Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Auf der Suche nach dem SamstagsLebensgefühl
Vor der Pandemie war der erste Tag des Wochenendes immer der Tag, an dem die Augsburger das Leben in der Stadt besonders genossen haben. Inzwischen sind die Gassen leer und nur noch an wenigen Orten viele Menschen zu finden
Die Windböen wirbeln am Samstag kräftig durch die Gassen. Fehlen nur noch diese herumfliegenden Gestrüppkugeln, genannt Tumbleweeds, die Regisseure gerne in Wildwest-Filmen verwenden, um die Einsamkeit einer Stadt in Szene zu setzen. In Augsburgs Altstadt, die an Samstagen vor der Pandemie nahezu bei jedem Wetter voller Leben war, herrscht zum Teil diese gähnende Leere. Wo ist es, das samstägliche Lebensgefühl in der Stadt, geprägt durch Schaufensterbummelei, Begegnungen, Einkäufe und Gespräche? Schließlich hat der Einzelhandel seit einigen Tagen, wenn auch unter speziellen Bedingungen, wieder geöffnet. Trotzdem findet man in Augsburgs Zentrum nur an wenigen Orten zumindest leicht pulsierendes Leben.
Gisela und Karl-Heinz Haugg haben sich am Holbeinplatz nahe an eine Hauswand gestellt, um in Ruhe vor dem Sturm ihren Kaffee zu trinken. Das Ehepaar hat sich die heißen Getränke in Pappbechern aus der Chocolaterie Ertl geholt. Gemütlichkeit sieht anders aus. Seit jeher kommen die Großaitinger gerne an Samstagen in die Innenstadt. Die Pandemie hat nichts daran geändert – am Genuss ihrer Aufenthalte hingegen schon. „Inzwischen finde ich es nur noch katastrophal“, sagt die 51-Jährige über ihre Besuche in Augsburg.
Und trotzdem kommen die Hauggs immer wieder. Sie wollen die Geschäfte unterstützen. „Wir fahren abends auch extra nach Augsburg zu unserem Lieblingsrestaurant, um Essen zu holen. Wir wollen, dass es die Läden auch nach Corona noch gibt.“
An der Eisdiele Tutti Frutti sticht das neue große Schild ins Auge, das Inhaber Christian Bagatella an seinem Eckladen angebracht hat. Es zeigt die Absurdität der Maskenpflicht auf: Auf der Seite zur Weisen Gasse besteht Maskenpflicht, zur anderen Seite in der Pfladergasse nicht. „Hier können Sie Ihr Eis ohne Mundschutz genießen“ist also auf dem Schild mit den Erklärungspfeilen zu lesen. „Viele Menschen schmunzeln darüber“, sagt Ehefrau Katrin Bagatella am Verkaufsfenster. „Und die meisten laufen jetzt tatsächlich mit ihrem Eis über die Pfladergasse und den Elias-Holl-Platz hoch in die Stadt.“
Am Moritzplatz haben die Gastronomien Henry’s, Il Gabbiano und Centro ihre Außenbestuhlung schon aufgebaut – die Hoffnung, bei schönem Wetter bald außen öffnen zu können, ist offenbar groß. Doch viele haben auch Angst, dass die Inzidenz in Augsburg bald wieder über 100 liegen könnte, dann müsste der Einzelhandel erneut schließen. Zuletzt war der Wert kontinuierlich bis über 70 angestiegen. Am Wochenende meldet das Robert-Koch-Institut eine leichte Entspannung, am Sonntag liegt die Inzidenz bei 68,1. Die Unsicherheit über die Zukunft macht Karin Hoschek vom Schuhladen Sisento in der Philippine-Welser-Straße zu schaffen. Sie hat jetzt eine Klingel an ihrer Ladentür angebracht, denn es dürfen nur maximal zwei Kunden auf einmal hereinkommen. Das neu verordnete Konzept „Click & Meet“funktioniert bei ihr bislang kaum.
„Für heute habe ich noch keinen Termin vereinbart, und das an einem
Samstag“, sagt die 47-jährige Einzelhändlerin. Dabei können Kunden in das Schuhgeschäft, wie in vielen anderen inhabergeführten Läden auch, kurzfristig vorbeikommen. „Wenn das Geschäft leer ist, vergebe ich auch Spontan-Termine“, weist Hoschek darauf hin. Vielen Menschen, die in der Stadt unterwegs seien, sei das bislang gar nicht bewusst, stellt sie fest. Bei großen Geschäften wie TK Maxx in der Annastraße ist solch ein Spontaneinkauf an diesem Samstag undenkbar.
Das Modegeschäft hat den ersten Tag seit dem Lockdown seine Türen wieder offen. Zutritt erhält nur der, der zuvor online einen Termin vereinbart hat. Hier herrscht mit am meisten Andrang in der City. Kaum wird ein Schwung an Kunden hineingelassen, bildet sich die nächste lange Warteschlange die Annastraße entlang. Mitarbeiterinnen von TK Maxx, die Faceshields und Headsets tragen, laufen mit Listen in den Händen die Kunden ab und fragen nach deren Terminen. Sie versprechen: „Gleich geht es weiter.“Christiane Lauber und Holger Glaab aus Königsbrunn stehen am Ende der Schlange. In zehn Minuten ist ihr Termin. „Es hieß, wir sollen eine Viertelstunde früher da sein“, berichtet die 52-jährige Lauber mit einer TK Maxx-Tüte in der Hand. Darin steckt die Winterjacke, die sie ihrer Tochter vor dem Lockdown gekauft hatte. Doch die Jacke kam zuhause nicht gut an. Die Mutter will sie umtauschen. Es gibt noch einen Ort in der Innenstadt, an dem sich in diesen seltsamen Zeiten viele Menschen aufhalten.
Auf dem Stadtmarkt stehen die Kunden mit ihren Masken an den Ständen an, kaufen frisches Gemüse, Obst, Fisch, Fleisch und Blumen. Doch Lust, an dem Ort länger zu verweilen, der eigentlich Inbegriff der Samstagsgeselligkeit ist, hat kaum jemand. Warum auch? Manche Gastronomien haben zu, andere bieten im Rahmen des Erlaubten lediglich To-go-Verkauf an, wie das Café Kaufmann. „Die Leute dürfen mit den Getränken aber nicht mal bei uns stehen bleiben“, sagt Inhaber Rahmi Corapci. Trotzdem bestellen Stammkunden bei ihm gerne einen Kaffee, um sich wenigstens etwas vom alten Lebensgefühl zurückzuholen. „Generell sind die Leute bedrückt, manche auch angespannt“, beobachtet er. Letzteres merkt man vor einem Bäckerei-Stand.
Eine Frau und ein Mann streiten, von welcher Seite man sich richtigerweise anzustellen hat. Bauernmarkt-Händler Georg Assenbrunner, der die Diskussion gegenüber verfolgt, grinst. „Es ist wie immer. Es gibt die gut gelaunten Kunden und die launischen“, sagt er und ordnet seelenruhig seine Kartoffeln in der Holzkiste. An manchen Dingen ändert offenbar selbst Corona nichts.