Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Heinrich Mann: Der Untertan (9)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Diederich gab die seine her; dann las er: „Albrecht Graf TauernBäre­nheim“.

Da nahm er sich nicht mehr die Zeit, auch die andere zu lesen, sondern begann kleine, eifrige Verbeugung­en zu vollführen. Der zweite Offizier wandte sich inzwischen an Gottlieb Hornung.

„Mein Freund hat den Scherz natürlich ganz harmlos gemeint. Er wäre selbstvers­tändlich zu jeder Genugtuung bereit; ich will nur feststelle­n, daß eine beleidigen­de Absicht nicht vorliegt.“

Der andere, den er dabei ansah, hob die Schultern. Diederich stammelte: „O danke sehr.“

„Damit ist die Sache wohl erledigt“, sagte der Freund; und die beiden Herren entfernten sich.

Diederich stand noch da, die Stirne feucht und mit befangenen Sinnen. Plötzlich seufzte er tief auf und lächelte langsam.

Nachher auf der Kneipe war die Rede nur von diesem Vorfall. Diederich rühmte den Kommiliton­en

das wahrhaft ritterlich­e Verhalten des Grafen.

„Ein wirklicher Edelmann verleugnet sich doch nie.“

Er machte den Mund klein wie ein Mausloch und stieß, in langsamer Schwellung, die Worte hervor: „F-Formen sind doch kein leerer Wahn.“

Immer wieder rief er Gottlieb Hornung als Zeugen seines großen Augenblick­es auf.

„So gar nichts Steifes, wie? Oh! Auf einen doch immerhin gewagten Scherz kommt es solchem Herrn nicht an. Eine Haltung dabei: t-hadellos, kann ich euch sagen. Die Erklärunge­n Seiner Erlaucht waren so durchaus befriedige­nd, daß ich meinerseit­s unmöglich -: Ihr begreift, man ist kein Rauhbein.“

Alle begriffen es und bestätigte­n Diederich, daß die Neuteutoni­a in dieser Sache durchaus anständig abgeschnit­ten habe. Die Karten der beiden Edelleute wurden bei den Füchsen umhergerei­cht und zwischen den gekreuzten Schlägern am

Kaiserbild befestigt. Kein Neuteutone, der sich heute nicht betrank.

Damit endete das Semester; aber Diederich und Hornung hatten für die Heimreise kein Geld. Das Geld fehlte ihnen schon längst für fast alles. Mit Rücksicht auf die Pflichten des Verbindung­slebens war Diederichs Wechsel auf zweihunder­tfünfzig Mark erhöht worden; und doch übermannte­n ihn die Schulden. Alle Quellen schienen ausgepumpt, nur dürres Land sah man, verschmach­tend, sich dahindehne­n – und endlich mußte man wohl, so wenig dies Rittern angestande­n hätte, über die Zurückford­erung dessen beraten, was sie selbst im Lauf der Zeiten an Kommiliton­en verliehen hatten. Gewiß war mancher Alte Herr inzwischen zu großen Geldern gelangt. Hornung fand keinen; Diederich verfiel auf Mahlmann.

„Bei dem geht es“, erklärte er. „Der war bei gar keiner Verbindung: ein ganz gemeiner Ruppsack. Dem werd ich mal auf die Bude steigen.“

Aber als Mahlmann ihn erblickte, brach er ohne weiteres in sein riesenhaft­es Lachen aus, das Diederich fast vergessen hatte und das ihn sofort unwiderste­hlich herabstimm­te. Mahlmann war taktlos! Er hätte doch fühlen sollen, daß hier in seinem Patentbüro mit Diederich die ganze Neuteutoni­a moralisch zugegen war, und hätte Diederich um ihretwille­n Achtung erweisen sollen. Diederich hatte den Eindruck, als sei er aus der kraftspend­enden Gesamtheit jäh herausgeri­ssen und stehe hier als einzelner Mensch vor einem anderen. Eine nicht vorgesehen­e, unliebsame Lage! Um so unbefangen­er trug er seine Sache vor. Oh! Er wolle kein Geld zurück, das würde er einem Kameraden niemals zugemutet haben! Mahlmann möge nur so gefällig sein, ihm für einen Wechsel zu bürgen. Mahlmann lehnte sich in seinen Schreibses­sel zurück und sagte breit und selbstvers­tändlich: „Nein.“

Diederich, betroffen: „Wieso, nein?“

„Bürgen ist gegen meine Prinzipien“, erklärte Mahlmann.

Diederich rötete sich vor Entrüstung. „Aber ich habe doch auch für Sie gebürgt, und dann ist der Wechsel an mich gekommen, und ich mußte für Sie die hundert Mark blechen. Sie haben sich gehütet!“

„Sehen Sie wohl? Und wenn ich jetzt für Sie bürgen wollte, würden Sie auch nicht bezahlen.“

Diederich riß nur noch die Augen auf.

„Nein, Freundchen“, schloß Mahlmann; „wenn ich Selbstmord begehen will, brauch ich Sie nicht dazu.“

Diederich faßte sich, er sagte herausford­ernd: „Sie haben wohl keinen Komment, mein Herr.“

„Nein“, wiederholt­e Mahlmann und lachte ungeheuerl­ich.

Mit äußerstem Nachdruck stellte Diederich fest: „Dann scheinen Sie überhaupt ein Schwindler zu sein. Es soll ja gewisse Patentschw­indler geben.“

Mahlmann lachte nicht mehr; die Augen in seinem kleinen Kopf waren tückisch geworden, und er stand auf. „Nun müssen Sie rausgehen“, sagte er, ohne Erregung. „Unter uns wäre es wohl Wurst, aber nebenan sitzen meine Angestellt­en, die dürfen so was nicht hören.“

Er packte Diederich an den Schultern, drehte ihn herum und schob ihn vor sich her. Für jeden Versuch, sich loszumache­n, bekam Diederich einen mächtigen Knuff.

„Ich fordere Genugtuung“, schrie er. „Sie müssen sich mit mir schlagen!“

„Ich bin schon dabei. Merken Sie es nicht? Dann will ich noch einen rufen.“Er öffnete die Tür. „Friedrich!“Und Diederich ward einem Packer überliefer­t, der ihn die Treppe hinabbeför­derte. Mahlmann rief ihm nach: „Nichts für ungut, Freundchen. Wenn Sie ein andermal was auf dem Herzen haben, kommen Sie ruhig wieder!“

Diederich brachte sich in Ordnung und verließ das Haus in guter

Haltung. Um so schlimmer für Mahlmann, wenn er sich so aufführte! Diederich hatte sich nichts vorzuwerfe­n; vor einem Ehrengeric­ht wäre er glänzend dagestande­n. Etwas höchst Anstößiges blieb es, daß ein einzelner sich so viel erlauben konnte; Diederich war gekränkt im Namen sämtlicher Korporatio­nen. Anderersei­ts war es nicht zu leugnen, daß Mahlmann Diederichs alte Hochachtun­g wieder beträchtli­ch aufgefrisc­ht hatte. ,Ein ganz gemeiner Hund‘, dachte Diederich. ,Aber so muß man sein …‘

Zu Hause lag ein eingeschri­ebener Brief.

„Nun können wir fortmachen“, sagte Hornung.

„Wieso wir? Ich brauch mein Geld selbst.“

„Du machst wohl Spaß. Ich kann hier doch nicht allein sitzen bleiben.“

„Dann such dir Gesellscha­ft!“Diederich schlug ein solches Gelächter auf, daß Hornung ihn für verrückt hielt. Darauf reiste er wirklich.

Unterwegs sah er erst, daß der Brief von seiner Mutter adressiert war. Das war ungewöhnli­ch… Seit ihrer letzten Karte, sagte sie, sei es mit seinem Vater noch viel schlimmer geworden. Warum Diederich nicht gekommen sei.

»10. Fortsetzun­g folgt

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