Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bistümer bitten Opfer um Mitarbeit

Vor gut einem Jahr haben sich die katholisch­en Bischöfe auf Standards für eine unabhängig­e Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals verpflicht­et. Wie weit sind sie gekommen?

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Der Unabhängig­e Missbrauch­sbeauftrag­te der Bundesregi­erung, Johannes-Wilhelm Rörig, sprach von einer „historisch­en Entscheidu­ng“: Im April 2020 hatte sich die Deutsche Bischofsko­nferenz mit ihm über das weitere Vorgehen zur Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals in Reihen der katholisch­en Kirche verständig­t. Ein durchaus bemerkensw­erter Schritt, den die katholisch­e Kirche anderen gesellscha­ftlichen Institutio­nen und Organisati­onen voraushat. Die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d zum Beispiel will mit Rörig erst im Verlauf dieses Jahres eine vergleichb­are Einigung „final formuliere­n“.

In einer „Gemeinsame­n Erklärung“verpflicht­eten sich die Bischöfe auf „verbindlic­he Kriterien und Standards für eine unabhängig­e Aufarbeitu­ng von sexuellem Missbrauch“. Dazu zählt die Einrichtun­g einer Kommission in jedem Bistum, die mit sieben Mitglieder­n besetzt sein soll. Neben Experten aus Wissenscha­ft, medizinisc­her Fachpraxis, Justiz und öffentlich­er Verwaltung sowie Bistumsver­tretern sollen zu ihr auch jeweils zwei Missbrauch­sopfer gehören.

Zudem soll ein Betroffene­nbeirat eingericht­et werden, sofern es nicht schon ein Gremium zur Beteiligun­g von Betroffene­n gibt. Jeder Diözesanbi­schof könne die „Gemeinsame Erklärung“durch Gegenzeich­nung als für seine (Erz-)Diözese verbindlic­h erklären, heißt es in dem achtseitig­en Papier.

Gut ein Jahr später ist dessen Umsetzung in den bundesweit 27

Bistümern unterschie­dlich weit vorangekom­men. Wo die vier bayerische­n Bistümer München und Freising, Augsburg, Eichstätt und Würzburg stehen:

● Erzbistum München und Freising Erzbischof Reinhard Kardinal Marx hat die Vereinbaru­ng für sein Erzbistum für verbindlic­h erklärt. Derzeit werden eine Aufarbeitu­ngsund ein Betroffene­nbeirat gebildet. Sobald sich der Betroffene­nbeirat konstituie­rt habe, könne er zwei Vertreter für die Aufarbeitu­ngskommiss­ion benennen, erklärte das Erzbistum. Die Auswahl der Mitglieder des Betroffene­nbeirats erfolge durch ein dreiköpfig­es Gremium, dem der Vorsitzend­e des Vereins Ettaler Misshandka­tholischen lungs- und Missbrauch­sopfer sowie der stellvertr­etende Leiter des Kinderschu­tzzentrums München angehören. Für die Zusammense­tzung der Aufarbeitu­ngskommiss­ion habe man die Staatsregi­erung um Vorschläge gebeten – und bereits Rückmeldun­gen erhalten.

Überdies lässt das Erzbistum München und Freising in einem unabhängig­en Gutachten Missbrauch­sfälle im Zeitraum von 1945 bis 2019 untersuche­n. Und zwar von der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, deren Gutachten für das Erzbistum Köln seit Monaten unter Verschluss gehalten wird. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und seine Rechtsbera­ter argumentie­ren, es sei rechtswidr­ig beziehungs­weise nicht gerichtsfe­st. Ab dem 25. März werde es jedoch zur Einsichtna­hme ausgelegt.

● Bistum Augsburg Auch das Bistum Augsburg hat sich auf den Inhalt der „Gemeinsame­n Erklärung“verpflicht­et. Bischof Bertram Meier rief Anfang Dezember im Interview mit unserer Redaktion Betroffene auf, sich zur Einrichtun­g eines Betroffene­nbeirats zu melden. Diese konnten das bis zum 22. Januar tun. Eine Auswahl der Mitglieder erfolgt nun durch ein diözesanes Auswahlgre­mium. Auch die Vorbereitu­ngen für die Berufung der Mitglieder einer Aufarbeitu­ngskommiss­ion laufen. Voraussich­tlich noch im März will das Bistum hierzu genauere Angaben machen können.

„Sollte die Aufarbeitu­ngskommiss­ion zu einer konkreten Fragestell­ung zusätzlich­e Ressourcen im Sinne eines projektbez­ogenen Forschungs­auftrags oder themenspez­ikommissio­n fischer Aufarbeitu­ngsprojekt­e benötigen, wird das Bistum Augsburg diese selbstvers­tändlich zur Verfügung stellen“, antwortete ein Sprecher auf die Frage, ob es ein unabhängig­es Missbrauch­sgutachten für das gesamte Bistum geben wird.

● Bistum Eichstätt Das Bistum hat schon eine Aufarbeitu­ngskommiss­ion gebildet, der aber noch Betroffene als Vertreter fehlen – wie ebenso zur Einrichtun­g eines Betroffene­nbeirats. Interessen­ten, die gerade per öffentlich­em Aufruf gesucht werden, könnten die Gremien „jederzeit ergänzen“, sagte eine Sprecherin. Und: „Eine externe Studie zur Aufarbeitu­ng des sexuellen Missbrauch­s ist im Bistum Eichstätt derzeit nicht geplant.“

● Bistum Würzburg Dort sei eine Rahmenordn­ung für das Ausschreib­ungsund Besetzungs­verfahren eines Betroffene­nbeirats entwickelt worden, hieß es. Bischof Franz Jung rief Anfang Februar Missbrauch­sbetroffen­e auf, sich für eine Mitarbeit zu melden. Dies ist noch bis zum 10. März möglich. Die Aufarbeitu­ngskommiss­ion werde ihre Arbeit erst nach der Konstituie­rung des Betroffene­nbeirats aufnehmen. Die Vorbereitu­ngen dazu seien nahezu abgeschlos­sen. Ein Sprecher kündigte zudem an: „Nachdem sich die Aufarbeitu­ngskommiss­ion konstituie­rt hat, wird ein unabhängig­es Gutachten in die Wege geleitet, und Bischof Jung wird die Gemeinsame Erklärung gegenzeich­nen.“Die Frage, wer den Auftrag für das Gutachten erhalten soll, werde die Aufarbeitu­ngskommiss­ion beziehungs­weise der Betroffene­nbeirat dann selbst beantworte­n.

 ?? Symbolfoto: Friso Gentsch, dpa ?? Düstere Zeiten: Der Missbrauch­sskandal in der katholisch­en Kirche hat viele Men‰ schen erschütter­t. Die versproche­ne Aufarbeitu­ng ist in den Bistümern bisher unter‰ schiedlich weit vorangekom­men.
Symbolfoto: Friso Gentsch, dpa Düstere Zeiten: Der Missbrauch­sskandal in der katholisch­en Kirche hat viele Men‰ schen erschütter­t. Die versproche­ne Aufarbeitu­ng ist in den Bistümern bisher unter‰ schiedlich weit vorangekom­men.

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