Augsburger Allgemeine (Land Nord)
DrogenKonsum schon mit 14 Jahren
Im Prozess gegen den Dealer erzählen Zeugen aus dem Umfeld der toten Jugendlichen aus Nordendorf von der Drogenszene. Die Drogenhilfe Schwaben geht nun neue Wege
Landkreis Augsburg Der Tod der beiden Jugendlichen, die im vergangenen Sommer an einer Überdosis Ecstasy gestorben sind, war ein Schock für die Menschen vor allem im nördlichen Landkreis Augsburg. Im Prozess gegen den 34-jährigen Dealer sagten Freunde und Bekannte aus dem Umfeld der Verstorbenen aus, dass es nach wie vor eine Drogenszene gebe. Auch ein weiterer Dealer, der im großen Stil mit Betäubungsmitteln gehandelt hat, nannte unter anderem Welden, Meitingen, Nordendorf, Schwabmünchen und Untermeitingen als Umschlagplätze.
Viele Eltern sind nun in Sorge. Schließlich zeigten die jüngsten Vorfälle, dass die Drogenkarriere oft bereits im jugendlichen Alter beginnt. Eine Entwicklung, die die Drogenhilfe Schwaben bestätigt. Doch Corona hat die ohnehin nicht einfache Arbeit der Profis zusätzlich erschwert. Die Beratungsstelle geht daher einen ganz neuen Weg.
„Am liebsten wären wir wieder direkt vor Ort“, sagt Uwe Schmidt, der Geschäftsführer der Drogenhilfe. Geschlossene Schulen und Jugendzentren, Abstandsregeln und Ausgangsbeschränkungen aber ließen einen direkten Kontakt mit Ju
und Eltern nicht zu. Dennoch hätte es auch in Nordendorf im vergangenen Jahr einige Präventionsveranstaltungen – unter anderem auch mit einem Elternabend – gegeben. Schulen hätten entsprechende Anfragen zur Aufklärungsarbeit an die Drogenhilfe gestellt, im digitalen Unterricht sei das Thema dann behandelt worden.
Seit rund 25 Jahren ist Schmidt in der Drogenhilfe aktiv. Er kennt die Anzeichen ganz genau, die auf einen Drogenkonsum bei Jugendlichen hinweisen. Er kennt aber auch die Hemmschwellen der Eltern, die es einfach nicht wahrhaben wollen, dass ihr Kind Drogen nimmt und den Weg zur Suchtberatung scheuen. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Schmidt den typischen Beginn einer Drogenkarriere und die Versuche der Angehörigen, diese Tatsache zu verdrängen.
● Das Alter „Das klassische Einstiegsalter ist zwischen 14 und 16 Jahren“, sagt Schmidt. Schwerstabhängige, die bereits in jungen Jahren „an der Nadel hängen“, also etwa Heroin spritzen, hätten teilweise sogar bereits mit 13 Jahren angefangen.
● Der Erstkontakt „Meist sind es die älteren Mitglieder einer Clique, die etwas mitbringen“, so Schmidt. Die Jüngeren wollen dann dazugehören, der Fachmann spricht in dem Fall von einer sogenannten „Peergroup“. Dies ist eine Gruppe mit großem Einfluss, der sich jemand zugehörig fühlt. Die Peergroup ist vor allem im Jugendalter von Bedeutung, da sie ein Gefühl der Zugehörigkeit oft durch eine Altersgleichheit vermittelt. Auch der Reiz, etwas Verbotenes zu tun, spiele eine Rolle.
● Die Orte „Eine Bushaltestelle beispielsweise, an der sich Jugendliche treffen, gibt es in jedem Ort“, sagt Schmidt. Gefährlich könne es jedoch auch in jedem Klub, auf jeder Party, an jedem Baggersee und jedem weiteren beliebten Treffpunkt werden. Das Problem: „Jeder Jugendliche weiß ganz genau, wo man etwas bekommen kann.“
● Die Einstiegsdroge Cannabis ist die klassische Droge. „Zwar hängt nicht jeder, der kifft, später an der Spritze – aber jeder, der später an der Spritze hängt, hat zuvor gekifft.“
● Die Anzeichen In der Regel ändere sich laut Schmidt das Verhalten der Jugendlichen deutlich. Sie reagieren oft gereizt und unfreundlich, benötigen mehr Geld als zuvor, sind öfter unpünktlich.
● Die Verdrängung „Eltern wollen es nicht wahrhaben und versuchen, es als normales pubertäres Verhalgendlichen ten der Kinder zu entschuldigen“, sagt Schmidt. „Teilweise kommen auch Schuldgefühle auf, und sie machen einfach die Augen zu.“Einmal wären Eltern sogar mit aufgefundenen Spritzen zur Drogenberatung gekommen und hätten wissen wollen, was das sein könnte.
● Die Hilfe „Je früher wir die Jugendlichen erreichen, desto erfolgreicher sind wir“, betont Schmidt. Wichtig sei, den Drogenkonsum aus der Schmuddelecke herauszuholen. Viele hätten bei dem Gedanken an Betäubungsmittelmissbrauch Bilder von Prostitution, Überfällen, Diebstähle und verwahrlosten Menschen auf einem Bahnhofsklo im Kopf. „Es gibt aber auch Akademiker, die abhängig sind.“Die Hemmschwelle zu überwinden und sich professionelle Hilfe zu holen, sei daher der erste und wichtigste Schritt.
Ab sofort hat die Drogenhilfe Schwaben ein neues Angebot für die Aufklärungsarbeit entwickelt: Eine digitale Beratungsstelle. „Seit Ende der Woche haben wir die Plattform ‘Redestoff’ auf unserer Homepage“, sagt Schmidt. Ziel sei es, eine einfache und schnelle Möglichkeit zu bieten, auch anonym mit der Drogenhilfe – unter anderem in einem Chat – in Kontakt zu treten.