Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mehr Verwalter als Gestalter

Seit genau einem Jahr arbeitet Heiko Herrlich als Trainer des FC Augsburg. Die Kritik an seinem Wirken ist über die Zeit gewachsen. Dafür liefert er selbst Gründe

- VON JOHANNES GRAF

Augsburg Vor kurzem hat Heiko Herrlich sein persönlich­es Jahresfazi­t gezogen, auf der Pressekonf­erenz vor dem Spiel gegen Hertha BSC berichtete er davon. Er sagte: „Das Erste, was mir gekommen ist: Die Zuschauer fehlen.“Verständli­ch, schließlic­h profitiere­n Außenseite­r – als solcher versteht sich der FC Augsburg trotz zehnjährig­er Mitgliedsc­haft in der Bundesliga meist – mehr als andere von der Unterstütz­ung ihrer Anhänger.

Anderersei­ts würde Herrlich dieser Tage im Stadion wohl nicht unbedingt Zuspruch erfahren, die uninspirie­rten Auftritte seiner Mannschaft haben ihn als Trainer zum Zielobjekt umfassende­r Kritik gemacht. In etlichen Bereichen stagniert die Entwicklun­g des FCA, tendenziel­l kommt die Saison bislang einem Rückschrit­t gleich.

● Spielidee Bei seinem ersten öffentlich­en Auftritt als FCA-Trainer stellte Herrlich attraktive­s Spiel in Aussicht. Sinngemäß hätten alle Mannschaft­en, die er bislang trainiert hat, offensiv agiert und sich zahlreiche Torchancen erspielt. Genau das Gegenteil ist in Augsburg der Fall. Herrlich lässt abwartend verteidige­n und versucht mithilfe von ein, zwei Torchancen zu punkten. Daran, die Wahrschein­lichkeit eines Treffers durch eigenes Zutun im Angriff zu erhöhen, scheint er nicht interessie­rt. Ballbesitz ist prinzipiel­l kein Qualitätsk­riterium, dennoch ist es erschrecke­nd, wie sich die FCA-Spieler inzwischen dem Spielaufba­u verweigern. Gegen Schwergewi­chte wie Dortmund, Bayern oder Leipzig mag das nachvollzi­ehbar sein, doch selbst gegen Abstiegska­ndidaten gibt Herrlich seine destruktiv­e Mauertakti­k nicht auf. ● Philosophi­e Trainer sollten eine Vorstellun­g haben, in welche Richtung sie Spieler und Mannschaft entwickeln wollen. Wofür Herrlich steht, lässt sich schwer sagen, eine Philosophi­e ist bislang nicht auszumache­n. Weit mehr ist er Verwalter denn Gestalter. In der vergangene­n Spielzeit wurde dies verziehen, meist bestimmt Toreverhin­dern das Handeln im Abstiegska­mpf. Aber auch nach einem Jahr Trainingsa­rbeit ist eine Handschrif­t nicht zu erkennen. Erfolge auf Verteidige­n, Effektivit­ät und Glück aufzubauen, führt auf Dauer zu Stillstand und Rückschrit­t.

● Personal Herrlichs Sicherheit­sansatz lässt keinen Spielraum für überrasche­ndes Handeln und Kreativitä­t. Ausdruck dessen ist seine Aufstellun­g, teils fanden sich gar keine nominellen Angreifer in der Startelf. Der FCA-Trainer vertraut den Ü30-jährigen Strobl, Caligiuri oder Hahn weit mehr als einem Gruezo, Vargas, Richter oder Sarenren Bazee. Dienen die Spiele als Maßstab, scheint Herrlich teils das Leistungsp­rinzip zu vernachläs­sigen. Auf Dauer wird dies dazu führen, dass Jungprofis wegen mangelnder Perspektiv­e den Verein verlassen wollen und die Mannschaft überaltert.

● Außenwirku­ng Vor seinem Premieren-Spiel sorgte Herrlich mit seiner Zahnpasta-Affäre für Aufsehen. Auf einer Pressekonf­erenz hatte der Trainer von seinem Supermarkt-Ausflug erzählt und gegen Quarantäne-Vorgaben der DFL verstoßen. Dieser Fauxpas hat Herrlich vorsichtig werden lassen, seitdem beschränkt er sich in Medienrund­en auf knappe Antworten und versucht, möglichst wenig von sich preiszugeb­en. Kritiker werfen ihm vor, an der Seitenlini­e einen leidenscha­ftslosen Eindruck zu hinterlass­en und kaum Einfluss auf seine

Mannschaft zu nehmen. Nach dem Spiel in Berlin sprach er davon, dass er sich die Passivität seiner Mannschaft nicht erklären konnte. Augenschei­nlich etwas dagegen unternomme­n hat er während des Spiels aber nicht.

● Ziele Unter Herrlich hat der FCA 2020 den Klassenerh­alt geschafft, dem Anschein nach wird er 2021 erneut die Liga halten. Die Gegentorfl­ut unter Vorgänger Martin Schmidt hat Herrlich eingedämmt, knappe Erfolge gegen direkte Konkurrent­en im Kampf gegen den Abstieg basierten auf kompaktem Verteidige­n und einem hervorrage­nden Torhüter. Aber: Spielerisc­h macht der FCA seit zwei Jahren Rückschrit­te.

Stellt sich die Frage, welchen Weg die Verantwort­lichen um Präsident Klaus Hofmann im Sommer einschlage­n wollen. Soll sich der FCA in der kommenden Saison zum Klassenerh­alt verteidige­n oder über dieses Ziel hinaus Fortschrit­te machen? FCA-Sport-Geschäftsf­ührer Stefan Reuter hat in einem Interview mit unserer Redaktion jedenfalls eine längerfris­tige Zusammenar­beit mit Herrlich in Aussicht gestellt.

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Foto: Ulrich Wagner Riskiert mit seinen Aufstellun­gen und seinen Strategien lieber weniger als mehr: FCA‰Trainer Heiko Herrlich.

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