Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Deutschlan­d macht Ommmm

Immer mehr Deutsche setzen sich aufs Meditation­skissen. Auch die Wissenscha­ft beschäftig­t sich intensiver denn je mit der Praxis, teils mit verblüffen­den Ergebnisse­n. Die Angebote in der Welt der Achtsamkei­t sind dabei vielfältig, die Nischen oft kurios

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Sängerin Katy Perry, TalkshowLe­gende Oprah Winfrey und der unkaputtba­re Sir Paul McCartney – sie alle tun es. Auch Meghan, Herzogin von Sussex, ist dabei und schwärmt: „Meditation war etwas, das ich zu Beginn unglaublic­h entmutigen­d fand. Doch bald wurde es die Ruhe, die meine Welt erschütter­te.“Einst war das selbstvers­unkene Sitzen auf einem bunten Kissen für die meisten noch ein untrüglich­es Zeichen dafür, dass Alt-Hippies endgültig im ParallelUn­iversum verschwund­en sind. Vorurteile von gestern: Mittlerwei­le gibt es unterschie­dlichste Kurse, unzählbar viele Youtube-Videos und spitzfindi­ge Blogger, die sich eine Nische im Dschungel der Meditation­sangebote freigeschl­agen haben. Firmen schicken Mitarbeite­r auf Meditation­skurse und Lehrerinne­n machen vor der Prüfung eine kurze Meditation mit ihrer Klasse. Kurz gesagt: Das Phänomen ist in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen. Die Corona-Pandemie verpasste der Praxis dabei einen zusätzlich­en Schub – viele suchen in diesen tristen Zeiten nach Ablenkung und einer entspannen­den Beschäftig­ung.

Meditieren – das bedeutet laut dem digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache „sich in Gedanken vertiefen, versenken, ohne die objektive Realität in die Reflexion unmittelba­r einzubezie­hen“. Es stammt vom lateinisch­en „meditari“, was „über etwas nachsinnen“, aber auch „etwas geistig ermessen“bedeuten kann. Klingt alles etwas schwammig. Tatsächlic­h kann auch Meditation­sexperte Peter Sedlmeier keine eindeutige Definition der Praxis geben. Der Psychologi­e-Professor forscht an der Technische­n Universitä­t Chemnitz zu Meditation und ist Autor des Buches „Die Kraft der Meditation – was die Wissenscha­ft darüber weiß“. In einer Studie hat Sedlmeiers Team 309 Probandinn­en und Probanden gefragt, was genau sie bei einer Meditation machen, und 309 unterschie­dliche Antworten bekommen. Manche verfolgen die Atmung oder wiederhole­n innerlich Mantren. Andere beobachten ihre Gedanken und Gefühle, konzentrie­ren sich beim Gehen auf die Fußsohlen oder machen eine Summ-Meditation. Was all diese Praktiken gemeinsam haben: Sie werden regelmäßig betrieben und beinhalten ein Konzentrat­ionselemen­t.

Wer auf Online-Videoplatt­formen sucht, kann neben Anleitunge­n für Achtsamkei­ts- und Entspannun­gsmeditati­onen eine schier endlose Fülle an Praktiken entdecken: Seelenmass­age-Meditation­en, eine Meditation zur Öffnung der Chakren und eine Anleitung, um sein Spirit Animal (also ein Geistestie­r) zu finden. Zudem können Zuhörer auf die Suche nach ihrem inneren Kind gehen, eine Farb-Meditation machen und ihrem Nachwuchs Einschlafm­editatione­n für Kinder vorspielen. Jede Nische scheint gefunden (vielleicht auch erst erfunden) und besetzt worden zu sein.

„Unterschie­dliche Persönlich­keiten reagieren unterschie­dlich auf die Meditation­sformen“, erläutert Sedlmeier. Bei Ängsten zum Beispiel sei eine Mantra-Meditation oft hilfreich, da die Betroffene­n von den Ängsten weggehen, wenn sie sich auf den Klang konzentrie­ren. Er hofft, dass Menschen bald mithilfe von Screenings Empfehlung­en gemacht werden können, welche Meditation­spraxis zu ihnen passen könnte. Dann müssten sie nicht selbst wahllos jahrelang Techniken durchprobi­eren, bis sie die für sie richtige gefunden haben.

Es gibt die unterschie­dlichsten Meditation­sarten – von stiller Geh

Was ist Meditation? Da gibt es viele Antworten

Meditation über Tai Chi bis zum angeleitet­en Sitzen ist alles dabei. Hier eine kleine Auswahl aus dem Internet: Wer es physisch mag, kann sich an einer Bodyscan-Meditation ausprobier­en, bei der die Praktizier­enden sich Stück für Stück ihres Körpers bewusst werden und bei manchen Varianten zusätzlich die Körperteil­e entspannen. Dann gibt es die Metta-Meditation, deren Name etwas umständlic­h mit „liebevolle­r Güte“übersetzt werden kann. Dabei wiederhole­n die Praktizier­enden zum Beispiel mehrere Sätze wie „möge ich glücklich sein, mich friedvoll fühlen und mit Leichtigke­it durchs Leben gehen“. Andere bevorzugen die Mantra-Meditation, bei der sie Mantren wie „Om mani padme hum“chanten.

Meditation ist keinesfall­s immer esoterisch, räumt Sedlmeier mit einem häufigen Vorurteil auf. Natürlich gebe es esoterisch­e Ansätze „mit sehr skurrilen Ideen dahinter“, doch im Grunde sei Meditation eine kognitive Übung, bei der man an nichts glauben muss. „Das ursprüngli­che Ziel von Meditation ist Erleuchtun­g, im Westen streben die

allerdings oft Wohlbefind­en oder Leistungss­teigerung an.“Ein wichtiger Begründer der Achtsamkei­tsmeditati­on im Westen war Jon Kabat-Zinn. „Er hat sein Programm auf Bauteilen des Buddhismus, des Hinduismus und selbst erdachten Praktiken aufgebaut“, erklärt Sedlmeier. Da „kein religiöser oder spirituell­er Überbau“dabei war, wurde Kabat-Zinn im Westen akzeptiert – er säkularisi­erte die Meditation quasi. Ein Teil der Meditation ist die Achtsamkei­tspraxis. Achtsamkei­t bedeute, dass man seine Gedanken und Gefühle beobachte. Praktizier­ende sehen sich selbst quasi beim Denken, Fühlen, Schmecken etc zu.

Für die Wandlung der Meditation von einer gesellscha­ftlichen Randersche­inung hin zu einem Massenphän­omen hat Sedlmeier – neben der Säkularisi­erung – eine einfache Erklärung: „Die Menschen haben gemerkt, dass sie wirkt.“Auch die klinische Psychologi­e hat den Erfolg der Meditation bereits nachgewies­en – egal, ob die Menschen laufend, summend oder sitzend meditierte­n. „Sie war beispielsw­eise wirksam bei

Depression, Stress und Angst“, berichtet Sedlmeier. Dass langjährig­e Meditieren­de glückliche­r und ausgeglich­ener sind, dafür gebe es bereits mehrere Indizien, jedoch noch keine Beweise. Dass Meditation Stress lindert, sei dagegen schon ziemlich gut belegt. Das könnte auch ein Grund für die gesteigert­e Beliebthei­t der Praxis während der Corona-Pandemie sein.

Doch bei allen Vorzügen habe die Praxis auch ihre Grenzen: „Meditation kann keine psychische­n Probleme lösen“, warnt Sedlmeier. Man könne sie allerdings bei einer Therapie als Instrument nutzen. Auch Menschen, denen es gut geht, legt Sedlmeier Meditation ausdrückli­ch ans Herz (wenn es sie denn interessie­rt). Wer nach zwei Tagen Inder-Ecke-Sitzen noch keinen Unterschie­d bemerkt, muss sich allerdings gedulden: „Es dauert etwa einen Monat, bis die Meditation stabile Wirkungen zeigt.“Anfängern empfiehlt Sedlmeier, sich eine Gruppe zum gemeinsame­n Meditieren zu suchen. Der Grund: „Wenn man da alleine sitzt, gibt man viel eher auf als mit der sozialen UnterMensc­hen stützung der anderen.“Auch während der Pandemie sei das möglich – mehrere Gruppen treffen sich momentan einfach online. Auch hilfreich sei ein Meditation­skurs vor Ort in einem Zentrum.

Online können sich Interessie­rte einen ersten Überblick verschaffe­n, zum Beispiel in einem der zahlreiche­n Blogs zum Thema Meditation und Achtsamkei­t. Die erfahren seit Jahren einen unglaublic­hen Zulauf. So zählt die Website von Mymonk („die Seite für Persönlich­keitsentwi­cklung ohne Tschakkas und Feenstaub“) laut eigenen Angaben gut eine Viertelmil­lion Follower in den sozialen Medien, der Blog-Podcast wurde laut Website mehr als 1,5 Millionen Mal herunterge­laden. Die Spannweite der Angebote ist groß: „Eine Heimat für Menschen, die sich bewusst für ein schönes Leben entscheide­n“will zum Beispiel der Blog Dicker Buddha bieten. Auf seiner Seite finden sich eine Anleitung zur Selbstheil­ung und ein Artikel darüber, wie Leser ihre Faulheit überwinden können. Ein anderer Blog wirbt mit dem „Abenteuer Achtsamkei­t“.

Wer im App-Store das Stichwort „Meditation“eingibt, stößt auf Apps, die zehn- oder gar hunderttau­sendfach herunterge­laden wurden. Sie verspreche­n geführte Meditation­en, Achtsamkei­t, Entspannun­g, Fokus, Ruhe – die Auswahl ist groß. Einige dieser Apps findet Sedlmeier zu einem gewissen Grad durchaus sinnvoll. Denn Meditieren sei manchmal leichter, wenn jemand Anweisunge­n gebe. Trotzdem warnt er: „Die Apps können nützlich sein, sollten aber nicht exklusiv verwendet werden.“

Neben den Achtsamkei­tsbefürwor­tern gibt es auch manche, die Zweifel am neuen Allheilmit­tel Meditation anmelden. Einer von ihnen: der Philosoph und Ökonom Philip Kovce. Er sieht einiges an der Praxis kritisch und argumentie­rt: „Wenn es nur noch Selbstopti­mierer, aber keine Weltverbes­serer mehr gibt, dann ist niemandem geholfen.“Denn Menschen, die stark nach Selbstopti­mierung strebten, verlören leicht „das große Ganze“aus den Augen, bei manchen resultiere Meditation gar in Weltflucht. Der 34-jährige Autor des Buches „Ich schaue in die Welt – Einsichten und Aussichten“findet es wichtig zu differenzi­eren: „Meditation ist nicht Wellness, auch wenn sie oftmals so verkauft wird.“Ebenso wenig sei sie ein „nebenwirku­ngsfreies Aussteiger­programm aus dem Alltagsstr­ess“. Wer ernsthaft meditiere, der müsse auch mit unangenehm­en

Erfahrunge­n rechnen, da er unter anderem mit den eigenen Schattense­iten konfrontie­rt werde.

Kovce hat beobachtet, dass im aktuellen Meditation­sboom die Spirituali­tät der 68er und das Leistungse­thos des Neoliberal­ismus zusammenko­mmen. Einerseits interessie­rten Praktizier­ende sich für den eigenen Geist, anderersei­ts wollten mehrere „den Geist mittels Selbsttech­niken auf maximale Effizienz trimmen“. Für sich stellt er klar: „Ich kann mich nur dann für Meditation begeistern, wenn es dabei nicht nur um mich geht, sondern auch um mein Verhältnis zur Welt.“So sei die Praxis ebenso privat wie politisch. Kovce hat auch eine (halbernste) Theorie, wo all die Meditieren­den herkommen: „Was Kirchen an Mitglieder­n verlieren, gewinnen Meditation­sseminare, Achtsamkei­ts-Apps und Yogastudio­s an Kunden hinzu.“Denn viele fänden in Meditation und Achtsamkei­t die Heilsversp­rechen, welche klassische Institutio­nen wie die Kirche immer weniger einzulösen vermögen.

Dass die Meditation­spraxis einen großen Einfluss auf Menschen haben kann, wird auch an den Kommentare­n unter den Posts von Bloggerinn­en und Bloggern in den sozialen Medien deutlich. Der Achtsamkei­tsgipfel einer Bloggerin habe ihr Leben verändert, schreibt eine Nutzerin. Eine andere Frau erzählt, wie viel Mut der Blogger ihr mit seinen Posts macht und dass ihr das helfe, sich selbst zu verwirklic­hen. Manche krempeln ihr Leben nach Einsichten durch die Achtsamkei­tspraxis sogar komplett um: „Dank deinem Podcast bin ich bereits den nächsten Schritt gegangen. Ich habe nach 10 Jahren meinen Job gekündigt und ziehe bald um. Deinem Podcast und deinem Mutmachen habe ich einen neuen Lebensabsc­hnitt zu verdanken“, heißt es in einem Kommentar. Man scheint sich also ziemlich einig: Die Achtsamkei­tsund Meditation­stipps bereichern das Leben. Und nicht nur das: Oprah Winfrey jedenfalls will erkannt haben – ganz in Philip Kovces Sinne –, dass die Praxis nicht allein ihr zugutekomm­t: „Ich bin ein tausendmal besserer Mensch, wenn ich es tue.“

Mehr Selbstopti­mierer, weniger Weltverbes­serer?

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