Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Klicks statt Applaus
An Infoständen und bei Wahlveranstaltungen versuchen Parteimitglieder sonst, Menschen für ihre Partei zu begeistern. Heuer fällt vieles aus, gleichzeitig schrumpfen die Parteien. Braucht es die Basis überhaupt noch?
Mainz/Waiblingen Raphael Wedemeyer erinnert sich noch an den Moment, als er sich entschloss, bei der FDP einzutreten. 2017 war er auf einer Veranstaltung für die Europaund Kommunalwahl, Christian Lindner war da, die Stimmung war toll. „Das war fast schon emotional“, sagt er. Der heute 19-Jährige ist immer noch Mitglied der Jungen Liberalen und hilft seiner Partei in der anstehenden Landtagswahl in Rheinland-Pfalz.
Wedemeyer bewegt sich gegen den Trend. Denn immer weniger Menschen engagieren sich in Parteien. Am stärksten traf der Mitgliederschwund im vergangenen Jahr die AfD. Die Partei verlor 7,9 Prozent ihrer Basis und hatte Ende 2020 nur noch 32000 Mitglieder. Die SPD musste einen Verlust von 3,6 Prozent einstecken, hat aber weiterhin die meisten Mitglieder, nämlich 404305. CDU und CSU verloren beide um die zwei Prozent, die Linke fast ein Prozent. Wedemeyers FDP geht aktuell von rund 66000 Mitgliedern aus, eine leichte Steigerung. Allerdings sind die Zahlen der
Freidemokraten wegen „coronabedingten Verzögerungen im Aufnahmeprozess“bislang nur Schätzungen. Die Grünen sind im vergangenen Jahr am stärksten gewachsen. Nach Daten vom November 2020 hat die Partei 106000 Mitglieder – ein Zuwachs von 9,9 Prozent seit dem Jahreswechsel.
Nicht nur die Anzahl der Parteimitglieder schwindet, sondern wohl auch ihre Bedeutung. Parteienforscher Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erklärt, dass Mitgliedsbeiträge inzwischen oft weniger als ein Viertel der Parteienfinanzierung ausmachen. Spenden und Kofinanzierung durch den Staat stellen den größeren Anteil. Für die Mobilisierung im Wahlkampf spielt die Zahl der Parteimitglieder nach Einschätzung Merkels ebenfalls keine entscheidende Rolle mehr. „Das wird inzwischen von professionellen Agenturen organisiert und spielt sich stark in sozialen Medien ab“, sagt er. Parteimitglieder sehen das anders. Sie kleben Plakate, verteilen Flyer, sorgen für Stimmung. Sie fühlen sich auch heute noch gebraucht.
Dabei findet der Wahlkampf wegen der Corona-Pandemie diesmal ohnehin stärker online statt als je zuvor. Manche Dinge ändern sich laut FDP-Mitglied Wedemeyer aber trotzdem nicht. Neulich hat er zum Beispiel stundenlang in Mainz Plakate aufgehängt. Nur – große Veranstaltungen mit toller Stimmung wird es dieses Jahr nicht geben. „Das fehlt“, sagt er. Trotzdem müsse die Basis das Beste geben. Statt Veranstaltungen gibt es viele Aktionen der Kandidaten im Internet. Dorthin verlagert sich die Wahlkampfhilfe der Parteibasis. Auch da braucht es Applaus. Kommentare, Likes und Klicks bezeichnet Wedemeyer als die Währung des OnlineWahlkampfs.
Auch die SPD Rheinland-Pfalz erzählt, dass online in Kommentarspalten die Parteibasis gebraucht wird. „Sie halten dagegen, wenn rechte Trolle und Hetzer unterwegs sind, und treten für die Themen der SPD ein“, sagt ein Sprecher. Der Landesverband sei begeistert, wie kreativ die Parteimitglieder mit diesem Wahlkampf umgingen.
Eine solche kreative Lösung sind beispielsweise kontaktlose Infostände, von denen das Mainzer SPDMitglied Erik Donner erzählt. Mit Greifzangen, die eigentlich zum Müllaufsammeln gedacht sind, verteilen er und seine Mithelfer Kugelschreiber und kleine Geschenke in Brottüten. Damit ist der Sicherheitsabstand immer gewahrt. „Das kommt bei den Leuten sehr gut an“, erzählt Donner. Der 32-Jährige findet, dass auch aktuell die Basis sehr gebraucht wird. „Es ist allein schon wichtig, wenn alle ihren Bekanntenkreis auf die Wahl ansprechen.“
In Baden-Württemberg sehen die Grünen das ganz ähnlich. „Alles, was man an organischer Reichweite hat, muss man nicht noch extra bezahlen“, sagt ein Sprecher. Das ist zum einen digital der Fall, wenn Mitglieder Botschaften der Partei teilen und liken. Zum anderen auch analog. Bei einer Aktion namens „Call your friends“, übersetzt „Ruf deine Freunde an“, soll die grüne Basis möglichst viele Freunde und Bekannte anrufen und auf die Wahl ansprechen.
Auch der Klassiker schlechthin, Flyer verteilen, ist weiterhin Aufgabe der Parteibasis. Diese Flyer weisen teilweise auf Online-Angebote hin. So bei Swantje Sperling, die für die Grünen im Landkreis Waiblingen kandidiert. Sie erzählt, Parteimitglieder hätten ihr geholfen, 25 000 Flyer für digitale Wahlveranstaltungen zu verteilen.
Die CDU Baden-Württemberg betont, dass die Mitglieder auch inhaltlich helfen. In digitalen Themenkonferenzen sei das Wahlprogramm erarbeitet worden. Generalsekretär Manuel Hagel sagt, die Basis gebe der CDU vor Ort ein Gesicht. „Gerade in Zeiten von Corona sind unsere Mitglieder eine unverzichtbare Stütze“, sagt Hagel.