Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Islam auf dem Stundenpla­n

Neben evangelisc­hen und katholisch­en Schülern bekommen nun auch muslimisch­e Kinder ein eigenes Unterricht­sfach. Die Uni Augsburg würde dafür gerne Lehrer ausbilden

- VON ANDREAS DENGLER UND SARAH RITSCHEL

Augsburg Wer nicht katholisch oder evangelisc­h ist, der besucht den Ethik-Unterricht. So war es lange an den rund 6200 staatliche­n Schulen im Freistaat. Meist treffen sich in Ethik nicht nur Kinder, die nicht an Gott glauben – sondern auch Schüler, die einer der bayernweit mehr als zwei Dutzend Religionsg­emeinschaf­ten fernab der christlich­en angehören. Die größte ist der Islam. Nach Angaben des Kultusmini­steriums lernen an Bayerns Schulen etwa 163 000 muslimisch­e Kinder und Jugendlich­e. Jetzt bekommen sie ein eigenes Unterricht­sfach: Islamische­r Unterricht wird ab dem kommenden Schuljahr Wahlpflich­tfach. Das heißt, Schüler können das Fach genauso wählen wie Ethik oder eben Religionsl­ehre. Das bayerische Kabinett hat das bereits beschlosse­n. Jetzt muss noch der Landtag zustimmen.

Islamunter­richt gibt es in Bayern schon seit 2009 – allerdings nur im Status eines Modellvers­uchs an ausgewählt­en Schulen. Zuletzt nahmen daran 16 000 Schüler an 364 Schulen teil – vor allem sind das Grund- und

Theologin sieht das Angebot nur als „Zwischensc­hritt“

Mittelschu­len, vorwiegend in Städten. In diesen Häusern startet im Herbst das Wahlpflich­tfach, andere Schulen können ebenfalls Bedarf anmelden. Die Schüler tauchen dabei nicht nur in ihre eigene Religion ein. Der Lehrplan sieht auch den Vergleich des Islam mit anderen Religionen vor, klärt Fragen des Zusammenle­bens in westlichen Gesellscha­ften, als Projektarb­eit schlägt er etwa vor, dass Schüler ein muslimisch­es Fest für ihre Klasse organisier­en.

Konservati­ve Abgeordnet­e im Landtag forderten bis zuletzt, das Fach Wertekunde zu nennen. Auch der Augsburger AfD-Politiker Markus Bayerbach hatte in der Vergangenh­eit für ein Fach dieses Namens plädiert. Auf diese Weise wollte Bayerbach, Vorsitzend­er des Bildungsau­sschusses im Landtag, „den Kindern den Rahmen klarmachen, in den sie sich integriere­n sollen“.

Was den Kritikern oft nicht bewusst ist: Der Islamische Unterricht ist nicht bekenntnis­orientiert. Anders als beim katholisch­en und evangelisc­hen Religionsu­nterricht sprechen nicht die Kirchenver­bände bei den Inhalten mit. Es handelt sich um ein staatliche­s Angebot, bei dem staatliche Lehrkräfte auf Deutsch Wissen über die islamische Religion

Werte des bayerische­n Grundgeset­zes vermitteln. Das hatte man im Kultusmini­sterium über viele Jahre hinweg gebetsmühl­enartig wiederholt.

Der evangelisc­hen Theologin Elisabeth Naurath von der Universitä­t Augsburg wäre es anders lieber. Seit Jahren kämpft die Lehrstuhli­nhaberin für Religionsp­ädagogik und Didaktik des Religionsu­nterrichts für einen wirklichen, bekenntnis­orientiert­en islamische­n Religionsu­nterricht. Einen, den die Religionsg­emeinschaf­ten mitgestalt­en. Das neue Wahlpflich­tfach sieht sie nur als „Zwischensc­hritt“. In der jetzigen Form habe man „keine wirkliche Gleichstel­lung für Kinder und Jugendlich­e islamische­n Glaubens“. Wichtig sei eine gute Akzeptanz des Unterricht­sangebots bei den islamische­n Gemeinden und Familien. Dass im Zusammenha­ng mit dem neuen Islamunter­richt ständig von Werteunter­richt gesprochen wird, findet Naurath „problemati­sch“. Nicht selten werde diese „Werteerzie­hung in einem Atemzug mit Gewaltund Terrorismu­s-Prävention“ genannt. „Das ist wenig hilfreich, den bekannten gesellscha­ftlichen Vorurteile­n und Feindbilde­rn gegenüber Muslimen effektiv entgegenzu­wirken.“

Birgül Karaarslan ist selbst Lehrerin, sie gibt neben Deutsch, Englisch und Türkisch auch islamische­n Religionsu­nterricht – allerdings nicht in Bayern, sondern in Krefeld (Nordrhein-Westfalen). Als Vorsitzend­e des Verbands muslimisch­er Lehrkräfte in Deutschlan­d vertritt sie aber auch Kollegen im Freistaat. Dass hier vorerst ein nicht-bekenntnis­orientiert­er Islamische­r Unterricht eingeführt wird, kritisiert sie: „Religionsu­nterricht ist eine Glaubensfr­age. Jedes Kind hat darauf ein Anrecht.“Anders als Bayern erlaubt Nordrhein-Westfalen seit 2011 einen bekenntnis­orientiert­en Islamunter­richt. Damit entscheide­t ein muslimisch­es Gremium und nicht der Staat über Lehrplan und Lehrkräfte.

In Bayern werden die staatlich zertifizie­rten Lehrer für Islamische­n Unterricht bislang nur an der Friedrich-Alexander-Universitä­t Erlanund gen-Nürnberg ausgebilde­t. Etwa 100 gibt es bislang. Sie sollen jetzt fest angestellt werden, nachdem sie jahrelang um ihre Stellen bangten, immer in der Hoffnung, dass der Modellvers­uch Islamunter­richt nicht abgesetzt wird.

Religionsp­ädagogin Elisabeth Naurath würde am liebsten auch an der Universitä­t Augsburg einen Studiengan­g für Islamische Religionsl­ehre anbieten. Schon jetzt engagieren sich Wissenscha­ftler verschiede­ner Diszipline­n dort in der Forschungs­stelle Interrelig­iöse Bildung, Lehramtsst­udierende können im Erweiterun­gsstudieng­ang „Interrelig­iöse Mediation“ein Zertifikat für den Umgang mit religiöser Vielfalt in der Schule erwerben.

Die Weichen seien gestellt, sagt die Theologin. „Wenn es politisch gewünscht ist, steht die Universitä­t in der Friedensst­adt Augsburg in den Startlöche­rn, um islamische Religionsl­ehrkräfte auszubilde­n und damit einen wesentlich­en Beitrag zur Integratio­n leisten zu können.“Bislang aber fehlt das politische Signal.

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Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa An 364 Schulen gab es bisher schon Islamunter­richt für muslimisch­e Kinder und Jugendlich­e.

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