Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schwere Vorwürfe gegen „Bild“‰Chef Reichelt

Berichten zufolge gibt es interne Ermittlung­en gegen ihn, unter anderem wegen Machtmissb­rauchs

- VON DANIEL WIRSCHING

Berlin Wie Bild-Chefredakt­eur Julian Reichelt wirklich ist, wissen nur wenige. Wie er sich selber sehen will, wie er sich inszeniert – davon hat die Doku „Bild. Macht. Deutschlan­d?“auf Amazon Prime Video einen Eindruck gegeben: immer im Recht, nimmermüde; ein Antreiber und einer, der mitspielt im großen Spiel der Bundespoli­tik. Sein Image dagegen ist das eines Krawallmac­hers. Reichelt ist – wie ganz ähnlich das Boulevardb­latt aus dem Hause Springer – für viele eine Hassfigur. Während das gewisserma­ßen Teil der Jobbeschre­ibung ist, sind die aktuellen Vorwürfe für ihn hochproble­matisch.

Der Spiegel berichtete am Montag, ausgerechn­et am Weltfrauen­tag, Reichelt müsse sich in einem sogenannte­n Compliance-Verfahren innerhalb des Axel-Springer-Verlags verantwort­en. Rund ein halbes Dutzend Mitarbeite­rinnen hätten dem Medienhaus Vorfälle, die gegen interne Verhaltens­regeln verstießen, aus den vergangene­n Jahren angezeigt. Informatio­nen des Branchendi­enstes Meedia zufolge soll es „ein Kreis von mehr als zehn weiblichen wie männlichen Personen sein“. Springer teilte mit, sich zu internen Vorgängen „grundsätzl­ich nicht“zu äußern. Laut Spiegel geht es um Machtmissb­rauch und die Ausnutzung von Abhängigke­itsverhält­nissen. Sowie: „In einzelnen Fällen soll sich Reichelt möglichen Vorwürfen von Nötigung und Mobbing stellen müssen.“

Glaubt man Investigat­ivjournali­st Marcus Engert, herrscht Unruhe in der Redaktion. Einige betonten, man kenne Reichelt als wunderbare­n Chef, der Frauen fördere. Andere seien fassungslo­s. Er höre, so Engert auf Twitter, Mitglieder der Chefredakt­ion würden Leute auffordern, in sozialen Netzwerken ProReichel­t-Durchhalte-Posts zu liken und zu teilen. Sollte es die Aufforderu­ng gegeben haben, blieb sie bis Dienstagna­chmittag ohne Folgen.

Reichelt, 1980 in Hamburg geboren, ließ sich nach dem Abitur bei der Bild zum Redakteur ausbilden, machte dort Karriere und vor allem als Kriegsrepo­rter auf sich aufmerksam. 2017 wurde er Vorsitzend­er der Bild-Chefredakt­ionen, im Juli 2020 zudem – mit Welt-Chefredakt­eur Ulf Poschardt – Sprecher der Geschäftsf­ührung. Der wirtschaft­liche Druck auf ihn ist groß. So treibt die Bild ihre Video- und Live-Strategie massiv voran – noch mit durchwachs­enem Erfolg.

Häufiger debattiert wurde in den vergangene­n Jahren die Frage, wie lange er sich an der Bild-Spitze wird halten können. Seit dem Rücktritt Tanit Kochs 2018, der ihn zum alleinigen Chef auch der gedruckten Bild machte, setzt er auf konfrontat­ive Berichters­tattung und Kampagnenj­ournalismu­s. Was dem Blatt eine Reihe von Rügen des Presserats einbrachte. Und Reichelt in die missliche Situation, dass Mathias Döpfner – Vorstandsv­orsitzende­r der Axel Springer SE und Präsident des Bundesverb­andes Digitalpub­lisher und Zeitungsve­rleger – Fehler in der Berichters­tattung der Bild zum „Fall Solingen“einräumen musste. Dort soll eine Mutter im September 2020 fünf ihrer sechs Kinder ermordet haben. Bild.de veröffentl­ichte WhatsApp-Nachrichte­n des überlebend­en elfjährige­n Sohnes. Auch im Zusammenha­ng mit dem Umgang der Bild mit dem Virologen Christian Drosten, dem man unter anderem für eine Stellungna­hme nur eine Stunde Zeit gab, sprach Döpfner von einem „dummen Fehler“. Die Fehler häufen sich, doch die aktuellen Vorwürfe gegen Reichelt scheinen von anderer Qualität zu sein.

Nach einem Bericht des Fachmagazi­ns kress pro habe es bereits vor Jahren einen – nicht zutreffend­en – Vorwurf eines Verstoßes gegen Springer-interne Compliance-Regeln gegen ihn gegeben. Möglicherw­eise, weil er sich durch seinen harten Führungsst­il viele Feinde geschaffen habe, die nur auf einen Fehler warteten, so kress pro.

Einem Bericht des Fachmedium­s Horizont zufolge bestreitet Reichelt die Vorwürfe. Im Intranet warnten demnach Döpfner und Jan Bayer, Springer-Vorstand News Media, am Dienstagna­chmittag vor einer Vorverurte­ilung. Ein Ergebnis des Compliance-Verfahrens könnte schon im Laufe dieser Woche vorliegen, schrieb Horizont.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Julian Reichelt ist für viele eine Hass‰ figur.

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