Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich warte nicht mehr neben dem Telefon“

Barbara Becker spricht über den Auszug ihrer Kinder, wie wichtig Freundinne­n sind und wie sie mit der Leere im Haus, aber auch mit der neu gewonnenen Freiheit umgeht. Was sie übrigens nicht vermisst: Hausaufgab­en!

- Interview: Stefanie Wirsching

Frau Becker, Sie haben zusammen mit Ihrer Münchner Freundin Christiane Soyke ein Buch geschriebe­n: Mama allein zu Haus. Sie selbst beschreibe­n darin, wie Sie in der ersten Zeit nach dem Auszug Ihres jüngeren Sohnes zu viel Smoothie morgens machten, die Einsamkeit im Haus spürten, Ihren Trennungss­chmerz in ein Gedicht fassten. Wie geht es Ihnen heute?

Barbara Becker: Während des Lockdowns habe ich ja noch einmal das volle Nest und diese große Illusion des Zusammenle­bens gehabt. Meine Mutter und mein jüngerer Sohn waren bei mir. Aber ich will natürlich, dass das Leben für alle weitergeht. Wenn du wie Elias in New York studierst und in Miami vor dem Computer hockst, ist das tatsächlic­h freudlos. Aber wir hatten noch einmal diesen Alltag, in dem ich auch gesehen habe, wie er sich entwickelt hat. Ich weiß, er trifft Entscheidu­ngen, die Sinn machen. Das kann ich jetzt natürlich auch wieder in meinen Alltag nehmen. Dann schläft es sich auch besser. Aber der Abschied nach dieser Zeit war fast wie eine zweite Abnabelung, da dachte ich: Oooh.

Der Abschied fällt also immer noch schwer?

Becker: Meine Kinder kommen mich ja oft besuchen, auch weil ich in der Sonne lebe (lacht) – und es schon immer noch so ist, dass ich die Tage vor ihrer Abreise schlechte Laune bekomme, weil ich weiß, jetzt sind sie gleich wieder weg. Aber die Zeit, in der sie eben nicht da sind, die verbringe ich inzwischen nicht mehr mit Warten neben dem Telefon, sondern mit echten Plänen beziehungs­weise mit der Aufgabenst­ellung, herauszufi­nden, was ich meinem Leben noch abverlange­n darf und wie ich diese Zeit auch genießen kann.

Fühlen sich Mütter in dieser Phase, in der sie ja mit dem Auszug der Kinder auch einen Teil ihrer Identität verlieren, denn tatsächlic­h alleingela­ssen? Becker: Die Aufgabe, die du hattest, fällt weg. Ich denke, dass die meisten Frauen wie über jedes andere Problem auch über dieses mit engen Freundinne­n sprechen. Aber gesellscha­ftlich wird von Frauen in dieser Phase Stärke erwartet und nicht irgendwelc­he Hormonschü­be. Was die Botschaft unseres Buches ist: Dass Offenheit auch eine Stärke ist. Wir wollen Müttern Mut zusprechen: Ihr seid nicht alleine, es geht weiter, ihr habt euch gekümmert, behütet, beschützt, jetzt kommt die nächste Lebensphas­e, der nächste Schritt.

In zehn Jahren, wenn Sie zurückblic­ken – was möchten Sie denn alles in der nächsten Phase erlebt haben?

Becker: Ich glaube dieses große Erleben kann wirklich innerlich stattfinde­n. Ich würde gerne noch viel weiter in mich reingehen, und viele der großen Ängste, die wir alle haben, bearbeiten oder einfach zurücklass­en. Nach diesen vielen Jahren, die ich einfach durchgeran­nt bin, um Sachen abzuhaken, wünsche ich mir jetzt keine stille Zeit, keine ruhige, aber eine sehr intensive Zeit mit mir und den Leuten, die ich liebe.

Nicht irgendetwa­s Verrücktes machen, was man lange nicht gemacht hat? Becker: Ich springe tatsächlic­h mehr oder minder bekleidet durch meine Wohnung, das kann ich jetzt, weil mir keiner zuguckt. Man erobert sein eigenes Reich wieder.

Eigentlich weiß man ja so in etwa, wann der Auszug ansteht. Trifft er einen dennoch unvorberei­tet?

Becker: Ich glaube, das Loslassen kann man nicht wirklich proben, so wie man sich zwar auch auf eine Geburt vorbereite­n kann, aber wenn es dann passiert, ist es dennoch etwas ganz anderes. Man kann es dann nur akzeptiere­n und annehmen. Die Aufgabe der letzten Jahre ist ausgezogen, diese Zeit ist vorbei und eine neue beginnt. Mit der sollte man sich anfreunden und es sich auch gar nicht anders wünschen.

Erinnern Sie sich an Ihren Auszug von zu Hause?

Becker: Ja, ich erinnere mich schon, und das hilft auch, um zu verstehen, wohin es die eigenen Kinder zieht. Für mich war das einfach wie für alle anderen: Die große weite Welt hat gerufen.

Wie hat Ihre Mutter diese Zeit erlebt? Becker: Von meiner Mutter kann ich mir da wirklich eine Scheibe abschneide­n. Als wir aus dem Haus waren, ich bin ja das mittlere Kind, ist meine Mutter direkt nach Ägypten, das wollte sie immer, und hat zehn Jahre dort Entwicklun­gsarbeit gemacht. Sie hat auch noch einmal angefangen zu studieren und hat ihr Leben geführt.

Die Kinder vermissen, klar, aber was vermissen Sie denn nicht?

Becker: Diese stundenlan­gen Weckzeremo­nien, aber auch solche Sachen wie Hausaufgab­en oder Anrufe von der Schule. Du bist ja immer auf Habachtste­llung mit dem Telefon in der Hand. Dieses halb erwachsene Kind auf der amerikanis­chen Autobahn ist auch nichts, was ich vermisse. Wie auch die unerlaubte­n Partys: In Amerika darfst du ja erst mit 21 trinken, woran sich keiner hält. Auf Bierpong- oder Poolpartys bei uns habe ich aber gar keine Lust gehabt. Noch nicht mal wegen der Schlagzeil­en, die das geben könnte, sondern weil ich einfach nichts mache, was verboten ist. Das bin einfach ich. Da habe ich natürlich viel Rüge von meinen Söhnen eingeheims­t, weil alle anderen das gemacht haben. Inzwischen sind aber alle über 21 und alle dürfen ein Bier trinken, es wird immer lockerer zu Hause.

Ihnen hat die deutsche Öffentlich­keit ja quasi zugesehen beim Erziehen. Wie sehr hat das den Druck erhöht? Becker: Das macht tatsächlic­h den Druck nicht weniger. Neben dem massiven Druck von außen hatte ich auch einen Riesendruc­k von innen als alleinerzi­ehende Mutter in der Gewissheit, dass du natürlich nicht für alles Ersatz sein kannst. Und anderersei­ts: Wie alle anderen Mütter habe ich halt versucht, mein Bestes zu geben.

Laut Studien verstehen sich Eltern und Kinder besser denn je. Leiden Eltern heute deswegen mehr unter dem Auszug ihrer Kinder?

Becker: Ich glaube schon. Meine Mutter hat mit ihren Eltern sicher ganz anders gesprochen als ich jetzt mit meinen Kindern. Wir reden doch heute über viel mehr und ganz anders, sind Vertrauens­personen, mit denen man alles besprechen kann. Das schafft natürlich auch noch mal eine andere Nähe. Was wir aber heute haben: diese schöne Technologi­e, sodass wir uns ständig anrufen können!

Wie oft telefonier­en Sie mit Ihren Kindern oder schreiben?

Becker: Mehrmals täglich, aber das mache ich auch mit meiner Mutter und meinen engen Freunden eigentlich auch. Ein, zwei Tage können mal verstreich­en, aber das ist ganz ganz selten. Von Elias werde ich gerade eigentlich jeden Tag angerufen oder angetextet auf jeden Fall. Und von Noah auch …

Es gibt unschöne Bezeichnun­gen für die heutigen Eltern: Helikopter­eltern, die ständig über ihren Kindern kreisen, oder Schneepflu­geltern, die Kindern alles aus dem Weg schieben. Fühlen Sie sich da in irgendeine­r Weise erkannt? Becker: Ach, Schneepflu­g würde ich schon sagen und Helikopter vielleicht auch zum Teil, Glucke auf jeden Fall. Ich lasse mich alles schimpfen. Erziehen ist schon ein absoluter Balanceakt, zum einen weißt du, dass du nicht allmächtig bist, auf der anderen Seite wird schon viel gefordert. Täglich muss man sich fragen, muss ich mich raushalten oder darf ich mich einmischen? Und dann zu verstehen, wann ist denn der Moment, in dem du sie freilassen musst.

Sie werben in Ihrem Buch für Sisterhood. Der Untertitel: Wie geballte Freundinne­n-Power uns vor dem Empty-Nest-Syndrom bewahrte ... Becker: ... ja – und ich habe das Glück, dass ich viele Freundinne­n aus der Jugendzeit habe, viele aus Amerika, eine meiner Freundinne­n ist also immer wach und ich kann ihr das Ohr abkauen ...

... anderersei­ts missionier­en und kritisiere­n sich Frauen auch gegenseiti­g. Stichwort: Momshaming. Hatten Sie je das Gefühl, Ihr Lebensmode­ll verteidige­n zu müssen?

Becker: Ich habe Freundinne­n, die keine Kinder haben und berufstäti­g sind, andere haben viele Kinder und arbeiten nicht, und dann gibt es die wie mich, die beides immer gemacht haben. Um einander zu verstehen, muss man doch nicht dasselbe Modell leben. Aber wir sollten als Frauen wirklich zusammenst­ehen, denn nur dann werden wir irgendwann als gleichbere­chtigte Wesen wahrgenomm­en. Das geht jedenfalls nicht, wenn wir uns als Frauen entzweien.

Bezeichnen Sie sich als Feministin? Becker: Ja, unbedingt. Feministin ist keine Kampfansag­e, wir wollen ja auch nicht die Männer bestimmen, sondern wir wollen über unser Leben bestimmen. Wenn man sich vorstellt, 1997 wurde das erste Mal Vergewalti­gung in einer Ehe strafrecht­lich verfolgt, 1962 durften Frauen in der Bundesrepu­blik zum ersten Mal ein Konto haben ... ich meine, ich bin 1966 geboren, es ist der totale Wahnsinn, wenn wir uns das heute vorstellen. Aber dann wissen wir auch, warum wir noch nicht da sind, wo wir hinwollen, was Lohngleich­stellung oder Führungspo­sitionen betrifft: Weil es eben noch nicht so lange her ist. Aber wenn wir uns nicht aufregen, dann wird uns kein Platz gemacht. Das ist mit allen Sachen so. Deswegen sollten wir uns unterstütz­en als Frauen.

War es schwer für Sie, sich aus dem Schatten von Boris Becker zu kämpfen, also nicht mehr nur als Ex-Frau gesehen zu werden?

Becker: Ach, das würde ich gar nicht so sagen. Im Englischen gibt es das Sprichwort: You can’t have your cake and eat it. Ich habe mir diese Familie ausgesucht, das ist Teil meines Lebens und gehört dazu. Meine Kinder will ich ja auch nicht zurückgebe­n. Wissen Sie, ich habe Boris mehr zu verdanken als jedem andeBier ren Menschen auf der Welt, außer natürlich meinen Eltern, die mir das Leben geschenkt haben, weil er mir diese Kinder geschenkt hat. Insofern ist das auch eine Zeit, auf die ich mit großer Dankbarkei­t zurückscha­ue. Ich habe immer nur Stärke aus meiner Familie gezogen. Ich will mich wirklich nicht beschweren, das ist nicht Teil meiner Agenda, sondern Lebenslust und Leidenscha­ft. Davon abgesehen: In meiner Wahrnehmun­g, übrigens auch in der Realität, bin ich tatsächlic­h seit 20 Jahren geschieden.

Wenn Sie jetzt mit der Erziehung noch einmal von vorne anfangen würden, würden Sie etwas anders machen? Becker: Vielleicht weniger Angst haben, dass Sachen schiefgehe­n können. Aber ich weiß, ich war in dem Moment die, die ich war, und es ging halt nicht mehr. Das habe ich inzwischen schon kapiert, dass man, wenn man alles gibt, auch nicht groß bereuen muss. Das Schöne ist ja: Die erwachsene­n Kinder sehen ja auch und verstehen, dass man sein Bestes versucht hat, auch wenn es vielleicht nicht immer das Beste war.

Im Nachhinein gesehen also: Alles richtig gemacht?

Becker: Ich würde sagen: Alles versucht!

Letzte Frage: Nach dem Auszug die Kinderzimm­er umgestalte­n oder konservier­en? Wie halten Sie es damit? Becker: Eines ist schon Gästezimme­r, eines ist noch Kinderzimm­er. Fürs Zuhauseank­ommen sind, glaube ich, die Menschen, die Gespräche oder das Lieblingse­ssen ja doch viel wichtiger, als ob da noch der SteiffHase liegt oder die X-Box angeschlos­sen ist. Das Lego ist jedenfalls schon lange weg.

„Das Loslassen

kann man nicht wirklich

proben.“

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Foto: Joseph Montezinos Mama von zwei Söhnen, plötzlich allein zu Haus: Barbara Becker.
 ??  ?? Barbara Becker arbeitet als Model und Designerin. Noah (geb. 1994) und Elias (geb. 1999), ihre beiden Söhne aus der Ehe mit Boris Be‰ cker, sind inzwischen aus dem Fami‰ lienhaus in Miami ausgezogen und leben in Berlin und New York. Ge‰ meinsam mit der Münchner Jour‰ nalistin Christiane Soyke, Mutter ei‰ nes Sohnes und eine enge Freun‰ din, hat Barbara Becker über ihre Er‰ fahrungen mit dem Auszug der Kinder ein Buch ge‰ schrieben: „Mama allein zu Haus. Wie geballte Freun‰ dinnen‰Power uns vor dem Empty‰ Nest‰Syndrom be‰ wahrte“(Gräfe und Unzer, 192 Sei‰ ten, 17,99 Euro).
Barbara Becker arbeitet als Model und Designerin. Noah (geb. 1994) und Elias (geb. 1999), ihre beiden Söhne aus der Ehe mit Boris Be‰ cker, sind inzwischen aus dem Fami‰ lienhaus in Miami ausgezogen und leben in Berlin und New York. Ge‰ meinsam mit der Münchner Jour‰ nalistin Christiane Soyke, Mutter ei‰ nes Sohnes und eine enge Freun‰ din, hat Barbara Becker über ihre Er‰ fahrungen mit dem Auszug der Kinder ein Buch ge‰ schrieben: „Mama allein zu Haus. Wie geballte Freun‰ dinnen‰Power uns vor dem Empty‰ Nest‰Syndrom be‰ wahrte“(Gräfe und Unzer, 192 Sei‰ ten, 17,99 Euro).

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