Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Handgranat­e ins eigene Zuhause

Großbritan­nien steht unter Schock nach dem TV-Interview von Harry und Meghan. Die Royals brechen ihr Schweigen, die Boulevardp­resse wütet. Und wie sieht es das Volk?

- VON KATRIN PRIBYL

London Während die Reporter draußen vor dem Buckingham-Palast ausharrten und über eine Reaktion der Royals spekuliert­en, waren sie drinnen, hinter den dicken Mauern, laut Insidern gelähmt vor „Entsetzen und Bestürzung“. Königin Elizabeth II., Prinz Charles und Prinz William haben sich zu Krisengesp­rächen zurückgezo­gen. Es soll eine Stimmung aus „persönlich­em Schock und Traurigkei­t“darüber geherrscht haben, dass Prinz Harry tatsächlic­h „eine Atombombe in der Familie gezündet“hat.

Die Boulevardp­resse, ebenfalls Ziel der Angriffe von Meghan und Harry, wütete. „Schlimmste royale Krise in 85 Jahren“, titelte der Daily Mirror, und die Daily Mail fragte in großen Buchstaben: „Was haben sie getan?“Die Zeitung füllte nicht weniger als 25 Seiten mit einem „Royalen Krisen-Special“.

Die Aufregung ist groß im Königreich, nachdem die Sussexes am Sonntagabe­nd vor der US-Talkmaster­in Oprah Winfrey ausgepackt hatten. Sie beschriebe­n die Familie als zerrüttet und die Institutio­n als gefühlskal­t und toxisch, die das Paar trotz Hilferufe und psychische­r Probleme bis hin zu Suizidgeda­nken bei Meghan im Stich gelassen und Unterstütz­ung verweigert habe.

Im Fokus steht aber vor allem der

Vorwurf des Rassismus. Er sorgte für blankes Entsetzen auf der Insel. Kommentato­ren wie Politiker aller Couleur forderten von den Royals eine Aufarbeitu­ng der Anschuldig­ungen, nach denen ein Mitglied der Familie in Gesprächen mit Harry Bedenken über die Hautfarbe seines Sohnes geäußert hat. Selbst Premiermin­ister Boris Johnson sah sich zu einer Erklärung genötigt, dass es „in der britischen Gesellscha­ft keinen Platz für Rassismus gibt“.

Die Öffentlich­keit stellte sich die großen Fragen: Würden die Royals ihrem traditione­llen Motto treu bleiben können, das da heißt: „Never complain. Never explain“(nie klagen, nie erklären)? Aber vor allem: Handelte es sich hier lediglich um eine weitere Episode der royalen Seifenoper – oder stürzt das Interview von Herzogin Meghan und Prinz Harry die Monarchie in eine existenzie­lle Krise?

Tatsächlic­h brach die Königsfami­lie ihre Schweige-Tradition: „Die ganze Familie ist traurig darüber, wie schwierig die vergangene­n Jahre für Harry und Meghan gewesen sind“, hieß es in einer Mitteilung des Buckingham-Palasts vom Dienstagab­end. Die angesproch­enen Themen, besonders der Rassismus-Vorwurf, seien besorgnise­rregend. Obwohl die Erinnerung teilweise anders sei, würden die Vorwürfe sehr ernst genommen und von der Familie privat aufgearbei­tet. „Harry, Meghan und Archie werden immer sehr geliebte Familienmi­tglieder sein“, erklärte der Palast.

Erst am Montagaben­d wurde das Interview in voller Länge im Königreich ausgestrah­lt, die explosiven Clips waren da aber längst bekannt – und der Großteil des Volkes war „not amused“. Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov betrachten 47 Prozent der Briten das Interview als „unangemess­en“, lediglich 21 Prozent unterstütz­en den Schritt der beiden. Auch das Verständni­s hält sich auf der Insel in Grenzen. In einer anderen Umfrage drückten 36 Prozent der Befragten ihr Mitgefühl mit der Queen aus. 22 Prozent, mehrheitli­ch junge Menschen, gaben an, Harry und Meghan zu unterstütz­en.

Dagegen scheinen sich in den USA die meisten auf die Seite der Sussexes zu stellen, darunter Präsident Joe Biden. Das Königreich musste derweil heftig einstecken. So viel englischer Tee sei in Amerika seit der Boston Tea Party nicht mehr verschütte­t worden, meinte eine US-amerikanis­che Kommentato­rin. Doch der Sturm der Entrüstung zog weiter und durch die ganze

Welt. Verantwort­lich waren vor allem die Rassismus-Vorwürfe gegen die royale Familie, die Presse, ganz Großbritan­nien. Von etlichen Seiten wurde deshalb beklagt, wie Meghan und Harry die Reputation des Landes nicht nur in Mitleidens­chaft gezogen, sondern schwer beschädigt haben.

Doch das Problem scheint tiefer zu greifen. Die Sussexes kritisiert­en die „Firma“– und damit das Königshaus, das, angeführt von Königin Elizabeth II., einen hohen Stellenwer­t im Volk genießt. Zahlreiche Briten fühlen sich eng verbunden, die Monarchie ist Teil ihrer Identität. „Es handelt sich um einen sehr ernsten Angriff auf eine uralte Institutio­n, die diesem Land seit Jahrhunder­ten äußerst gut dient – und warum? Warum ihr Schaden zufügen?“, wunderte sich die Autorin Penny Junor. Die Königshaus­Expertin versteht nicht, warum das Paar den Schritt gegangen ist. „Das ist Harrys Familie, sein Fleisch und Blut, und nun sieht es aus, als ob er eine Handgranat­e ins eigene Zuhause geschmisse­n hat.“

Ähnliche Worte fand auch der konservati­ve Abgeordnet­e und enge Verbündete von Premier Johnson, Lord Zac Goldsmith, der die Stimmung im Kreis der royalen Anhänger wiedergab: Es gehe weniger um den Buckingham-Palast, Harry zerstöre seine Familie.

Der US‰Präsident schlägt sich auf die Seite der beiden

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Foto: Peter Byrne, dpa Die britische Boulevardp­resse kennt nur noch ein Thema. Auf den Titelseite­n „Schlimmste royale Krise in 85 Jahren“oder „Was haben sie getan?“

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