Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mehr Verwalter als Gestalter
Seit genau einem Jahr arbeitet Heiko Herrlich als Trainer des FC Augsburg. Die Kritik an seinem Wirken ist über die Zeit gewachsen. Dafür liefert er selbst Gründe
Augsburg Vor kurzem hat Heiko Herrlich sein persönliches Jahresfazit gezogen, auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Hertha BSC berichtete er davon. Er sagte: „Das Erste, was mir gekommen ist: Die Zuschauer fehlen.“Verständlich, schließlich profitieren Außenseiter – als solcher versteht sich der FC Augsburg trotz zehnjähriger Mitgliedschaft in der Bundesliga meist – mehr als andere von der Unterstützung ihrer Anhänger.
Andererseits würde Herrlich dieser Tage im Stadion wohl nicht unbedingt Zuspruch erfahren, die uninspirierten Auftritte seiner Mannschaft haben ihn als Trainer zum Zielobjekt umfassender Kritik gemacht. In etlichen Bereichen stagniert die Entwicklung des FCA, tendenziell kommt die Saison bislang einem Rückschritt gleich.
● Spielidee Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als FCA-Trainer stellte Herrlich attraktives Spiel in Aussicht. Sinngemäß hätten alle Mannschaften, die er bislang trainiert hat, offensiv agiert und sich zahlreiche Torchancen erspielt. Genau das Gegenteil ist in Augsburg der Fall. Herrlich lässt abwartend verteidigen und versucht mithilfe von ein, zwei Torchancen zu punkten. Daran, die Wahrscheinlichkeit eines Treffers durch eigenes Zutun im Angriff zu erhöhen, scheint er nicht interessiert. Ballbesitz ist prinzipiell kein Qualitätskriterium, dennoch ist es erschreckend, wie sich die FCA-Spieler inzwischen dem Spielaufbau verweigern. Gegen Schwergewichte wie Dortmund, Bayern oder Leipzig mag das nachvollziehbar sein, doch selbst gegen Abstiegskandidaten gibt Herrlich seine destruktive Mauertaktik nicht auf. ● Philosophie Trainer sollten eine Vorstellung haben, in welche Richtung sie Spieler und Mannschaft entwickeln wollen. Wofür Herrlich steht, lässt sich schwer sagen, eine Philosophie ist bislang nicht auszumachen. Weit mehr ist er Verwalter denn Gestalter. In der vergangenen Spielzeit wurde dies verziehen, meist bestimmt Toreverhindern das Handeln im Abstiegskampf. Aber auch nach einem Jahr Trainingsarbeit ist eine Handschrift nicht zu erkennen. Erfolge auf Verteidigen, Effektivität und Glück aufzubauen, führt auf Dauer zu Stillstand und Rückschritt.
● Personal Herrlichs Sicherheitsansatz lässt keinen Spielraum für überraschendes Handeln und Kreativität. Ausdruck dessen ist seine Aufstellung, teils fanden sich gar keine nominellen Angreifer in der Startelf. Der FCA-Trainer vertraut den Ü30-jährigen Strobl, Caligiuri oder Hahn weit mehr als einem Gruezo, Vargas, Richter oder Sarenren Bazee. Dienen die Spiele als Maßstab, scheint Herrlich teils das Leistungsprinzip zu vernachlässigen. Auf Dauer wird dies dazu führen, dass Jungprofis wegen mangelnder Perspektive den Verein verlassen wollen und die Mannschaft überaltert.
● Außenwirkung Vor seinem Premieren-Spiel sorgte Herrlich mit seiner Zahnpasta-Affäre für Aufsehen. Auf einer Pressekonferenz hatte der Trainer von seinem Supermarkt-Ausflug erzählt und gegen Quarantäne-Vorgaben der DFL verstoßen. Dieser Fauxpas hat Herrlich vorsichtig werden lassen, seitdem beschränkt er sich in Medienrunden auf knappe Antworten und versucht, möglichst wenig von sich preiszugeben. Kritiker werfen ihm vor, an der Seitenlinie einen leidenschaftslosen Eindruck zu hinterlassen und kaum Einfluss auf seine
Mannschaft zu nehmen. Nach dem Spiel in Berlin sprach er davon, dass er sich die Passivität seiner Mannschaft nicht erklären konnte. Augenscheinlich etwas dagegen unternommen hat er während des Spiels aber nicht.
● Ziele Unter Herrlich hat der FCA 2020 den Klassenerhalt geschafft, dem Anschein nach wird er 2021 erneut die Liga halten. Die Gegentorflut unter Vorgänger Martin Schmidt hat Herrlich eingedämmt, knappe Erfolge gegen direkte Konkurrenten im Kampf gegen den Abstieg basierten auf kompaktem Verteidigen und einem hervorragenden Torhüter. Aber: Spielerisch macht der FCA seit zwei Jahren Rückschritte.
Stellt sich die Frage, welchen Weg die Verantwortlichen um Präsident Klaus Hofmann im Sommer einschlagen wollen. Soll sich der FCA in der kommenden Saison zum Klassenerhalt verteidigen oder über dieses Ziel hinaus Fortschritte machen? FCA-Sport-Geschäftsführer Stefan Reuter hat in einem Interview mit unserer Redaktion jedenfalls eine längerfristige Zusammenarbeit mit Herrlich in Aussicht gestellt.