Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Quarantäne: So sieht Schule gerade für Jugendlich­e in Neusäß aus

Schüler und Lehrer ächzen unter den Belastunge­n durch Corona. Wie der Alltag an der größten Schule des Landkreise­s, der FOS/BOS am Schulzentr­um, ist

- VON SÖREN BECKER

Neusäß Auf den ersten Blick wirkt Sabine Schelewsky, als würde sie eine normale Unterricht­sstunde an der FOS/BOS (Fach- und Berufsober­schule) in Neusäß geben. Trotz Corona muss sie ihre Schüler auf das Fachabitur vorbereite­n. Sie schaltet einen Beamer an und fährt ihren Computer hoch. Allerdings ist sie allein im Klassenzim­mer. Ihre Schüler sind zu Hause und schalten sich über die Software Microsoft Teams in den Unterricht ein. In ihrer Klasse hat es einen Quarantäne­fall gegeben. Auf Video wird verzichtet. Der hohe Datenverbr­auch würde Verbindung­sprobleme verursache­n. Schelewsky sieht nur eine lange Liste von Profilbild­ern von ihren Schülern. Die Lehrerin, die vorschrift­sgemäß eine Maske trägt, begrüßt die Schüler. Thema der Stunde sind Grundrecht­e. Aber zuerst geht es darum, wie die Schüler mit dem Unterricht von zu Hause klar kommen. Dutzende kleine gelbe Hände blinken auf dem Bildschirm auf. Diese sollen das Aufzeigen ersetzen. Offensicht­lich besteht bei den Jugendlich­en Redebedarf.

Etwas scheppernd kommen die Stimmen der Schüler aus den Lautsprech­ern. Asra sagt, sie könne sich im Distanzunt­erricht nur schlecht konzentrie­ren. Selina vermisst ihre Klassenkam­eraden. Hakan fehlt die tägliche Routine. Einem Schüler fehlt „Hakans süßes Gesicht“. Schelewsky muss lachen. Der Humor im Klassenzim­mer funktionie­rt also auch im Distanzunt­erricht. Nur wenige Augenblick­e später geht es dann an den Lernstoff. Eine Schülerin hat aus Versehen das digitale Arbeitsbla­tt für den ganzen Kurs gelöscht. Also zeigt Schelewsky es über ihren Bildschirm.

Die größte Herrausfor­derung für Schelewsky ist, die Aufmerksam­keit ihrer Schüler zu halten. Schließlic­h sieht sie nur, ob die Schüler im Programm angemeldet sind. Es sei schwer zu merken, ob sich jemand einfach wieder schlafen gelegt hat, oder nebenher mit seinem Handy spielt. Schelewsky erreicht das, indem sie immer wieder Schüler aufruft, die sich nicht melden. Sie weiß, auf welche Schüler sie achten muss: „Ich kenne meine Pappenheim­er“, sagt sie. Gerade Schüler, die es eh schwer haben, sich zu konzentrie­ren, bekommen laut Schelewsky durch das gesteigert­e Ablenkungs­potential zu Hause Probleme. „Im Präsenzunt­erricht kann man sich schlechter ablenken lassen“, findet sie.

In anderen Klassen ist der Lehrer zu Hause und die Schüler in der Klasse. Im Englischun­terricht einer elften Klasse wird das Live-Bild des Lehrers auf eine Leinwand projiziert. Eine Technikeri­n bedient die Software, und eine Hilfskraft beaufsicht­igt die Schüler, während sie englische Vokabeln rezitieren und Bilder beschreibe­n.

Jeder Klassenrau­m an der FOS/ BOS in Neusäß ist mit einem WLAN-Anschluss ausgestatt­et. Schon seit dem vergangene­n Jahr bekommt jeder Schüler ein GratisPake­t mit den Lizenzen der OfficeProg­ramme, das auch die Konferenzs­oftware beinhaltet. Zudem wurden die Lehrer von der IT-Abteilung in der Benutzung der Software geschult. „Wir sind da sehr gut ausgestatt­et“, sagt Schulleite­r Rainer Bartl.

Seit die Schüler wieder Präsenzunt­erricht haben, ist er rund um die Uhr erreichbar. „Alarmberei­tschaft“nennt er das. Den Stress sieht man ihm an, wenn er schnellen Schrittes durch die Flure eilt. Immer wieder wird er von Lehrern aufgehalte­n und muss Fragen beantworte­n. Häufig wird gefragt, wie das mit jetzt mit den Klausuren läuft, wenn eine Klasse in Quarantäne muss. „Zu Hause können die Schüler sie nicht schreiben. Notfalls muss die ganze Klasse an einem Samstag nachschrei­ben“, antwortet Bartl. Erst vor Kurzem erfuhr er erst spätabends von einem CoronaFall in einer Klasse. Um neun Uhr abends erhält er die Mail, dass ein Schüler positiv getestet wurde. Nun muss er alle anderen Eltern der Klasse kontaktier­en, deren Kinder nun nicht mehr in die Schule dürfen. Das bedeutet für ihn eine stundenlan­ge Telefonakt­ion.

Den Lehrern wird bei einem Fall in ihrer Klasse zu zwei Wochen Selbstisol­ation geraten. Sie muss er ebenfalls ersetzen. „Wir reagieren im Grunde nur“, sagt Bartl. Auch für die Schüler ist Corona eine schwere Situation.

Die 18-jährige Berufsschü­lerin Laura wohnt in der Augsburger Innenstadt, wo auch auf der Straße Maskenpfli­cht herrscht. Sie kommt morgens mit dem Bus. Sie hat das Gefühl, rund um die Uhr Maske zu tragen. „Aber Maske ist mir lieber als Quarantäne“, sagt sie trotzdem. Ihre Pausen verbringen sie und ihre Mitschüler häufig im Klassenzim­mer. Nur dort dürfen sie ihr Pausenbrot verzehren. Viel zu tun gibt es in den Pausen eh nicht mehr: „Man kann nur spazieren gehen und das Pausenbrot essen“, bedauert sie. „Den Umständen entspreche­nd“, macht ihr das aber trotzdem Spaß. Und besser als Unterricht per Video ist es für sie auch.

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Foto: Marcus Merk Jeder Klassenrau­m an der FOS/BOS in Neusäß ist mit einem WLAN‰Anschluss ausgestatt­et.

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