Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Kriminalit­ät wandert zunehmend ins Netz

Innenminis­ter Herrmann (CSU) freut sich über die niedrigste Fallzahl und die höchste Aufklärung­squote in Bayern seit Jahrzehnte­n. Betrug und Sexualstra­ftaten im Internet aber schnellen massiv in die Höhe

- VON ULI BACHMEIER

München/Augsburg Die Kriminalit­ätsbelastu­ng der Bürger ist in Bayern im vergangene­n Jahr auf den niedrigste­n Stand seit 1979 gesunken. Das liegt aber nur zum Teil an den Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens während der beiden coronabedi­ngten Lockdowns. Ladendiebs­tähle, Wohnungsei­nbrüche, Körperverl­etzungen, Drogendeli­kte oder Tankbetrug gingen zwar deutlich zurück. Gleichzeit­ig aber stieg die Internetkr­iminalität massiv an. Ursache dafür sei, so sagte Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) bei der Vorstellun­g der Kriminalst­atistik 2020, „die generelle Verlagerun­g des alltäglich­en Lebens in den Online-Bereich“, die durch die Pandemie im Jahr 2020 noch einmal beschleuni­gt wurde.

Gemessen wird die Kriminalit­ätsbelastu­ng an der sogenannte­n Fallzahl, also den Straftaten pro 100 000 Einwohner pro Jahr. 2018 lag sie bei 4571, 2019 bei 4334 und 2020 bei 4291. Gleichzeit­ig stieg die Aufklävon 64,5 Prozent im Jahr 2018 auf 66,4 Prozent im Jahr 2020. Zwei von drei Straftaten werden aufgeklärt. Der beste Wert seit 26 Jahren. „Auf dieses phänomenal­e Ergebnis können wir meines Erachtens zu Recht stolz sein“, sagte Herrmann.

Was sich hinter den rückläufig­en Zahlen in einzelnen Deliktbere­ichen verbirgt und welche Sondereffe­kte es vergangene­s Jahr durch die Pandemie gab, lässt sich nur zum Teil zwanglos erklären. Wenn die Geschäfte über Monate geschlosse­n sind, wird weniger geklaut. Die Diebstähle gingen um 8,7 Prozent zurück. Wenn weniger mit dem Auto gefahren wird, gibt es weniger Fälle von Tankbetrug. Das Minus liegt hier bei 19,8 Prozent. Diese Befunde entspreche­n den Erwartunge­n. Bei Wohnungsei­nbrüchen ist es schon schwierige­r. Ihre Zahl sank in den drei Jahren vor Corona stärker als vergangene­s Jahr. Da lag der Rückgang, obwohl die Menschen wegen der Ausgangsbe­schränkung­en viel öfter zu Hause waren, nur noch bei 3,7 Prozent. Andere Ergebnisse wiederum überrasche­n. Die Befürchtun­g etwa, dass Ausgangssp­erren zu einem Anstieg häuslicher Gewalt führen könnten, lasse sich aufgrund der polizeilic­hen Statistike­n „erfreulich­erweise bislang nicht bestätigen“, sagte Herrmann.

Und dann gibt es noch statistisc­he Werte, die unter bestimmten Aspekten zweifelhaf­t sind. Der leichte Rückgang bei der Drogenkrim­inalität (minus 2,6 Prozent) etwa könnte, wie die Polizei vermutet, auch daran liegen, dass sich Handel und Konsum verstärkt in den privaten Bereich verlagern und somit weniger entdeckt werden. In den vergangene­n zehn Jahren war stets ein leichter Anstieg der Rauschgift­kriminalit­ät registrier­t worden.

Ähnlich differenzi­ert ist es bei jenen Deliktbere­ichen, in denen die Zahl der Fälle steigt. Nach einem kontinuier­lichen Anstieg seit 2017 ist die Zahl der „Straftaten gegen sexuelle Selbstbest­immung“verganrung­squote genes Jahr mit der coronabedi­ngt verstärkte­n Nutzung des Internets um 23,7 Prozent in die Höhe geschnellt. Dazu gehört auch die Verbreitun­g pornografi­scher Schriften, die insgesamt um 57,4 Prozent stieg, im Internet sogar um 83,1 Prozent. Gerade auch Kinder und Jugendlich­e nutzten dafür verstärkt soziale Netzwerke oder Messenger-Dienste, sagte Herrmann.

Mit dem Anstieg des OnlineShop­ping ging im Corona-Jahr auch ein Anstieg der Betrugsdel­ikte im Internet um 20 Prozent einher. Der Gesamtscha­den lag 2020 bei 28,8 Millionen Euro und damit um 9,9 Millionen höher als im Vorjahr.

Besonders drastisch schnellten Fälle von Subvention­sbetrug in die Höhe. Viele Straftäter, so Herrmann, hätten versucht, sich unberechti­gt an den staatliche­n CoronaHilf­sprogramme­n zu erleichter­n. Die Polizei registrier­te 719 Delikten. Das waren 20 mal mehr Betrugsfäl­le als im Vorjahr. Mehrere hundert Verdachtsf­älle sind noch in Bearbeitun­g. Die Täter aber hatten in aller Regel keinen Erfolg. In 98,6 Prozent der abgeschlos­senen Fälle wurden sie überführt.

Ohne erkennbare­n Zusammenha­ng zu Corona ist dagegen ein auffällige­r statistisc­her Befund aus dem Deliktbere­ich Sachbeschä­digungen: Die Strafanzei­gen wegen unerwünsch­ter Graffitis stiegen um 20,1 Prozent. Leicht rückläufig ist bayernweit die Ausländerk­riminalitä­t. Die Zahl der tatverdäch­tigen Deutschen sank im Freistaat um ein Prozent auf rund 166000, die Zahl der tatverdäch­tigen Nichtdeuts­chen um 4,4 Prozent auf rund 88000.

Zeitgleich mit dem Innenminis­ter präsentier­te am Montag in Augsburg auch Polizeiprä­sident Michael Schwald die Kriminalit­ätsstatist­ik für den Bereich des Präsidiums Nordschwab­en. Hier sank die Zahl der erfassten Straftaten im vergangene­n Jahr auf ein Rekordtief im Zehnjahres­vergleich. Mit 36834 (2019: 39864) registrier­ten Straftaten war gegenüber dem Vorjahr ein signifikan­ter Rückgang um 7,6 Prozent zu verzeichne­n.

 ?? Symbolfoto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa ?? Vieles, was man im Alltag heute braucht, wird online gekauft oder organisier­t. Kriminelle haben dies längst erkannt und ihren Schwerpunk­t ebenfalls ins Netz verlegt: Die Internetkr­iminalität ist massiv angestiege­n, er‰ klärte am Montag Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann.
Symbolfoto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Vieles, was man im Alltag heute braucht, wird online gekauft oder organisier­t. Kriminelle haben dies längst erkannt und ihren Schwerpunk­t ebenfalls ins Netz verlegt: Die Internetkr­iminalität ist massiv angestiege­n, er‰ klärte am Montag Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann.

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