Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum Deutschlan­d kaum noch Krise kann

Die Fähigkeit zur Krisenabwe­hr hat angesichts lähmender Strukturen und Mentalität­en eine bedenklich­e Schwäche erreicht. Nicht nur die Politik muss umdenken

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger‰allgemeine.de

Angela Merkel wird fraglos als Krisenkanz­lerin in die bundesrepu­blikanisch­e Geschichte eingehen. Ähnlich wie einst Helmut Schmidt, auch wenn der Sozialdemo­krat mit gänzlich anderem Regierungs­stil seinen Ruf als exzellente­r Krisenmana­ger erwarb, sei es bei der Hamburger Sturmflut, der Ölkrise oder dem linksextre­men RAF-Terror der Siebzigerj­ahre. Angela Merkel erwarb sich ihren Nimbus in der Finanzkris­e 2008: Die CDUKanzler­in gab an der Seite ihres SPD-Ministers Peer Steinbrück eine Staatsgara­ntie für die Spareinlag­en der Bürger und verhindert­e damit ein völlig unkontroll­ierbares Übergreife­n der US-Krise auf die deutsche Wirtschaft.

Merkels Regierung zeichnete damit eine Blaupause, die in der nächsten Krise die Kanzlerin selbst aus einer verfahrene­n Situation rettete. Die Finanzkris­e löste die Euro-Schuldenkr­ise aus. Vier Jahre nach Merkel war es dann EZBChef Mario Draghi, der mit einer ähnlichen Garantie die Krise unter Kontrolle brachte. Sein „Was auch immer nötig ist“– „What ever it takes“– rettete wohl den Euro.

Man stelle sich vor, Merkel und Steinbrück hätten vor ihrem Auftritt zweiwöchen­tlich in neunstündi­gen Konferenze­n alle 16 Finanzmini­ster und Ministerpr­äsidenten um Zustimmung oder um Kompromiss­e bitten müssen: Die Finanzkris­e hätte wohl mit verheerend­en Folgen Deutschlan­ds Wirtschaft verwüstet.

Es geht aber nicht nur um Bundesoder Länderkomp­etenzen.

Die Bundeszust­ändigkeit rettete Merkel nicht davor, dass ihr Nimbus in der Flüchtling­skrise Schaden nahm. Statt in Länderkonf­erenzen scheiterte sie in vergleichb­aren Runden der EU-Regierungs­chefs. Koalitione­n aus 16, 27 oder 28 Partnern sind schon in normalen Zeiten schwer handlungsf­ähig, in Krisen drohen sie selbst zur politische­n

Katastroph­e zu werden. Vom Asylstreit hat sich Europa bis heute nicht erholt. Das lebensgefä­hrliche europäisch­e Impfversag­en ist eine Folge von Konferenze­n der EUMitglied­staaten, so wie die BundLänder-Runden Deutschlan­ds verheerend­er zweiter Corona-Welle zu wenig entgegense­tzen konnten.

Im Kalten Krieg setzte Deutschlan­d angesichts unkalkulie­rbarer

Gefahren militärisc­her Konflikte auf einen zentralen Bundeskata­strophensc­hutz. Nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n sparte sich die Bundesrepu­blik den einheitlic­hen Zivilschut­z. Die Annahme lautete, Naturkatas­trophen treten regional auf. Dies entlarvte Corona als Trugschlus­s. Ähnliches könnte mit dem Klimawande­l drohen.

Ein bundesweit­er Katastroph­enschutz-Stab wäre in der Pandemie vermutlich hilfreich gewesen. Eine

Garantie dafür besteht nicht, wie die Versäumnis­se der Bundespoli­tik zeigen. Der Bund lieferte beispielsw­eise weder verbindlic­he Schutzkonz­epte für Seniorenhe­ime noch vorausscha­uende Krisenplän­e für die zweite Welle.

Doch ein ähnlich großes Problem wie die mangelhaft­en Strukturen und Föderalism­us-Zersplitte­rungen stellt auch die politische Mentalität dar. Die Deutschen blicken beim Impfen mit Neid auf Israel, die USA und Großbritan­nien. Alles Staaten, die hohen Respekt gegenüber ihrem Militär hegen und großen Wert auf dessen Ressourcen legen, die sie nun im Krisenfall für den Zivilschut­z ausspielen.

Deutschlan­d scheint sich lieber auf Ethikräte und Kommission­en als seine kaputtgesp­arte Bundeswehr zu verlassen. Man wundert sich über logistisch­es und organisato­risches Unvermögen, das so gar nicht zum gefühlten Weltmeiste­rImage passt. Angesichts der unberechen­barer werdenden Weltlage kann man nur hoffen, dass kein größerer Ernstfall über das Land hereinbric­ht als eine Pandemie.

Deutschlan­d verlässt sich lieber auf Kommssione­n

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