Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was Anwohner am Hettenbach beobachteten
Im Revisionsprozess um eine angebliche Vergewaltigung in der Grünanlage in Oberhausen geben Anwohner vor Gericht ihre Eindrücke wieder. Zwar sind ihre Aussagen präzise, lassen aber in einzelnen Punkten mehrere Versionen des Geschehens möglich erscheinen
Es gibt Eindrücke, Vermutungen und es gibt Fakten. Ein Gericht darf sich bei einem Urteil nur auf Fakten stützen, auf Beweise oder auf eine Aneinanderreihung glaubwürdiger Indizien, die ein stimmiges Bild ergeben. Bei einer mutmaßlichen Vergewaltigung geht es letztlich um die Frage: Wem glaubt das Gericht? Selten gibt es unmittelbare Tatzeugen. Im Prozess um die angebliche Vergewaltigung am Hettenbach-Ufer in Oberhausen vom Juni 2019 gibt es zwei Zeugen, die etwas gesehen und gehört haben. Aber eben nur etwas, nicht das Kerngeschehen.
Die 1. Strafkammer beim Landgericht rollt ein Verfahren neu auf, da der Bundesgerichtshof die Verurteilung des 48-jährigen Ahmet B. (Name geändert) zu vier Jahren Haft durch ein anderes Gericht aufgehoben hat. Noch einmal werden alle Zeugen gehört. Der Angeklagte, der noch immer in Untersuchungshaft sitzt, bestreitet, seine damalige Geliebte Amira S. (Name geändert) in jener Sommernacht im Hettenbach-Park mehrfach vergewaltigt zuhaben. Sie habe freiwillig mitgemacht. Eingeräumt hat Ahmet B. lediglich, die 45-Jährige zuvor heftig geohrfeigt zu haben. Amira S. dagegen bleibt auch im zweiten Prozess am Landgericht dabei, sie habe sich zwar nicht gewehrt oder um Hilfe gerufen, sie habe aber dem Angeklagten deutlich zu verstehen gegeben, dass sie keinen Geschlechtsverkehr wolle.
Die Zeugenaussagen eines Anwohner-Ehepaares am dritten Prozesstag sind zwar recht präzise, lassen aber in einzelnen Punkten beide Versionen des Geschehens möglich erscheinen. Der 67-Jährige Anwohner war in jener Nacht um 4.30 Uhr durch Gerede draußen vor seinem Schlafzimmerfenster aufgewacht. Es sei schon „taghell“gewesen. Als er aus dem Fenster sah – etwa 17 Meter vom Geschehen entfernt – habe er die Frau gesehen, die sich über das Bachgeländer beugte und sich mit den Händen abstützte. Neben ihr sei der Angeklagte gestanden, mit herunter gelassener Hose.
„Hört auf mit der Schweinerei, sonst hole ich die Polizei“, habe er gerufen, so der Zeuge. Die Frau habe zu ihm hochgeschaut, sei dann hinter einem Strauch verschwunden. „Der Mann tappelte hinterher.“Der Zeuge sagt, er habe weder einen Geschlechtsverkehr gesehen noch eine Gewaltanwendung. Welchen Eindruck er von der Frau gehabt habe, will Vorsitzender Richter Christian Grimmeisen wissen. „Sie war teilnahmslos, als ob sie alles über sich ergehen lässt.“Er habe nicht den Eindruck gehabt, dass ein Vergewaltigungsgeschehen vorliege. Seine Ehefrau, 58, bestätigt dies. Die Frau am Geländer am Bach habe immer die gleichen Worte gesagt – was, das habe sie nicht verstanden. „Vom Tonfall her könnte es ein Wehklagen gewesen sein“, schildert die Anwohnerin vor dem Landgericht. Die Zeugin sagt allerdings auch: „Für mich war die Frau nicht in Gefahr. Sie hätte ja um Hilfe rufen oder wegrennen können. Da war keine Not erkennbar.“Amira S. hatte dem Gericht gegenüber ihr Verhalten so erklärt: „Ich hatte einfach Angst. Ich konnte nicht wegrennen.“
Eine 46-jährige Bekannte von Amira S., die Wochen später auf der Polizeiwache mit dabei war, sagte, sie habe die Geschichte mit der Vergewaltigung „eher nicht geglaubt“. Ihr Eindruck sei gewesen, dass „sie sich vor Eifersucht in etwas reingesteigert“habe.