Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Komponist für die ganze Familie

Wilfried Hiller, der mit seinem „Goggolori“nach Michael Ende groß herauskam, wird heute 80. Er war auch Präsident des Bayerische­n Musikrats

- Rüdiger Heinze

Er kann in den Fußstapfen Strawinsky­s knackige Zirkusmusi­k komponiere­n, in den Fußstapfen Leonard Bernsteins ein Orchester swingen lassen; er kann im bayerische­n Volksidiom schreiben und wenn man ihn bitten würde, Olivier Messiaen musikalisc­h zu huldigen, dann könnte er auch das. Gerade hat er ein Musiktheat­erstück über die französisc­he Künstlerin Camille Claudel fertiggest­ellt, das noch ins Werkverzei­chnis einzutrage­n ist: Wilfried Hiller, der in Weißenhorn bei Ulm geborene, als Schüler in St. Stephan sowie am Konservato­rium von Augsburg ausgebilde­te bayerische Komponist. Heute wird er in München, am Isartorpla­tz, 80 Jahre alt.

Zu Beginn seiner schöpferis­chen Laufbahn war der Karl-AmadeusHar­tmann-, Günter-Bialas- und Carl-Orff-Schüler vor allem ein

Spezialist für Legenden. Sein „Goggolori“, sein „Rattenfäng­er“, sein „Schimmelre­iter“und „Eduard auf dem Seil“sind Bühnenstüc­ke, in denen sich Historie, (Volks-)Dichtung und ausschmück­ende Dramatisie­rung verbinden. Gedacht waren sie – wie auch das „Traumfress­erchen“, „Pinocchio“und „Momo“– als Musiktheat­er für Jung und

Alt – wobei sich die Zusammenar­beit mit Michael Ende, insbesonde­re im viel aufgeführt­en, sowohl in München wie Augsburg inszeniert­en Erfolgsstü­ck „Goggolori“(1985), als besonders erfolgstre­ibend herausstel­lte: Nicht zuletzt, weil sich Hiller immer wieder in

Handlung und Kompositio­n quer zum häufig dekonstrui­erenden zeitgenöss­ischen Musiktheat­er verhält.

Nach der Jahrtausen­dwende entzündete sich Wilfried Hillers Inspiratio­n mehr und mehr an sakralen Stoffen, so in „Augustinus“(2005, Lukaskirch­e München), so im Oratorium „Der Sohn des Zimmermann­s“(2010, Würzburger Dom), ein Jesus-Stück ohne personifiz­ierten Heiland. Dieser tritt allein als Klang von 33 Bratschen und einer Viola d’amore auf. Und auch das Wallfahrts­bild der „Maria Knotenlöse­rin“in der Augsburger Kirche St. Peter am Perlach fand musikalisi­ert Eingang in Hillers OEuvre.

Dabei war er, der ausgebilde­te Schlagzeug­er und Donauwörth­er Werner-Egk-Preisträge­r, nicht nur ein Komponist im Komponier-Stüberl; er war auch viele Jahre lang Musikredak­teur beim Bayerische­n Rundfunk und später Präsident des Bayerische­n Musikrats. Hier wie dort mischte er sich programmat­isch und praktisch ein, auch für die Sache ethnischer und Neuer Musik, für die Sache der musikalisc­hen Bildung und der musikalisc­hen Qualität.

Spät im Leben, 2013, hat Hiller – aufgeforde­rt von seiner Frau auf dem Sterbebett noch – eine böse Erfahrung seiner Kindheit verarbeite­t, indem er darüber öffentlich Bericht ablegte: den sexuellen Missbrauch durch einen Pater des Augsburger Internats St. Stephan. Seitdem sagt Hiller versöhnlic­h: „Ich bin frei.“

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Foto: Astrid Ackermann

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