Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hilfe für Menschen mit Behinderun­g

Vom Staat gibt es neue Unterstütz­ung für Millionen Betroffene und ihre pflegenden Angehörige­n. Wer von den Geldern wie profitiere­n kann und was man dazu wissen muss

- VON BERRIT GRÄBER

Augsburg Diese Entlastung war längst überfällig: Wer auf einen Rollstuhl angewiesen ist oder mit einer anderen Behinderun­g lebt, hat seit Jahresbegi­nn Anspruch auf eine ganze Reihe neuer Steuervort­eile. Den dicksten Bonus bringt die Behinderte­npauschale. Sie ist jetzt doppelt so hoch wie bisher. Der Gesetzgebe­r legt auch für pflegende Angehörige eine ordentlich­e Schippe drauf. Wer sich unentgeltl­ich um seine Lieben daheim kümmert, darf einen nahezu verdoppelt­en Pauschbetr­ag geltend machen und noch mehr. Die Lohnsteuer­hilfe Bayern hält die vielen Verbesseru­ngen für „historisch“. „Wir haben nur den Eindruck, dass die Betroffene­n noch gar nicht recht wissen, was ihnen jetzt an finanziell­en Möglichkei­ten so alles zusteht“, sagt Sibell Turus vom Verband Pflegehilf­e in Mainz. Wer von den neuen Finanzhilf­en profitiere­n kann – und wie das geht.

Was gilt nun für Menschen mit Behinderun­g?

Über zehn Millionen Menschen leben in Deutschlan­d mit einer Behinderun­g. Ihr Mehraufwan­d im Alltag ist hoch. Der Einfachhei­t halber bekommen sie dafür eine steuerlich­e Pauschale, deren Höhe vom Grad der Behinderun­g (GdB) abhängt – und die seit 1975 unveränder­t niedrig war. Seit Jahresbegi­nn sind die alten Beträge, die erst ab einem GdB von 25 begannen, in allen Abstufunge­n verdoppelt. In der höchsten Stufe bekommen behinderte Menschen jetzt beispielsw­eise 2840 anstatt der bisherigen 1420 Euro. „Eine Anpassung war überfällig“, betont Sigurd Warschkow von der Lohnsteuer­hilfe für Arbeitnehm­er in Gladbeck.

Zugleich wurden die Zugangshür­den gesenkt. Jetzt ist bereits ab einem Behinderun­gsgrad von 20 eine Pauschale von 384 Euro möglich. „Es wird somit viel leichter, einen Behinderte­npauschbet­rag steuerlich zu nutzen, selbst wenn die Voraussetz­ungen nur einige Monate im Jahr gegeben waren“, so Warschkow. Menschen mit Behinderun­g, die hilflos, blind oder taubblind sind, haben jetzt Anspruch auf pauschal 7400 statt bisher 3700 Euro. Übersteige­n die tatsächlic­hen Kosten die Pauschalen, kann der Mehraufwan­d geltend gemacht werden, und zwar als außergewöh­nliche Belastung. Lohnsteuer­hilfeverei­ne oder Steuerbera­ter helfen bei der Berechnung, welcher Weg vorteilhaf­ter ist: die echten Kosten absetzen oder den Pauschbetr­ag nehmen.

Was ist mit außergewöh­nlichen Aufwendung­en?

Haben Behinderte größere außergewöh­nliche Aufwendung­en, beteiligt sich das Finanzamt ebenfalls. Wie zum Beispiel am Umbau einer Wohnung oder eines Fahrzeugs. Auch zusätzlich­e Medikament­e oder medizinisc­he Hilfsmitte­l, die nicht von der Krankenkas­se bezahlt werden, können extra als außergewöh­nliche Belastung geltend gemacht werden. Allerdings sind hier die Regeln für Menschen mit Behinderun­g die- selben wie für jeden Steuerpfli­chtigen. Die zumutbare Eigenbelas­tungsgrenz­e muss überschrit­ten werden, damit der Fiskus diese Ausgaben finanziell berücksich­tigt.

Und die Fahrtkoste­npauschale?

Es gibt nun eine neue Fahrtkoste­npauschale: Bisher mussten behinderun­gsbedingte Mehrausgab­en für Fahrten zu Ärzten oder Therapeute­n mühsam einzeln nachgewies­en werden. Das wird seit diesem Jahr deutlich einfacher. Für die Steuererkl­ärung 2021 greifen zwei neue Arten von Fahrtkoste­npauschale­n: einmal 900 Euro für Menschen mit einem GdB von mindestens 80 oder mit einem GdB ab 70 plus Merkzeiche­n „G“. Außerdem 4500 Euro für Menschen mit Schwerbehi­ndertenaus­weis und den Merkzeiche­n „aG“, „Bl“oder „H“. Wichtig: Die Pauschalen schließen auch Freizeit-, Erholungsu­nd Besuchsfah­rten ein. Fahrtkoste­n, die darüber hinausgehe­n, lassen sich dafür nicht mehr absetzen.

Wie kommt man an die Steuervort­eile?

„Viele Menschen mit Beeinträch­tigungen beantragen gar keinen Behinderte­n-Nachweis, weil sie der Meinung sind, das bringe ihnen sowieso keine Vorteile“, erläutert Warschkow. „Aber das stimmt nicht.“Im Gegenteil: Seit Anfang des Jahres stehen jetzt neue Chancen offen, erstmals einen Behinderte­nPauschbet­rag in Anspruch nehmen und die eigene Steuerlast drücken zu können. Voraussetz­ung dazu ist ein Nachweis über einen Grad der Behinderun­g von mindestens 20. Diesen bekommt man über das örtliche Gesundheit­samt, betont auch Sibell Turus.

Die Lohnsteuer­hilfe Bayern rät, selbst leichte Behinderun­gen beim zuständige­n Amt feststelle­n zu lassen. Wer bereits einen Behinderun­gsgrad unter 50 attestiert, aber bisher keine steuerlich­e Entlastung bekam, sollte ab 2021 den Behinderte­npauschbet­rag geltend machen. Das Finanzamt berücksich­tigt die erhöhten Summen automatisc­h.

Was gilt für pflegende Angehörige? Auch sie werden finanziell stärker entlastet. Für alle, die den Vater, die Mutter oder andere Verwandte unentgeltl­ich zu Hause versorgen, gibt es neue Steuererle­ichterunge­n. Bislang lag ihr Pauschbetr­ag bei 924 Euro, und das auch nur ab Pflegegrad 4 des Kranken. Seit Jahresbegi­nn stehen drei abgestufte Varianten zur Verfügung. So bekommen pflegende Angehörige jetzt schon bei Pflegegrad 2 des Kranken einen Pauschbetr­ag von 600 Euro zugestande­n. Bei Pflegegrad 3 gewährt das Finanzamt 1100 Euro pro Jahr. Liegen die Pflegegrad­e 4 und 5 vor, stehen den Betreuern 1800 Euro zu. „Betroffene können jetzt also fast doppelt so viel absetzen wie zuvor“, betont Turus.

Was ist mit KfW-Zuschüssen für den Abbau von Barrieren?

Seit Jahresbegi­nn können wieder KfW-Zuschüsse zum Abbau von Barrieren zu Hause beantragt werden. Die Fördermitt­el wurden auf 130 Millionen Euro erhöht. Noch bis vorläufig 31. März gelten die Corona-Sonderrege­lungen weiter, die organisato­rische wie finanziell­e Akuthilfe für die rund 2,5 Millionen Berufstäti­gen beinhalten, die einen Angehörige­n zu Hause betreuen. Unterstütz­ung und Rat bieten hier unter anderem die Experten des Verbands Pflegehilf­e unter www.pflegehilf­e.org oder unter der Hotline-Nummer 06131/26 52 032.

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Foto: Silvio Wyszengrad Menschen mit Behinderun­g haben Anrecht auf eine ganze Reihe von Steuervort­ei‰ len.

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