Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich werde mich wehren“

Julian Reichelt steht möglicherw­eise vor dem Ende seiner Zeit als Bild-Chef. Nun hat er sich erstmals zu Vorwürfen gegen ihn geäußert

- VON DANIEL WIRSCHING

Berlin Für Verschwöru­ngsgläubig­e ist der Fall Julian Reichelt offensicht­lich: Der Bild-Chefredakt­eur habe Kanzlerin Merkel kritisiert und sei deshalb abserviert worden, sind sie überzeugt. Wer solche Freunde hat, braucht wirklich keine Feinde mehr. Und davon hat Reichelt ohnehin mehr als genug, auch in seiner Redaktion. Der wegen seines harten Führungsst­ils bekannte und gefürchtet­e Springer-Journalist muss sich in einem sogenannte­n Compliance-Verfahren innerhalb des Axel-Springer-Verlags massiver Vorwürfe erwehren. Am Samstag wurde bekannt: Der 40-Jährige ist freigestel­lt worden. Nach Tagen des Schweigens äußerte sich auch der Medienkonz­ern: „Julian Reichelt, Vorsitzend­er der Bild-Chefredakt­ionen und Sprecher der Bild-Geschäftsf­ührung, weist die Vorwürfe zurück. Um eine ungestörte Aufklärung sicherzust­ellen und die Arbeit der Redaktion nicht weiter zu belasten, hat er den Vorstand darum gebeten, bis zur Klärung der Vorwürfe befristet von seinen Funktionen freigestel­lt zu werden.“

Reichelt wird von früheren und aktuellen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn Machtmissb­rauch und das Ausnutzen von Abhängigke­itsverhält­nissen vorgeworfe­n. Einem Spiegel-Bericht zufolge, gegen den Reichelt laut Neue Zürcher Zeitung presserech­tlich vorgehen will, geht es unter anderem um intime Beziehunge­n sowie eine Vermischun­g von Privatem und Berufliche­m.

In einer Mitteilung an seine Kollegen zeigte sich Reichelt kämpferisc­h: „Bild und die Menschen bei Bild sind mein Leben“, schrieb er ihnen. Die Vorwürfe seien falsch. „Ich werde mich gegen die wehren, die mich vernichten wollen, weil ihnen Bild und alles, wofür wir stehen, nicht gefällt.“Nach einem Bericht der Medienjour­nalistin Ulrike Simon gehört dazu der Schriftste­ller und Journalist Benjamin von Stuckrad-Barre. Er sei „ein maßgeblich­er Hinweisgeb­er im Compliance-Verfahren“, zu dem Springer nach eigenen Angaben externe Experten hinzugezog­en hat.

Auch von außen wurde Reichelts Krawallkur­s immer wieder scharf kritisiert. Vor wenigen Monaten etwa forderte der Eichstätte­r Journalist­ik-Professor und Medienethi­ker Klaus-Dieter Altmeppen im Gespräch mit unserer Redaktion einen „Bild-Boykott“. Vor allem deren Berichters­tattung über den Fall Solingen nannte er „menschenve­rachtend“. Bild.de hatte WhatsAppNa­chrichten eines Elfjährige­n veröffentl­icht – nachdem dessen Mutter seine fünf Geschwiste­r ermordet haben soll. Selbst der Vorstand von Springer goutiere offenbar diese Art von Menschenve­rachtung, kritisiert­e Altmeppen. „Konsequenz­en aber sind seit Jahren nicht erkennbar beim Springer-Konzern.“

Damit ist, wie auch jetzt wieder, Mathias Döpfner – Vorstandsv­orsitzende­r der Axel Springer SE – angesproch­en. „Lässt er Julian Reichelt fallen?“ist die Frage, die sich sehr viele gerade stellen.

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Foto: Weihrauch, dpa „Bild“‰Chef Reichelt soll seine Macht missbrauch­t haben.

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