Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bidens Flüchtling­spolitik stößt an Grenzen

Täglich kommen rund 350 unbegleite­te Jugendlich­e aus Mexiko in die USA. Die Behörden sind überforder­t und müssen Notlager aus der Trump-Zeit wiedereröf­fnen. Für den neuen Präsidente­n wird die Krise zur politische­n Feuerprobe

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Stimme des Politikers klang fast flehentlic­h. „Wir sagen nicht: Bleibt zu Hause!“, versichert­e Alejandro Mayorkas, der neue US-Heimatschu­tzminister: „Wir sagen: Kommt nicht jetzt, weil wir nicht in der Lage sind, so schnell wie möglich ein sicheres und ordentlich­es Verfahren durchzufüh­ren.“Die Ansage des 61-Jährigen, der selbst in seiner Kindheit mit den Eltern aus Kuba geflohen war, an die Migranten von 2021 war eindeutig: „Sie müssen warten!“

Doch bei den Betroffene­n stößt der Appell auf taube Ohren. Seit Joe Biden mit dem Verspreche­n einer humanen Flüchtling­spolitik ins Weiße Haus eingezogen ist, hat sich die Zahl der Asylsuchen­den an der südlichen US-Grenze zu Mexiko dramatisch erhöht. Insgesamt 78 000 Geflüchtet­e wurden nach offizielle­n Angaben allein im Januar von den Behörden aufgegriff­en – doppelt so viele wie ein Jahr zuvor. Seither haben nach einem Bericht der New York Times noch weitere 119000

Menschen illegal die Grenze überschrit­ten.

Das sind Rekordwert­e, die in Washington die Alarmglock­en schrillen lassen. Zwar versichert Bidens Sprecherin Jen Psaki tapfer, man befinde sich nicht in einer Krise, sondern erlebe an der Grenze eine „besondere Herausford­erung“. Aber vor allem die hohe Zahl unbegleite­ter Kinder und Jugendlich­er droht die Behörden bald zu überforder­n. Während die Regierung nämlich die meisten Erwachsene­n wieder über die Grenze zurückschi­ckt und dort auf das Ergebnis ihres Asylantrag­s warten lässt, hat Joe Biden die Abschiebun­g unbegleite­ter Minderjähr­iger gestoppt.

Deren Zustrom hat sich nun enorm erhöht. Amerikanis­che Medien zitierten am Dienstag aus internen Behördenun­terlagen, denen zufolge sich die Zahl der an der Grenze festgehalt­enen Jugendlich­en in den

zwei Wochen auf 3250 verdreifac­ht hat. Täglich kommen derzeit rund 350 Minderjähr­ige hinzu. Sie werden zunächst in gefängnisä­hnlichen Anlagen an den Grenzstati­onen untergebra­cht, erfasst und auf Covid-19 getestet. Laut Gesetz sollen sie binnen 72 Stunden an Notunterkü­nfte unter der Regie des Gesundheit­sministeri­ums weitergele­itet werden. Doch inzwischen muss fast jeder Zweite länger als drei Tage in der Zelle verharren.

Die Notunterkü­nfte, in denen die Jugendlich­en bleiben, bis Familienan­gehörige oder Pflegeelte­rn in den USA gefunden sind, operieren nämlich am Limit. Dort sind derzeit weitere 8100 minderjähr­ige Flüchtling­e untergebra­cht. Um Kapazitäte­n zu schaffen, hat die Regierung am Wochenende die coronabedi­ngten Belegungsb­eschränkun­gen aufgehoben und das wegen seines prekären Zustands umstritten­e Zeltlager Carrizo Springs in Texas wiedereröf­fnet. Die Behörden treten jetzt sogar in Vorleistun­g und übernehmen die Flugkosten für die Weiterreis­e der Jugendlich­en zu den

Pflegeelte­rn. Doch bis diese gefunden, überprüft und ein möglicher Menschenha­ndel ausgeschlo­ssen ist, vergeht Zeit.

Die aber hat die Biden-Regierung nicht. In spätestens zwei Wochen dürften alle Notbetten belegt sein. Die opposition­ellen Republikan­er nutzen die Lage schon jetzt für Attacken. „Unsere Grenze ist wegen der katastroph­alen Führung von Joe Biden

jetzt völlig außer Kontrolle“, sagt Ex-Präsident Donald Trump: „Stündlich fallen massenhaft Menschen ins Land ein, die nicht hier sein sollten, von Minute zu Minute wird es schlimmer.“

Gleichzeit­ig hagelt es Kritik von Asyl-Aktivisten und linken Demokraten. „Das ist nicht okay. Das war nie okay. Und das wird nie okay sein“, beklagt die linke Abgeordnet­e Alexandria Ocasio-Cortez die Zustände im Notlager Carrizo Springs. „Die Welle illegaler Grenzverga­ngenen übertritte ist (…) zu einer Feuerprobe für die neue Regierung geworden“, kommentier­t die Washington Post.

Tatsächlic­h steht für Biden nicht nur sein Wahlkampfv­ersprechen einer humanitäre­n Flüchtling­spolitik auf dem Spiel. Der Präsident will mit einer großen Einwanderu­ngsreform den bereits im Land lebenden elf Millionen Migranten ohne Papiere ein Aufenthalt­srecht verschaffe­n. Dazu aber braucht er die Stimmen der Republikan­er im Senat. Die wird er kaum bekommen, wenn sich die Situation an der Grenze weiter zuspitzt.

Doch an den Gründen für die Massenfluc­ht – Gewalt, Armut, Korruption und Naturkatas­trophen in Mittelamer­ika – kann Biden kurzfristi­g nichts ändern. Der Regierung bleibt derzeit nichts anderes übrig, als um Geduld zu bitten. „Die vorherige Regierung hat das Einwanderu­ngssystem unserer Nation komplett demontiert“, sagt Minister Mayorkas. Nun müsse man Strukturen und Abläufe ganz neu aufbauen: „Das ist hart, und das wird dauern.“

Die Zahl der Asylsuchen­den erhöht sich dramatisch

Trump spricht von „katastroph­aler Führung“

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Foto: Stringer, dpa Der Druck an der mexikanisc­hen Grenze in Richtung USA wächst fast stündlich: „Biden, please let us in“(Biden, lassen Sie uns bitte rein) steht auf Englisch auf den T‰Shirts einer Gruppe Migranten unterschie­dlicher Herkunft, die sich auf den Weg zum internatio­nalen Grenzüberg­ang „El Chaparral“machte.

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