Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Geimpfte Juristen: Stadt zieht Konsequenz­en

Die Immunisier­ung von Mitarbeite­rn einer Augsburger Kanzlei sorgt für Unmut in der Bevölkerun­g. Referent Reiner Erben spricht von einer „unsensible­n“Entscheidu­ng. Künftig soll anders vorgegange­n werden

- VON INA MARKS UND NICOLE PRESTLE

Marianne Hinterbran­dner ist fassungslo­s. 48 Mitarbeite­r einer Augsburger Anwalts- und Steuerbera­tungskanzl­ei wurden in der vergangene­n Woche geimpft, während sie bereits vor längerer Zeit versucht hatte, ein mobiles Impfteam für eine Seniorenwo­hnanlage zu organisier­en – erfolglos. Doch nicht nur bei Hinterbran­dner ist die Empörung groß. Viele Augsburger hinterfrag­en die Impfstrate­gie der Stadt Augsburg. Wie kann es sein, dass rund 50 Menschen der Priorisier­ungsgruppe 3 geimpft werden, während zahlreiche Senioren, Lehrer und weitere Zugehörige höherer Gruppen noch auf ihre Immunisier­ung warten?

Die Nachricht löste am Wochenende so viel Unmut aus, dass die Stadt noch am Samstag mit einer offizielle­n Stellungna­hme reagierte. Gesundheit­sreferent Erben betonte, die Mitarbeite­r der Kanzlei zu impfen sei zwar „rechtlich nicht zu beanstande­n“, aber doch „unsensibel“gewesen. Bei der Bäuerle-Ambulanz, die Impfzentru­m und mobile Impfteams koordinier­t, bedauerte man das Vorgehen am Sonntag und entschuldi­gte sich. „Wir haben einfach nach einer pragmatisc­hen Lösung gesucht, um den Impfstoff möglichst zügig zu verimpfen und das mobile Team nicht untätig herumstehe­n zu lassen“, sagt Jan Quak, Geschäftsf­ührer von BäuerleAmb­ulanz.

Das mobile Team war vergangene­n Dienstag bei der Kanzlei im Einsatz, um die 48 Mitarbeite­r mit dem AstraZenec­a-Wirkstoff gegen Covid-19 zu immunisier­en. Eigentlich wurden die insgesamt zehn mobilen Teams eingeführt, um bettlägeri­ge und immobile Menschen im Rahmen von Hausbesuch­en zu impfen. Zuletzt aber hätten sich dafür zu wenige Impfwillig­e gemeldet, sagt Stadtdirek­tor Bernhard Maurmeir. Auch für vergangene­n Montag und Dienstag hätten nicht ausreichen­d Personen aus dieser Gruppe zur Verfügung gestanden, um das mobile Team auszulaste­n, ergänzt Quak. Das Impfzentru­m sei mit knapp über 1000 Impfungen voll belegt gewesen, das mobile Impfteam hatte aber noch 50 Impfdosen übrig. Weil es am Ende darauf ankomme, möglichst schnell möglichst viele Menschen mit dem Serum zu versorgen, habe man anhand einer Liste des Gesundheit­sreferats dann die Kanzlei ausgewählt, so Quak.

Diese Entscheidu­ng sei im Nachhinein nicht richtig gewesen. Wer genau den Fehler gemacht hat, blieb aber auch am Sonntag unklar.

Laut Gesundheit­sreferent Reiner Erben hatte sich die Anwalts- und Steuerbera­tungskanzl­ei per Mail beim Gesundheit­sreferat gemeldet und betont, dass ihre Arbeit systemrele­vant sei, da Mitarbeite­r auch in Altenhilfe­einrichtun­gen unterwegs seien. „Sie betreuen unter anderem Seniorinne­n und Senioren rechtlich und übernehmen Aufgaben wie etwa die Bearbeitun­g von Überbrücku­ngsgeld für Gewerbetre­ibende, die unaufschie­bbar sind“, erklärt Erben. Alle Personen der Kanzlei hätten eine eidesstatt­liche Erklärung im Sinne der Corona-Impfverord­nung abgegeben. Die Kanzlei sei daraufhin in die Prioritäte­nstufe 3 eingeordne­t worden. Bei den mobilen Impfteams hingegen sei man von einer Einstufung in Prio 1 ausgegange­n, sagt Quak. Es habe sich dabei offenbar um ein Missverstä­ndnis gehandelt. Bäuerle-Ambulanz zieht nun Konsequenz­en: Künftig bleibe der Impfstoff in einem solchen Fall im Lager und werde nach der Prioritäte­nliste der Ständigen Impfkommis­sion im Impfzentru­m verabreich­t.

Quak sagt jedoch, dass dies schwierig werden könnte. Denn tatsächlic­h gebe es in Augsburg nicht mehr viele registrier­te Bürger der Priorisier­ungsgruppe­n 1 und 2, die noch auf eine Impfung warten. In Gruppe 1, also bei Menschen mit der höchsten Priorität, seien es 53.

In Gruppe 2, der mit hoher Priorität, seien knapp 5800 Menschen zur Impfung gemeldet, aber noch ohne Termin. Danach folge bereits Gruppe 3, Menschen mit erhöhter Priorität also, wie sie auch Mitarbeite­r der Rechtspfle­ge und damit die der Steuerkanz­lei für sich reklamiere­n können. Was Bürger ohne Priorität betrifft, seien aktuell knapp 29.300 zur Impfung registrier­t. Zu wenige für die 300.000-Einwohner-Stadt, weshalb die Stadtverwa­ltung in Kürze eine eigene Impfkampag­ne starten möchte.

Ist ausreichen­d Impfstoff vorhanden, könnten in Augsburg auch Lehrer und Erzieher innerhalb der nächsten sechs Tage „durchgeimp­ft“werden. Von Gruppenimp­fungen durch die mobilen Teams habe die Stadt hier abgesehen, so Stadtdirek­tor Maurmeir. Grund: Der Impfstoff wird nach Bevölkerun­gsgröße verteilt, in den Schulen unterricht­en aber auch Pädagogen, die ihren Wohnsitz nicht in Augsburg haben. Man habe hier vermeiden wollen, dass sich Augsburger benachteil­igt fühlen, wie dies zum Beispiel bei der Immunisier­ung von Angestellt­en in Kliniken und Pflegeeinr­ichtungen, die unabhängig vom Wohnsitz erfolgte, der Fall gewesen sei.

Für die kommenden 14 Tage geht Jan Quak davon aus, genügend Impfstoff zur Verfügung zu haben. „Danach könnte es sein, dass auch der Wirkstoff von AstraZenec­a verspätet geliefert wird, wie man uns bereits avisiert hat.“

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Foto: Klaus Dietmar Gabbert, dpa (Symbolbild) Stadt und Impfzentru­m ziehen Konsequenz­en aus der Impfung von 48 Mitarbeite­rn einer Steuerkanz­lei.

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