Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Verwirrung bei Autoimmunerkrankungen
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft hatte ihren Mitgliedern von AstraZeneca abgeraten. MS-Patienten ließen sich daraufhin nicht mehr impfen. Warum sie jetzt trotzdem immunisiert werden können
Eine Impfung ist derzeit der beste Weg, um das Risiko einer Infektion mit Covid-19 zu minimieren. Doch gibt es Menschen mit besonderen Gesundheitsproblemen, die durch die Impfung eine Verschlimmerung ihrer Erkrankung befürchten. Nach einer Empfehlung der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) an ihre Mitglieder, sich besser nicht mit dem AstraZenecaWirkstoff impfen zu lassen, verzichteten MS-Patienten im Augsburger Impfzentrum auf die Immunisierung – oder versuchten zumeist erfolglos, einen der anderen zugelassenen Impfstoffe zu erhalten. Mittlerweile hat die DMSG ihre Empfehlung abgeändert – die Patienten bleiben aber verunsichert.
In der Einschätzung der DMSG hieß es, man befürchte „für den vektorbasierten Impfstoff von AstraZeneca eine mögliche ungünstige Auswirkung auf die entzündliche Aktivität des Immunsystems autoimmunerkrankter Personen durch den zugrundeliegenden, nicht im
Menschen vermehrungsfähigen Adenovirus“. Für die MS-Patienten ein Risiko, das mit dem Nutzen einer Corona-Impfung nur schwer zu vereinbaren war.
Die Impfstoffe, die gerade auch in Augsburg verwendet werden, haben unterschiedliche Wirkungen. Die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna sind sogenannte mRNAImpfstoffe. Die mRNA ist die Bauanleitung für einen Bestandteil des Covid-19-Erregers und gelangt mithilfe winziger Fetttröpfchen in die Körperzellen. Diese stellen dann das Virusprotein her, gegen das der Körper seine Immunantwort entwickelt.
Dagegen ist AstraZeneca ein Vektorimpfstoff. Er enthält genetisches Material eines Proteins, mit dem der Erreger Sars-CoV-2 an menschliche Zellen andockt. Auch in diesem Fall bilden Körperzellen mithilfe der Bauanleitung das Protein, und der Körper entwickelt dagegen seine Immunantwort. Die Unterschiede der Präparate, wie die Immunabwehr ausgelöst wird, lassen Kritiker vermuten, dass eine Impfstoffart besser sein könnte als die andere.
Die Stadt spricht zwar von nur zwei bekannten Fällen, bei denen sich Menschen mit Verweis auf eine MS-Erkrankung nicht mit AstraZeneca impfen lassen wollten und unverrichteter Dinge wieder nach Hause gegangen seien. Doch die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, wie Mitarbeiter des Impfzentrums bestätigen. Sie sprechen von
„einigen Fällen“– zumal auch bei anderen entzündlichen Krankheiten Misstrauen gegen den Impfstoff besteht. So wird auch unter RheumaPatienten diskutiert, inwieweit AstraZeneca kontraproduktiv sein kann. Die Deutsche Rheuma-Liga gibt dazu auf ihrer Internetseite aber ebenfalls Entwarnung.
Mittlerweile hat auch die DMSG ihre Empfehlung angepasst und empfiehlt ihren Mitgliedern uneingeschränkt alle drei Impfstoffe. „Wir empfehlen grundsätzlich die Corona-Schutzimpfung für MS-Erkrankte mit allen in der EU zugelassenen Covid-19-Impfstoffen“, heißt es jetzt auf der Website der DMSG. „Stehen verschiedene Impfstoffe am Impftermin zur Verfügung, raten wir, die mRNA-basierten Impfstoffe zu favorisieren“, heißt es in der Erklärung weiter.
Auch im Impfzentrum geht man davon aus, dass alle drei Impfstoffe gleichermaßen gut für alle Menschen geeignet sind – abgesehen von den bekannten Alterseinschränkungen bei AstraZeneca. Der medizinische Leiter des Zentrums, Dr. Andreas
Schneider, sagt, es sprächen keine medizinischen Gründe dagegen, sich mit Vorerkrankungen wie MS mit AstraZeneca impfen zu lassen. Die Gefahr einer Corona-Infektion sei wesentlich höher als das Impfrisiko bei MS. „AstraZeneca ist ein guter Impfstoff“, betont der Impfarzt.
Es ist im Impfzentrum grundsätzlich nicht möglich, sich für einen bestimmten Impfstoff auszusprechen. Derzeit wird dort nach Angaben der Stadt vor allem AstraZeneca verimpft. Ältere Bürger bekommen Biontech und mittlerweile auch Moderna. Selbst wenn medizinische Gründe für einen anderen Impfstoff sprächen, können die Ärzte im Impfzentrum nicht einfach umschwenken, weil der BiontechImpfstoff erst langwierig aufgetaut werden muss. Die Impfsoftware BayImco informiert das Impfteam auch nicht, wenn ein Patient eine besondere Krankheit angegeben hat. An dieser Stelle gäbe es für die bayerische Software „Verbesserungspotenzial“, heißt es dazu von der Stadt.