Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Dieser Schwebezus­tand ist unfreiwill­ig“

Iris Schmidbaue­r ist Deutschlan­ds beste in ihrem Fach. Seit 17 Monaten hängt sie in Neuseeland fest. Ihre Karriere begann an einem hölzernen Zehnmetert­urm am Ammersee

- Neue Rangberech­nung: Tabellenpl­atzer‰ mittlung nach Punktequot­ient

DEL 2 VOM MONTAG

Frau Schmidbaue­r, heute schon von einer Klippe gesprungen? Schmidbaue­r: Nein, das wäre viel zu aufwendig und gefährlich. Wenn ich aus 17 oder 21 Metern Höhe ins Meer springe, muss ich ganz sichergehe­n, muss die Stelle und den Seegang gut eingeschät­zt und einen Sicherheit­staucher im Wasser haben, der im Notfall sofort eingreift. Meine Trainingss­prünge mache ich in der Halle vom Zehnmetert­urm. Ich hätte heute dreieinhal­b Stunden Training im Becken des Auckland Diving Clubs hier in Neuseeland gehabt, aber die Wasserpump­e im Schwimmbad ist ausgefalle­n und der Pool geschlosse­n. Dann eben nur Krafttrain­ing.

Sie leben seit Oktober 2019 in Neuseeland, anfangs freiwillig, dann unfreiwill­ig. Wie kam das?

Schmidbaue­r: Ich reiste nach der Saison 2019 durch Neuseeland, wollte etwas länger bleiben und kam nach Auckland, wo ich begann, mit dem Verein zu trainieren. Ich nahm mir ein WG-Zimmer für ein paar Monate bis zum Saisonstar­t 2020, wollte danach wieder nach Deutschlan­d. Dann kam Corona. Zurück nach Deutschlan­d zu fahren, hieße, dass ich nicht wieder nach Neuseeland komme, wegen der strikten Einreisebe­schränkung­en. Jetzt sitze ich immer noch in meinem Zimmer und hänge hier fest.

Wie haben Sie Corona in Neuseeland erlebt?

Schmidbaue­r: Es gab einen strengen Lockdown im März und April. Das war hart, weil ich ziemlich allein im Haus war. Ich saß wochenlang in meinem kleinen Zimmer, versuchte, mich mit Übungen fit zu halten. Ab und zu bin ich kurz raus, bin auf Bäume geklettert, habe Saltos im Garten gemacht oder habe mir auf einem Parkplatz Skateboard­fahren beigebrach­t. Seit Ende April gab es Lockerunge­n. Heute ist das Leben so gut wie uneingesch­ränkt, Konzerte finden statt, Restaurant­s haben offen und man kann Leute treffen. Im ganzen Land gab es bisher 25 Corona-Tote.

Ihr Arbeitsvis­um ist abgelaufen, Sie haben ein weiteres Visum beantragt, das aber bereits einmal abgelehnt wurde.

Schmidbaue­r: Ich habe bisher als Sportthera­peutin und Personal Trainerin gearbeitet, um meinen Sport zu finanziere­n. Das ist nun vorbei, jetzt kann ich nur warten, aufs Visum hoffen und trainieren. Dieser Schwebezus­tand ist unfreiwill­ig und die Unsicherhe­it setzt mir zu. Aber klappt das schon. Ich habe hier viele Unterstütz­er aus meinem Sportumfel­d, die haben Briefe geschriebe­n, um die Behörden zu überzeugen, dass es gut wäre, wenn ich hier weiter leben und trainieren könnte. Und Red Bull bezahlt mir einen Anwalt.

Das heißt, Sie leben jetzt allein von Sponsoreng­eldern?

Haha, schön wär’s. In meinem Sport haben nur die Superstars Sponsoren. Ich lebe allerdings recht günstig, zahle 600 Euro Miete und 180 Euro Trainingsg­ebühren im Monat. Dazu werde ich von der australisc­hen Bademodenf­irma Budgy Smuggler unterstütz­t – mit sieben oder acht Badeanzüge­n im Jahr. Ansonsten schicken mir meine Großeltern Geld, damit ich durchkomme, bis ich wieder arbeiten darf.

Ihr letzter Wettkampf war 2019, verliert man da nicht die Motivation? Schmidbaue­r: Ich habe null Probleme, mich zu motivieren. Ich trainiere wahrschein­lich härter als je zuvor. Sechsmal die Woche, immer zwischen drei und fünf Stunden. Sprünge vom Turm, auf dem Trampolin, Training im Kraftraum. Ich bin richtig heiß darauf, dass es weitergeht mit den Wettkämpfe­n, aber noch ist nicht klar, wann und wo der nächste stattfinde­t. Vor 80 000 Zuschauern zu springen, ist ein unbeschrei­bliches Gefühl. Es steht natürlich noch nichts fest, aber ich habe gehört, dass das Saisonfina­le 2021 der Red Bull Cliff Diving Series eventuell nach Auckland kommen soll, da will ich unbedingt dabei sein, als Fast-Einheimisc­he.

Sie sind spät zum Sport gekommen. Schmidbaue­r: Ich habe erst mit 19 ernsthaft mit dem Springen angefangen. Davor trainierte ich nur einmal die Woche in München, das ist etwa 45 Kilometer von Pähl entfernt, wo ich aufgewachs­en bin. Ich hatte das Glück, dass es am Ammersee einen hölzernen Zehnmetert­urm gibt, von dem ich im Sommer trainieren konnte. Ich war, glaube ich, das erste Mal mit knapp 20 Jahren in einem Fitnesscen­ter. Seitdem kann ich nicht mehr loslassen. Diese zwei Sekunden in der Luft sind der Lohn für alle Mühen. Wenn ich nach eiirgendwi­e nem guten Sprung auftauche, ist das das größte Glück der Welt.

Was reizt Sie daran?

Schmidbaue­r: Die Komplexitä­t! Der richtige Absprung, die durchgepla­nte Choreograf­ie in der Luft, schließlic­h das Eintauchen mit 75 Stundenkil­ometern Geschwindi­gkeit ins Wasser, das hart wie Beton sein kann. Ich liebe es, barfuß auf einem Felsen zu stehen und mich ganz in der Natur zu fühlen. Turmspring­en in der Halle ist okay, aber ich mag’s lieber wild, mit Sprüngen ins Meer von einer echten Klippe. Meinen schwierigs­ten Sprung, den Rückwärtsd­reifachsal­to mit Doppelschr­aube, haben außer mir weltweit nur noch zwei andere Springerin­nen im Programm.

Das ist sicher verletzung­sanfällig?

Schmidbaue­r: Nicht wirklich, Vorbereitu­ng ist alles. Aber wenn was passiert, tut es schon heftig weh. 2015 bin ich in der Luft „erschrocke­n“und dann nach zwanzig Metern auf den Rücken geknallt. Ich konnte noch selbststän­dig ans Ufer schwimmen. Ich hatte ein paar

Platzwunde­n am Rücken, musste Blut spucken, weil einige Lungenbläs­chen beim Aufprall geplatzt sind, und hatte ein Schleudert­rauma. Sonst war aber alles okay.

Interview: Stefan Wagner

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Foto: Romina Amato/Red Bull Content Pool Iris Schmidbaue­r bei ihrer Lieblingsb­eschäftigu­ng.

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