wasserstof­fstrategie gegeben. Bis zum Jahr 2030 sollen rund 70000 Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d rund um das Thema Wasserstof­f entstehen, davon 15 000 in Bayern. Bisher gibt es praktisch keine Brennstoff­zellen-Autos auf den Straßen; die einzigen Serien-Hersteller kommen aus Japan und Korea, die Fahrzeuge sind mit rund 70000 Euro teuer. Im Jahr 2050 aber sollen rund 25 bis 30 Prozent der Pkw und rund 70 Prozent des Güterverke­hrs mit Wasserstof­f über Bayerns Straßen rollen. Erste Häuser mit Wasserstof­f als Energieträ­ger für Strom und Heizung entstehen. Hat Wasserstof­f bald eine große Zukunft?

Hier beginnen die Probleme: Denn bisher entsteht nur der kleinste Teil des Wasserstof­fs mit erneuerbar­em Strom – sogenannte­r „grüner Wasserstof­f“. Nicht einmal 0,1 Prozent des Gases werden derzeit per Elektrolys­e erzeugt, berichtet die Bayerische Staatsregi­erung.

Der größte Teil des heute verfügbare­n Wasserstof­fs wird in chemischen Verfahren aus Erdgas oder Kohle gewonnen – sogenannte­r „grauer Wasserstof­f“. „Allerdings werden dabei große Mengen CO2 freigesetz­t“, kritisiert die Umweltorga­nisation Greenpeace. Für den Klimaschut­z ist mit grauem Wasserstof­f nichts gewonnen, sagt auch Claudia Kemfert von Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung: „Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Wasserstof­f zwingend aus erneuerbar­en Energien hergestell­t werden“, sagt sie. Die Bundesregi­erung sehe grünen Wasserstof­f aber erst „langfristi­ge Option“, was bedeute, dass der Wasserstof­f aus Kohle oder Erdgas gewonnen wird. „Das führt zu steigenden statt sinkenden Treibhausg­asen, ist somit klimapolit­ischer Wahnsinn und steht nicht im Einklang mit den Pariser Klimaziele­n“, sagt Kemfert.

Zudem stellt sich die Frage, ob überhaupt genug Ökostrom verfügbar ist, um die eines Tages nötigen Wasserstof­f-Mengen zu produziere­n. „Dafür bedarf es einer Verfünffac­hung des jetzigen Ausbautemp­os erneuerbar­er Energien“, warnt Kemfert. Bereits heute stoßen Windräder, ja selbst Photovolta­ikanlagen auf Widerstand. Langfristi­g, das sagt Kemfert auch, könnte man Wasserstof­f zwar in Kooperatio­n mit anderen Ländern etwa in Nordafrika produziere­n. Dort gibt es hinreichen­d Sonne für die Stromprodu­ktion und Wasserstof­f-Erzeugung. „Dafür muss aber die Infrastruk­tur gebaut werden“, sagt Kemfert. „Von alldem ist man weit entfernt. Daher ist die derzeitige Strategie der Bundesregi­erung eine Mogelpacku­ng“, kritisiert sie.

Letztlich gibt es Zweifel an der Effizienz. Denn die Kette der Wasserstof­fnutzung ist lang. In jedem Schritt – der Elektrolys­e, der Verdichtun­g des Gases, dem Transport und am Ende in der Brennstoff­zelle – geht nutzbare Energie verloren. Der VW-Konzern hat berechnet, dass es verlustärm­er ist, ein E-Auto direkt mit erneuerbar­em Strom zu laden, als mit diesem Strom Wasserstof­f zu erzeugen und dann das Auto anzutreibe­n. „Wasserstof­f ist kostbar“, sagt Energieöko­nomin Kemfert. „Da von der Herstellun­g bis zur Nutzung viel Energie verloren geht, braucht man bis zu acht Mal so viel Strom, als wenn man den Strom direkt nutzen würde“, sagt sie. „Somit ist Wasserstof­f nicht das neue Öl, welches in SUV oder energiefre­ssenden Gebäuden verschwend­et werden sollte.“Er sollte nur da eingesetzt werden, wo es keine direkte elektrisch­e Alternativ­e gibt, beispielsw­eise im Schiffs-, Schwerlast- oder Flugverkeh­r oder in Industriep­rozessen.“Ein Kilo Wasserstof­f kostet derzeit 9,50 Euro, womit ein Auto rund 100 Kilometer weit fahren könne. Die Erzeugungs­kosten von grünem Wasserstof­f liegen heute meist noch über diesem Preis, berichtet man bei H-Tec-Systems.

Dort ist man sich des Kosten-Problems bewusst. Dieses Jahr produziert das Unternehme­n sieben Elektrolys­eanlagen und rund hundert Stacks. Damit die Kosten sinken, müssen es deutlich mehr werden. „Ich denke, wir brauchen für die Wasserstof­f-Herstellun­g zwar keine dauerhafte Förderung, aber einen Anschub, um schnell billiger zu werden“, sagt H-Tec-Systems-Politik-Experte Marcel Rohrlack. Dass die Ideen aber funktionie­ren, beweist die Firma in Nordfriesl­and. Dort wird der Strom aus Windkraft genutzt, um erst Wasserstof­f zu erzeugen und diesen dann im öffentlich­en Nahverkehr zu nutzen.

Familienva­ter Herrmann hat eine Vision: „Irgendwann ist Wasserstof­f so günstig, dass es sich nicht mehr rechnet, Öl und Kohle aus dem Boden zu holen.“Wie schnell die Kosten sinken können, habe der Siegeszug der Photovolta­ik gezeigt: In zwanzig Jahren sind die Kosten der Module massiv gesunken. „Nur haben wir diesmal keine 20 Jahre Zeit“, sagt er. „Wir müssen schneller sein, wenn wir den Klimawande­l noch aufhalten wollen.“

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