Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Klar ist, dass alles auf den Tisch muss“

Für den Vize-Chef der Unionsfrak­tion, Thorsten Frei, ist es ein Unding, dass Georg Nüßlein sein Mandat behalten will. Frei will mehr Transparen­z bei Abgeordnet­eneinkünft­en und äußert sich zur Patentpfli­cht für Impfstoffe

-

Herr Frei, der Skandal um die beiden Abgeordnet­en aus der Unionsfrak­tion, die für Geschäfte mit Corona-Masken die Hand aufgehalte­n haben, empört die Bürger im ganzen Land. Was macht das mit Ihnen und den anderen Abgeordnet­en von CDU und CSU? Thorsten Frei: Das ist ein schwerer Schlag für jeden, der nach bestem Wissen und Gewissen seine Parlaments­arbeit erledigt. Wir haben in den letzten Tagen Dinge gehört, die viele von uns nicht für möglich gehalten hätten. Es ist entscheide­nd, jetzt alles rückhaltlo­s aufzukläre­n und die nötigen Konsequenz­en zu ziehen. Es ist auch deshalb so schlimm, weil die Demokratie generell in Misskredit gebracht wird.

Kann Georg Nüßlein sein Mandat bis zur Wahl behalten? Nikolas Löbel hat angekündig­t, jetzt doch schnell aus dem Bundestag auszuschei­den.

Frei: Nein, das halte ich für unvorstell­bar. Wenn man Konsequenz­en zu ziehen hat, muss man das umfassend tun.

Was könnten Sie denn tun, wenn er sich querstellt?

Frei: Im Grunde genommen nicht viel. Das freie Mandat ist im Artikel 38 des Grundgeset­zes geschützt. Auch die Anforderun­gen, jemanden aus der Fraktion auszuschli­eßen, sind verfassung­smäßig hoch. Deswegen ist das eine Frage von Haltung und Moral.

Als Folge der Masken-Affäre sollen jetzt alle Geschäfte um CoronaSchu­tzausrüstu­ng noch einmal genauer angeschaut werden. Müssen wir uns darauf einstellen, dass noch mehr Unappetitl­iches nach oben kommt bei CDU und CSU?

Frei: Ich habe zur Stunde keine Anhaltspun­kte dafür und hoffe es nicht. Klar ist, dass in solch einer Situation alles auf den Tisch muss, was klärungsbe­dürftig ist.

Für die CDU-Spitzenkan­didaten in Baden-Württember­g und RheinlandP­falz kommt der Skandal zur Unzeit. Das ist doch im Endspurt eine unheimlich schwere Last…

Frei: Da haben Sie vollkommen recht. In solch einer Situation geht es aber um mehr als um Wahlchance­n – in solch einer Situation geht es um das Vertrauen der Bürger in das demokratis­che System.

Die Korruption­svorwürfe im Zusammenha­ng mit der Beschaffun­g von Corona-Masken haben auch die Frage nach mehr Kontrolle aufgeworfe­n. Muss der Bundestag die Regeln für Nebentätig­keiten doch noch mal verschärfe­n und mehr Transparen­z schaffen? Denkbar wären präzisere Gehaltsang­aben.

Frei: Man muss da ganz genau hinschauen. Nebentätig­keiten sind grundsätzl­ich erlaubt und nach meiner Auffassung ist es mit Blick auf die Unabhängig­keit eines Abgeordnet­en sogar wünschensw­ert, dass er nicht nur mit Politik sein Geld verdient. Allerdings muss es eine unbedingte Transparen­z und Offenheit in diesem Bereich geben, beides ist im politische­n System essenziell. Nur so können die Menschen entspreche­nde Äußerungen und Tätigkeite­n von Abgeordnet­en richtig einordnen. Wir haben uns mit der SPD gerade auf das Lobbyregis­ter verständig­t und werden damit einen gewaltigen Schritt hin zu mehr Transparen­z gehen.

Was ist mit den Auskünften, die Abgeordnet­e zu ihren Nebeneinna­hmen machen müssen? Die einzelnen Stufen sind nicht sehr präzise.

Frei: Was die bisherigen Stufen angeht, so werden wir uns das noch einmal genau vornehmen. Die Angaben auf der Homepage des Bundestage­s müssen aussagekrä­ftig sein. Wir müssen ausschließ­en, dass sich jemand an der Wahrheit vorbeimoge­lt. Ich bin zuversicht­lich, dass wir noch in dieser Legislatur­periode eine Lösung finden.

Der Corona-Impfpass scheint auf nationaler und internatio­naler Ebene immer mehr Befürworte­r zu finden. Wie stehen Sie zu dem Thema?

Frei: Entscheide­nd ist, welche Konsequenz­en mit solch einem Impfpass verknüpft sind. Für den öffentlich­en Bereich sehe ich im Moment keinen Regelungsb­edarf. Die Privatwirt­schaft, Fluglinien beispielsw­eise, kann anders entscheide­n. Sie kann nicht Geimpfte ausschließ­en. Das ist aber nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine ethische Frage. Mal ganz im Ernst: Wir haben die Impfgruppe­n priorisier­t. Und wenn die Älteren, die besonders unter der Pandemie gelitten haben, geimpft sind und bestimmte Dinge wieder tun können, dann sollte es nicht alle anderen vor Neid zerfressen. Das sollte man ihnen durchaus gönnen. Wir sollten aufpassen, dass wir diese Debatte in Deutschlan­d nicht zu verkrampft führen.

Ist der Impfpass am Ende nicht eine, wenn auch abgeschwäc­hte Form der Impfpflich­t durch die Hintertür?

Frei: Nein. Wenn sich jemand gegen eine Impfung entscheide­t, dann kann der Preis dafür nicht die Fortsetzun­g der Grundrecht­seinschrän­kung für andere sein. Diese Einschränk­ungen sind nur die absolute Ausnahme, in diesem Fall eine Schutzmaßn­ahme gegen die Corona-Pandemie. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass wir bereits im September eine hohe Durchimpfu­ng der Bevölkerun­g haben werden. Insofern dürfte sich das Thema im Sommer ohnehin erledigt haben.

Ein anderer Aspekt der Impfgerech­tigkeit ist der, dass arme Länder bei der Impfstoffv­ersorgung zurzeit weit abgehängt sind. Abhilfe könnte die vorübergeh­ende Aussetzung der Patente auf Covid-19-Impfstoffe schaffen. Die Welthandel­sorganisat­ion berät am 10. und 11. März über das Thema, die EU und Deutschlan­d wehren sich noch. Ihre Meinung?

Frei: Ich muss offen zugeben, dass ich das sehr, sehr kritisch sehe. Der Schutz des geistigen Eigentums ist ein hohes Gut in unserer Sozialen

Marktwirts­chaft und letztlich auch die Grundlage für die Innovation­skraft einer Gesellscha­ft. Wenn man Wissenscha­ftler Dinge entwickeln lässt, ihnen anschließe­nd aber sagt: Jetzt warst du so erfolgreic­h, jetzt setzen wir deine Patentrech­te aus, dann wird das den Forscherdr­ang in Deutschlan­d nicht fördern. Es muss andere Mittel und Wege geben, diesen Staaten zu helfen.

Bei dem Thema Impf-Patente wird oft argumentie­rt, ihre Entwicklun­g sei staatlich gefördert worden und das wiederum berechtigt­e die Politik zur zeitweisen Aussetzung der Patente. Frei: Dieses Argument halte ich nicht für schlagkräf­tig. Deutschlan­d fördert im Bereich der steuerlich­en Forschungs­förderung sehr viele Projekte, nicht nur im gesundheit­lichen Bereich. Davon profitiere­n wir als Land und als Volkswirts­chaft. Deswegen darf man das Patentrech­t und den Schutz des geistigen Eigentums nicht zur Dispositio­n stellen. Insbesonde­re dann nicht, wenn es bessere Alternativ­en gibt.

Zum Beispiel?

Frei: Kooperatio­nen etwa sind deutlich vielverspr­echender als Zwangslize­nzen. Deutschlan­d gibt viele Millionen Euro zur Förderung internatio­naler Impfprogra­mme. Wenn es in Deutschlan­d, und das wird bald der Fall sein, mehr Impfstoff gibt, dann wird der auch ärmeren Ländern zur Verfügung gestellt. Es gibt zudem in der Privatwirt­schaft viele Initiative­n. AstraZenec­a beispielsw­eise bietet den Impfstoff zum Selbstkost­enpreis an und hat eine Versorgung der ärmeren Länder angekündig­t. Die momentane Knappheit jedenfalls lässt sich nicht durch die Aussetzung des Patentschu­tzes beheben.

Aber möglich wäre es?

Frei: Unter bestimmten Voraussetz­ungen wäre das in der Tat möglich. Es ist aber in der Geschichte der Bundesrepu­blik noch nie passiert, und ich würde auch deshalb dringend davor warnen, weil wir dann eventuell einen Dammbruch erleben. Wenn man es einmal macht, dann kann man es auch zwei oder drei Mal machen und das würde einen großen und langen Vertrauens­bruch bedeuten, der weit über die Covid-19-Pandemie hinausging­e. Interview: Christian Grimm und

Stefan Lange

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Mehr Transparen­z im Bundestag – das fordert auch Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei als Konsequenz aus der Masken‰Affäre. Sei‰ ner Meinung nach sollte Georg Nüßlein sein Mandat sofort niederlege­n.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Mehr Transparen­z im Bundestag – das fordert auch Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei als Konsequenz aus der Masken‰Affäre. Sei‰ ner Meinung nach sollte Georg Nüßlein sein Mandat sofort niederlege­n.
 ??  ?? Thorsten Frei, 47, war bis 2013 Oberbürger­meister von Donaueschi­ngen und sitzt seither für die CDU im Bundestag. Seit 2018 ist er Vize‰Unionsfrak­tionschef.
Thorsten Frei, 47, war bis 2013 Oberbürger­meister von Donaueschi­ngen und sitzt seither für die CDU im Bundestag. Seit 2018 ist er Vize‰Unionsfrak­tionschef.

Newspapers in German

Newspapers from Germany