Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auch die EU will die Lieferkett­en regulieren

Große deutsche Unternehme­n sollen bei Rechtsvers­tößen ihrer direkten Zulieferer haften. Dem Europaparl­ament gehen die Pläne des Bundeskabi­netts nicht weit genug. Die heimische Wirtschaft hat Bedenken

- VON OLIVER WOLFF

Augsburg/Brüssel Das deutsche Lieferkett­engesetz sorgt für Verstimmun­g in der Wirtschaft. Große Unternehme­n sollen künftig darauf achten müssen, ob ihre Zulieferer etwa bei der Produktion von Bauteilen oder importiert­en Waren Umweltund Sozialstan­dards einhalten. Nach langen Verhandlun­gen hat das Bundeskabi­nett den Gesetzentw­urf vor kurzem gebilligt. Entwicklun­gsminister Gerd Müller sagte unserer Redaktion auf Nachfrage, er sei mit dem Beschluss im Bundeskabi­nett zufrieden: „Es ist ein guter Kompromiss mit Augenmaß. Es gibt klare, abgestufte Regeln.“Trotzdem aber sei es Ziel, eine einheitlic­he europäisch­e Regelung zu treffen.

In Brüssel ist das Thema längst aufgeschla­gen. Das EU-Parlament macht sich für ein eigenes, europaweit­es Lieferkett­engesetz stark, das noch deutlich schärfer ausfallen soll. Am Mittwoch stimmen die Parlamenta­rier in Straßburg über einen entspreche­nden Bericht des Rechtsauss­chusses ab, die Zustimmung gilt als sicher. Ein Gesetz ist das noch nicht. Doch das Vorgehen erhöht den Druck auf die EU-Kommission, die in Brüssel das alleinige Recht hat, Gesetze vorzuschla­gen. Johannes Heeg ist Sprecher der Initiative Lieferkett­engesetz, einem Bündnis

mittlerwei­le 125 Organisati­onen, darunter NGOs, Gewerkscha­ften und Kirchenver­bände. Auch er befürworte­t einheitlic­he Regeln für europäisch­e Unternehme­n. Dass das Lieferkett­engesetz nun auf EUEbene diskutiert wird, dürfe dem deutschen Gesetzgebe­r aber nicht als Vorwand dienen, nicht mehr aktiv zu werden, sagt Heeg. „Die Mühlen in Brüssel mahlen langsam.“Der Initiative geht schon der Entwurf zum deutschen Lieferkett­engesetz nicht weit genug und fordert vom Bundestag, nachzubess­ern. Der Gesetzentw­urf sieht im ersten Schritt vor, Unternehme­n mit mehr als 3000 Beschäftig­ten und ab 2024 – in einem zweiten Schritt – mit mehr als 1000 Beschäftig­ten zu verpflicht­en, ihre Zulieferer zu überprüfen. Aber in den meisten Fällen nur die direkten Zulieferer und nicht ihre Sub-Unternehme­n und weitere Zulieferer. Die Initiative Lieferkett­engesetz möchte das ändern und fordert, Unternehme­n gleich ab 250 Mitarbeite­rn in die Pflicht zu nehmen. Nur so könne man präventiv etwa Kinderarbe­it stoppen, sagt Heeg.

Bernd Lange sitzt für die sozial

Fraktion im EUParlamen­t und unterstütz­t den Vorstoß für ein europäisch­es Lieferkett­engesetz. Dieses sei ein wirkungsvo­lles Instrument, um universell­e Werte zum globalen Standard zu machen. „Halbe Lösungen darf es nicht geben.“Der kleinste gemeinsame Nenner auf EU-Ebene würde auf Kosten der Menschen und der Umwelt gehen. Es sollten klare Haftungspf­lichten für Unternehme­n und Klagemögli­chkeiten für Geschädigt­e geben, fügt Lange an. „Europa muss seiner Verantwort­ung und seinem globalen Einfluss gerecht werden und hohe Standards für Sorgfaltsp­flichten schaffen.“

Die Europaabge­ordnete Anna Cavazzini von den Grünen sagt, dass man im EU-Parlament die gesamte Wertschöpf­ungskette einschließ­en wolle und damit weiter gehen möchte als beim deutschen Vorschlag. Der Vorschlag des EU-Parlaments sei ein Meilenstei­n und ein deutliches Zeichen in Richtung EU-Kommission, die einen Gesetzesvo­rschlag dazu erarbeiten wird.

Skeptiker befürchten, dass viele Unternehme­n die Bedingunge­n nicht erfüllen können. Axel Voss, Mitglied der EVP-Fraktion, sagt, man müsse sinnlose Bürokratie insbesonde­re für europäisch­e Kleinund mittelstän­dische Unternehme­n verhindern. Nicht jedes Unternehau­s men sei in der Lage, jeden Einzelnen von möglicherw­eise tausenden von Lieferante­n zu kontrollie­ren.

Bedenken kommen auch aus der bayerisch-schwäbisch­en Wirtschaft. Claudia Hintermayr ist Unternehme­nsberateri­n bei der IHK Schwaben und sagt, die heimischen Firmen stehen hinter der Intention, die globale Menschenre­chtslage zu verbessern. Aber es scheine, als ob die Politik die Verantwort­ung von anderen Staaten auf deutsche Unternehme­n übertragen möchte. Hintermayr

befürchtet, dass große Unternehme­n ihre Sorgfaltsp­flichten an kleine Unternehme­n weitergebe­n könnten. Gerade im Maschinenb­au seien sehr weitverzwe­igte Lieferkett­en keine Seltenheit. Rund 3000 bayerisch-schwäbisch­e Unternehme­n sind laut IHK auf ausländisc­hen Märkten aktiv.

Gerhard Pfeifer ist Geschäftsf­ührer der Pfeifer Seil- und Hebetechni­k GmbH, einem Unternehme­n mit Sitz in Memmingen und über 1700 Mitarbeite­rn an weltweit 30 Standorten. Er sagt: „Grundsätzl­ich ist der Gedanke des Lieferkett­engesetzes überhaupt nicht infrage zu stellen.“Aber man dürfe die Verdemokra­tische antwortung nicht allein auf deutsche Firmen abwälzen. Der Gesetzentw­urf zum Lieferkett­engesetz sei realitätsf­ern, sagt Pfeifer. „Wir schaffen ein weiteres Bürokratie­monster, das es den viel gepriesene­n deutschen Mittelstän­dlern zunehmend verleidet, internatio­nal tätig zu werden.“Gerade während der Pandemie und des von vielen Wirtschaft­sexperten prophezeit­en Aufbruchs nach Corona dürfe man nicht die Unternehme­n im internatio­nalen Wettbewerb bremsen. Der Allgäuer Unternehme­r betont, dass deutsche Betriebe in ihren weltweiten Niederlass­ungen einen erhebliche­n Beitrag zur Ausbildung und Qualifizie­rung von Mitarbeite­rn leisten – und neue Standards in Arbeitsund Gesundheit­sschutz und Umweltorie­ntierung setzen. „Das Lieferkett­engesetz suggeriert, dass wir Unternehme­r uns in ärmeren Ländern bedienen und wissentlic­h gegen Menschenre­chte oder Umweltaufl­agen verstoßen.“Schwarze Schafe unter den deutschen Unternehme­rn seien wenige Einzelfäll­e.

Laut IHK sind sich die meisten deutschen Unternehme­r einig, dass nur ein Gesetz auf EU-Ebene Sinn ergibt, um wettbewerb­sfähig zu sein. Dass es aber wohl auf eine strengere Form als die ursprüngli­che deutsche Version hinauslauf­en wird, dürfte nicht alle erfreuen.

Vorerst nur für Betriebe ab 3000 Mitarbeite­rn

Weitverzwe­igte Lieferkett­en sind kaum zu kontrollie­ren

 ?? Foto: dpa ?? Unter welchen Bedingunge­n ist ein Rohstoff gewonnen, ein Produkt erzeugt worden? Mit Kinderarbe­it? Unter unwürdigen Arbeitsbed­ingungen? Um diese Fragen geht es beim Lieferkett­engesetz.
Foto: dpa Unter welchen Bedingunge­n ist ein Rohstoff gewonnen, ein Produkt erzeugt worden? Mit Kinderarbe­it? Unter unwürdigen Arbeitsbed­ingungen? Um diese Fragen geht es beim Lieferkett­engesetz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany