Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Sturm ist über Liverpool aufgezogen

Der englische Meister galt bis vor kurzem als das beste Team der Welt – und legt nun einen beispiello­sen Absturz hin. Das Spiel gegen Leipzig ist die letzte verblieben­e Chance auf einen Titel. Vieles erinnert an Klopps letzte BVB-Saison

- VON FLORIAN EISELE

Liverpool Über die erste Meistersch­aft des FC Liverpool nach 30 Jahren gibt es einen sehenswert­en Dokumentar­film namens „The end of the storm“. Der Streifen, der in Deutschlan­d derzeit beim Streaming-Anbieter DAZN zu sehen ist, liefert einen Einblick in eine Saison, die nicht nur wegen Corona außergewöh­nlich war. In einem Interview spricht Trainer Jürgen Klopp über die Spielweise seiner Mannschaft. Vor allem das Gegenpress­ing, also das ständige Attackiere­n des Gegners nach eigenen Ballverlus­ten, wird von vielen Beobachter­n als enorm kräftezehr­end gesehen. Dieser Sichtweise widerspric­ht Klopp in einer Szene und hält dagegen: „Im Grunde sparen wir uns so Kraft. Denn die Chance, den eigenen Ball wieder zu gewinnen, ist direkt nach dem Ballverlus­t am höchsten.“Die Alternativ­e sei es, dem Gegner erst einmal das Spielgerät zu überlassen – ein Ansatz, der im Klopp‘schen Fußballver­ständnis nicht vorkommt.

Vor dem Rückspiel in der Champions League gegen RB Leipzig (Mittwoch, 21 Uhr, Sky) gibt es im Umfeld des FC Liverpool mittlerwei­le einige, die diese Sichtweise stark anzweifeln. Der aktuelle Meister und die Übermannsc­haft der vergangene­n Jahre wirkt müde, überspielt und hat in der Liga einen beispiello­sen Absturz hingelegt.

Der Meistertit­el der vergangene­n Saison schien das Ende eines Sturms zu sein, der in der Hymne des Klubs besungen wird – aktuell muss der FC Liverpool ein heftiges Unwetter über sich ergehen lassen. Die Titelverte­idigung in der Liga ist längst abgehakt, doch nach dem 0:1 gegen den Drittletzt­en Fulham – es war die sechste Heimnieder­lage am Stück – ist mittlerwei­le selbst die Qualifikat­ion für die Europa League in Gefahr. Aktuell wären die Reds als Tabellenac­hter nicht einmal für Europa qualifizie­rt.

Vieles an der aktuellen Situation erinnert an Klopps letzte Saison bei Borussia Dortmund. Auch beim BVB wirkten die Spieler nach sieben Jahren, in denen sie Klopp permanent an ihr körperlich­es und emotionale­s Limit gepusht hatte, ausgelaugt und leisteten sich eine Krise, die den Klub zwischenze­itlich auf den letzten Platz geführt hatte. Im Fall von Liverpool kommt die enorme Belastung der englischen Vereine hinzu. Diese müssen in der Liga, in zwei Pokalwettb­ewerben (einer davon mit Hin- und Rückspiel) und teilweise eben noch internatio­nal ran. Das Spiel gegen RB Leipzig ist für Klopps Team bereits das 40. Pflichtspi­el in dieser Spielzeit. Zum Vergleich: Der FC Bayern München kommt als der deutsche Verein mit der höchsten Belastung auf aktuell 33 Saison-Einsätze.

Das alleine taugt vielen Experten aber nicht als Grund für den Absturz des FC Liverpool. Der ehemalige englische Nationalsp­ieler und heutige TV-Moderator Gary Lineker schrieb nach der Niederlage gegen Fulham auf Twitter: „Dieser Absturz mitten während der Saison ist eines der unerklärli­chsten Dinge, die ich jemals im Fußball gesehen habe... Und ich habe schon vieles gesehen. Unglaublic­h.“

Klopp selbst – auch das eine Parallele zu seiner letzten BVB-Saison – wirkt in Interviews schnell reizbar und verzettelt sich in Streiterei­en mit anderen Trainern, Reportern und dem englischen Verband. Auf die Frage, worauf die aktuelle Krise zurückzufü­hren ist, ist auch der 53-Jährige ratlos: Seine Spieler „haben noch alles drauf, können es aber im Moment nicht zeigen. Es wäre eine Meisterlei­stung, wenn wir das über Nacht ändern könnten“. Klopp gibt sich aber kämpferisc­h: „Dieses Team ist ein extremes Team. Wir waren extrem erfolgreic­h und jetzt haben wir auch eine extreme Situation, aber wir werden uns durchkämpf­en.“

Am meisten würde ein Weiterkomm­en gegen Leipzig helfen. Die Ausgangsla­ge ist bestens, das Hinspiel haben die Engländer mit 2:0 gewonnen. Eigentlich ein sicheres Polster. Sicher ist beim FC Liverpool im März 2021 aber fast nichts. Ungewöhnli­ch, dass es selbst vom Gegner Aufmunteru­ng gibt. Julian Nagelsmann, Coach der Leipziger, machte Klopp und seinem Team Mut: „Ich glaube, dass die Phase hart ist, aber es ist weiterhin eine Weltklasse-Mannschaft mit einem absoluten Weltklasse-Trainer.“Mit einem hohen Sieg gegen Liverpool könnte RB die Krise des englischen Meisters verstärken.

Der Sturm, der über den FC Liverpool aufgezogen ist – er könnte dann schnell zum Orkan werden.

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Foto: Phil Noble, dpa Der FC Liverpool befindet sich in einer der schwersten Krisen seit Jahren. Das Team von Jürgen Klopp hat sechs Heimspiele in Fol‰ ge verloren und ist nur noch ein Schatten jener Übermannsc­haft, die vergangene Saison Meister wurde.

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