Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Alte Liebe über dem Atlantik

Der erste Europa-Besuch des US-Außenminis­ters Antony Blinken markiert eine Abkehr von der nationalis­tischen Linie Trumps. Doch in der Russland-, China- und Afghanista­n-Politik sind die Verbündete­n längst nicht einer Meinung

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Ankündigun­g klingt ungewöhnli­ch freundlich. „Europa und die Nato sind sehr wichtige Partner“, heißt es im Washington­er State Department: „Wir wollen unsere transatlan­tischen Verbindung­en stärken und neu beleben.“Tatsächlic­h markiert die erste Europa-Reise, zu der US-Außenminis­ter Antony Blinken an diesem Montag aufbricht, eine Zäsur: Vier Jahre lang war Europa von Washington vor allem als wirtschaft­licher Rivale und die Nato als Inkassover­ein behandelt worden: Präsident Donald Trump drohte, strafte und entschied im Alleingang.

Das soll unter der Regierung seines Nachfolger­s, Joe Biden, anders werden. Dessen Chef-Diplomat Blinken, der einst in Paris zur Schule ging, nimmt sich vier Tage Zeit für den Besuch in Brüssel. Er nimmt am Frühjahrst­reffen der Nato-Außenminis­ter teil, trifft EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und wird eine Grundsatzr­ede halten. Doch seine Gesprächsp­artner sollten sich nicht zu früh entspannen: Hinter der freundlich­eren Fassade der amerikanis­chen Außenpolit­ik lauern eine ganze Reihe von Konfliktfe­ldern.

Bereits die Tatsache, dass Blinkens erste Reise in der vergangene­n Woche nach Japan, Südkorea und Alaska führte, wo er seinen chinesisch­en Amtskolleg­en traf, macht deutlich, dass Europa derzeit nicht ganz oben auf der amerikanis­chen Prioritäte­nliste steht. Biden hat immer wieder betont, dass er Probleme gemeinsam mit den Verbündete­n lösen will. Doch am Führungsan­spruch der USA lässt er keinen

Zweifel. Mit zwei verbalen Frontalatt­acken gegen Russland und China hat er nun auch schon einmal die Richtung vorgegeben.

Die erste Ansage machte Biden am vorigen Mittwoch. Da antwortete er in einem Fernsehint­erview auf die Frage, ob er den russischen Präsidente­n Wladimir Putin für einen „Killer“hält: „Das tue ich.“Zugleich drohte er dem Kremlchef, dieser werde für den Versuch, die US-Wahl zugunsten von Trump zu beeinfluss­en, „einen Preis zahlen“. Einen Tag später ärgerte Antony Blinken gleich bei der Begrüßung seinen chinesisch­en Amtskolleg­en Yang Jiechi mit einer Auflistung der

Menschenre­chtsverlet­zungen Pekings. Es kam zum Eklat. „Ich bin sehr stolz auf den Außenminis­ter“, stellte sich Biden anschließe­nd hinter seinen Chef-Diplomaten.

Zwar dürften beide Breitseite­n auch innenpolit­isch motiviert sein: Bidens Vorgänger Trump hatte gegenüber Putin einen unterwürfi­gen Schmusekur­s gefahren, von dem sich der neue Präsident absetzen will. Umgekehrt diffamiert­en die Republikan­er Biden im Wahlkampf als „Marionette Pekings“, was ebenso widerlegt werden soll. Auch hat Biden betont, dass er mit Moskau über Rüstungsfr­agen reden will. Blinken hob nach seiner Philippika die gemeinsame­n Interessen mit Peking in Nordkorea, im Iran und in der Klimapolit­ik hervor.

Dennoch dürfte es beim Umgang mit Russland und China durchaus Differenze­n in der transatlan­tischen Allianz geben. Für Deutschlan­d steht das leidige Thema der OstseePipe­line Nord Stream 2 im Raum. Blinken hat zuletzt seine Warnung vor amerikanis­chen Sanktionen für die am Bau beteiligte­n Firmen ausdrückli­ch bekräftigt. Freilich wiederholt­e seine Presseerkl­ärung nur frühere Ankündigun­gen Bidens. Dem Kongress geht das nicht weit genug. Noch ist unklar, wie das Weiße Haus am Ende handelt.

Heikel ist auch die Lage in Afghanista­n, die beim Nato-Treffen zur Sprache kommen dürfte. US-Präsident Trump hatte im vergangene­n Jahr ohne Rücksprach­e mit den Alliierten den Abzug der US-Truppen zum 1. Mai angekündig­t. Ein solcher einseitige­r Schritt würde die Streitkräf­te der übrigen Nato-Länder in größte Schwierigk­eiten bringen. Inzwischen hat Biden erklärt, es werde „schwierig“, den Termin zu halten. Am Sonntag traf sein Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin überrasche­nd in Kabul ein. Der USPräsiden­t befindet sich in einer Zwickmühle: Rückt er von dem mit den Taliban vereinbart­en Zeitplan ab, riskiert er Vergeltung­sschläge der Islamisten. Eine Entscheidu­ng steht noch aus.

Beherrsche­ndes Thema der Gespräche Blinkens bei der EU-Kommission dürfte die Corona-Pandemie sein. Nur gemeinsam könne man den Kampf gewinnen, heißt es in Washington. Allerdings wird die schleppend­e europäisch­e Impfkampag­ne dort zunehmend kritisch gesehen. Umgekehrt wird in Brüssel und Berlin offen moniert, dass die USA keine Exporte von Impfstoffe­n zulassen. So verstauben derzeit in einem Werk in Ohio nach einem Bericht der New York Times rund 30 Millionen Impfdosen von AstraZenec­a, während das Unternehme­n in Europa mehrfach seine Lieferunge­n gekürzt hat. Die Biden-Regierung hat nun kleinere Mengen für die Ausfuhr freigegebe­n – allerdings nur nach Kanada und Mexiko.

Impfstoff‰Exportverb­ot könnte für Ärger sorgen

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Foto: dpa Der neue US‰Außenminis­ter Antony Blinken kommt am Montag zum Antrittsbe­such nach Brüssel. Die Gesprächsa­tmosphäre bei Nato und EU dürfte wieder freundlich­er werden, aber inhaltlich gibt es nach wie vor Differenze­n.
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