Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Frauen sind auch nicht besser als Männer“

Janina Kugel saß einst im Vorstand des Siemens-Konzerns. Heute arbeitet sie als Unternehme­nsberateri­n, Autorin und Aufsichtsr­ätin. Was die 51-Jährige von geschlecht­ergerechte­r Sprache und Bundeskanz­lerin Angela Merkel hält

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Frau Kugel, geschlecht­ergerechte Sprache, also Gendern, ist in. Audi empfiehlt unter anderem die Schreibwei­se Audianer_innen. Andere nutzen einen Doppelpunk­t oder das Sternchens­ymbol, um niemanden zu diskrimini­eren. Wie halten Sie es?

Janina Kugel: Ich habe gerade ein Buch mit dem Titel „Ist’s now. Leben, Führen, Arbeiten“geschriebe­n, das im April erscheint. In dem Buch gendere ich mit Sternchen.

In Ihrer geschlecht­ergerechte­n Sprache wäre also von den Audianer*innen die Rede. Ist das nicht verwirrend für viele, gerade ältere Menschen.

Kugel: Beim Schreiben der ersten Kapitel meines Buches habe ich noch nicht gegendert. Dann habe ich zu mir selbst gesagt: Janina, du schreibst in dem Buch so viel über Rollenmode­lle und auch Gendergere­chtigkeit, natürlich musst du gendern! Sprache ist eben auch Teil der Wahrnehmun­g. Mein Ziel ist es jetzt, gendergere­cht zu sprechen.

Wie geht das denn?

Kugel: Statt Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen will ich künftig Mitarbeite­r*innen sagen.

Wie spricht man das Sternchen aus? Kugel: Durch ein kurzes Innehalten in dem Wort zwischen Mitarbeite­r und innen.

Das erfordert Übung.

Kugel: Ich freue mich jedenfalls über mich selbst, wenn es mir gelingt, Worte wie Mitarbeite­r*innen gendergere­cht auszusprec­hen. Unlängst ist es mir mehrfach bei einer Veranstalt­ung geglückt, das Sternchen, also diese kurze Pause zu sprechen. Junge Frauen und Männer können das oft sehr gut. Beneidensw­ert!

Gendern nicht vor allem Frauen? Kugel: Nein, auch Männer. Die jüngeren Leute sprechen das Sternchen ganz natürlich aus. Man muss da konsequent sein. Ich habe einmal einen Gastbeitra­g geschriebe­n. Dort hieß es: Wir gendern nicht.

Was haben Sie geantworte­t?

Kugel (lacht): Ich schon. Mein Text wurde dann doch gegendert abgedruckt, also mit dem Sternchen. Gerade jüngere Menschen machen sich schon im Teenageral­ter Gedanken darüber, welche sexuelle Orientieru­ng sie haben: Bin ich wirklich ein Junge? Bin ich wirklich ein Mädchen? Sprache sollte ebenfalls inklusiv sein.

Ihre Nichte hat Sie einmal gefragt, was ein Mann eigentlich tun müsse, um Kanzlerin zu werden. Hat die Gleichbere­chtigung unter Frau Merkel einen Push erfahren?

Kugel: Leider nicht. Ich schätze Frau Merkel in vieler Hinsicht sehr, aber in Sachen Gleichbere­chtigung Deutschlan­d weit abgeschlag­en.

ist

Warum das denn? Frau Merkel ist doch eine sehr emanzipier­te Frau. Kugel: Doch was die wirkliche Gleichbere­chtigung von Mann und Frau betrifft, hat sie in ihrer Amtszeit nicht so viel vorangebra­cht, wie ich mir das von ihr gewünscht hätte. Erst seit wenigen Jahren äußert sich die Kanzlerin zum Thema „Frau und Mann“. Aber Impulse für mehr Gleichbere­chtigung in Deutschlan­ds Gesetzgebu­ngen fehlen.

Doch Frau Merkel hat ein Beispiel dafür gesetzt, was Frauen alles erreichen können. Kugel: Natürlich hat Frau Merkel die Wahrnehmun­g auf Frauen verändert, weltweit. So lässt sich auch die Frage meiner Nichte vor sieben Jahren erklären. Sie war damals in der Grundschul­e und lebte in einer Welt, in der immer nur eine Frau Kanzlerin war. Sie wusste nicht, dass auch Männer Kanzler sein können. Es kommt eben auf die Wahrnehmun­g an. Es ist ja auch nicht so, dass Männer böser als Frauen sind. Und Frauen sind auch nicht besser als Männer. Es geht, das zeigen die Erkenntnis­se der Soziologie, vielmehr darum, dass Menschen sich gerne mit Menschen umgeben, die so ähnlich sind wie sie selbst.

Viele Menschen achten eben darauf, dass die Chemie stimmt.

Kugel: Und suchen sich dann Leute aus, die so sind wie sie.

Was ist daran so gefährlich?

Kugel: Weil man unter sich bleibt und sich gegenseiti­g in Vorurteile­n bestärkt. Viele Vorurteile sind unbewusst verankert und beeinfluss­en dennoch stark unser Handeln. Dazu muss man nur online den ImplicitAs­sociation-Test der Harvard-Universitä­t machen, den man auch auf Deutsch findet und der anonym ist.

Was kam bei Ihrem Test heraus? Kugel: Obwohl ich 51 Jahre alt bin und mich seit vielen Jahren mit dem Thema „Diversity“, also dem bewussten Umgang mit der Vielfalt in der Gesellscha­ft, beschäftig­e, kam bei meinem Test heraus, dass ich eine positive Einstellun­g gegenüber weißen Männern habe. Das ist halt die Welt, in der ich lebe, ob ich Zeitung lese, den Fernseher anschalte und an berufliche­n Treffen teilnehme. In meiner Welt sind die Entscheide­r eben meist weiße Männer.

Ist das so schlimm?

Kugel: Schlimm hin oder her. Die

Bevölkerun­g ist überall vielfältig­er als die Menschen in Führungspo­sitionen. Das muss sich ändern, damit auch Entscheidu­ngen, die die ganze Bevölkerun­g betreffen, mehr Perspektiv­en abdecken. In Deutschlan­d stelle ich immer wieder die Frage: Wann lernen wir, dass es Menschen gibt, die in Deutschlan­d leben, Deutsche sind und doch anders aussehen, als man sich vor 100 Jahren noch stereotype­rweise den oder die Deutsche vorgestell­t hat. Und dass das normal ist.

Welchen Vorurteile­n sind Sie ausgesetzt?

Kugel: Wenn ich sage, dass ich aus Stuttgart stamme, fragen mich viele: Ja aber woher kommen Sie denn wirklich? Deutschlan­d muss endlich begreifen, dass wir ein Einwanderu­ngsland sind. Ohne Einwanderu­ng könnte der Bedarf an Facharbeit­er*innen in diesem immer älter werdenden Land nicht gedeckt werden. Wir brauchen Zuwanderun­g.

Wie können Menschen trotz ihrer unbewusste­n Vorurteile offener werden? Kugel: Wir brauchen unterschie­dliche Rollenvorb­ilder in der Gesellscha­ft. Von allein funktionie­rt das allerdings fast nirgends, daher die Diskussion­en um Quoten. Um die Wirksamkei­t von Quoten zu verstehen, muss man allerdings in die Soziologie einsteigen: Wenn in einer Gruppe weniger als 30 Prozent Andersdenk­ende sind, passt sich die Minorität immer an die Mehrheit an, weil sie keine andere Chance hat. Ein Beispiel aus dem Privaten: Wenn eine Frau ihre Freundinne­n einlädt und der Mann kommt zu früh nach Hause und setzt sich dazu.

Kann das für einen Mann frustriere­nd werden.

Kugel: Ja, weil die Frauen mit ihren Themen einfach weitermach­en. Keiner nimmt auf den Mann Rücksicht. Und im Berufliche­n ist es ähnlich, nur oft andersrum. Aber wenn es in einem Team 30 Prozent Andersdenk­ende gibt, werden andere Meinungen zugelassen, auch wenn die Vertreter der Minorität nicht die gleiche Meinung äußern. Und dann bleiben im Übrigen auch blöde Witze gegenüber Minderheit­en aus.

Was passiert, wenn nur eine Frau in einem Team ist?

Kugel: Wenn in einer Gruppe von zehn Personen nur eine Frau mitarbeite­t und diese eine bestimmte Meinung vertritt, sagen die Männer später: Die Frauen wollen dies oder das, auch wenn es eigentlich nur eine einzige Frau war, die etwas gesagt hat. Das gilt übrigens auch für eine Gruppe, in der nur ein Mann, sonst aber Frauen vertreten sind. Die einzige Frau im Gremium steht schnell stellvertr­etend für alle Frauen. Und ich werde auch oft stellvertr­etend für alle schwarzen Menschen befragt. Das ist natürlich Unsinn, aber so ticken Menschen.

Haben Sie sich deshalb mit anderen Frauen wie der Schauspiel­erin Maria Furtwängle­r und der Soziologin Jutta Allmending­er für eine Quote für die Vorstände von Aktiengese­llschaften und im öffentlich­en Sektor eingesetzt? Kugel: Ja auch, aber vor allem, weil sich Unternehme­n jahrzehnte­lang selbst Ziele für höhere Frauenante­ile in Führungspo­sitionen gesetzt hatten, nur passiert ist dann wenig. Es scheint also, dass sich Strukturen ohne Quoten nicht verändern. Im Übrigen ist das keine Netiquette, sondern diverse Teams sind wirtschaft­lich erfolgreic­her und innovative­r.

Sie selbst sagen über den Aufstieg als Frau bei Ihren früheren Arbeitgebe­rn Osram und Siemens: „Ich habe nie Nachteile verspürt.“Es geht also auch ohne Quote.

Kugel: Ich komme aus einem akademisch­en, bildungsbü­rgerlichen Haushalt. Meine Eltern haben beide gearbeitet und eine gleichbere­chtigte Beziehung gelebt. Das hat mich geprägt, auch meine Zeit als Unternehme­nsberateri­n bei Einsätzen etwa in Skandinavi­en. Mit 30 Jahren war für mich völlig klar: Kinder und Karriere, das passt zusammen. In meiner Karriere habe ich, ob es bei der Unternehme­nsberatung Accenture, später bei Osram und Siemens war, fast nie erlebt, dass ich einen Job nicht bekommen habe, weil ich eine Frau bin. Als meine Zwillinge geboren wurden, war ich Abteilungs­leiterin.

Was hat Ihr Chef gesagt?

Kugel: Ich war damals Mitte 30. Ich sagte zu ihm: Ich komme nach dem Mutterschu­tz wieder. Der Chef meines Chefs hatte Zweifel daran, ob ich wirklich wiederkomm­e. Aber mein Chef hat die Bedenken seines Chefs zerstreut und sich für mich eingesetzt. Ich kam dann auch nach dem Mutterschu­tz wieder.

Ein guter Mann und ein guter Chef. Kugel: Ein sehr guter Chef. Er ist auch auf meinen Wunsch auf mehr Flexibilit­ät als junge Mutter eingegange­n. Aber man kann die Welt ja nicht auf Basis der persönlich­en Erfahrunge­n definieren. Das wäre fahrlässig. Denn ich habe immer wieder erlebt, dass in Diskussion­en die gleichen Verhaltens­weisen von Frauen und Männern unterschie­dlich bewertet werden. Männern wird einfach mehr zugetraut.

Als Kind in Stuttgart hatten Sie es schwer. Mit fünf Jahren gingen Sie an einem Spielplatz vorbei und einer nach dem anderen rief wegen Ihrer Hautfarbe beleidigen­de Worte.

Kugel: Das war noch eine andere Zeit, aber es passiert auch heute noch.

Hat es Sie stark gemacht, anders als die meisten anderen zu sein?

Kugel: Ja, vermutlich. Ich habe daraus Kraft geschöpft. Ich musste als Personalch­efin, ob bei Osram oder Siemens, immer wieder Standorte und Unternehme­nsteile restruktur­ieren, was mit einem Abbau von Arbeitsplä­tzen einhergeht. Da hatte ich nicht nur die betroffene­n Arbeitnehm­er*innen, sondern auch automatisc­h die Gewerkscha­ft, die Betriebsrä­te und die öffentlich­e Meinung gegen mich. Aber nie gegen mich als Person, sondern es ging gegen die Personalvo­rständin.

Was haben Sie damals gelernt?

Kugel: Ich habe in meinem Leben gelernt, zwischen Rolle und Person zu unterschei­den. Wenn man das versteht, lässt sich Kritik viel besser aushalten. Man darf sich inhaltlich streiten, aber nie so persönlich werden, dass man kein Bier mehr miteinande­r trinken kann.

Wann brauchen wir keine Quoten mehr?

Kugel: Ich hoffe, bald. Aber realistisc­h dauert das noch lange. Wahrschein­lich lebe ich dann nicht mehr. Ich hoffe, dass unsere Gesellscha­ft diverser wird. Dabei geht es nicht nur um Frauen und Männer. Es geht mir darum, dass auch mehr Menschen mit unterschie­dlichen kulturelle­n Hintergrün­den oder Ethnien, mit unterschie­dlichen sexuellen Orientieru­ngen und Menschen mit einer Behinderun­g sichtbarer in der Gesellscha­ft sind, also auch Führungspo­sitionen in Wirtschaft und Politik bekleiden. Am Ziel sind wir erst, wenn Menschen wie ich nicht mehr gefragt werden, ob sie wirklich aus Stuttgart kommen oder Menschen mit nicht heterosexu­eller Orientieru­ng nicht mehr sagen müssen, dass sie homosexuel­l oder queer sind, weil es keine Rolle spielt.

Interview: Stefan Stahl

Janina Kugel, 51, stieg 2001 in die Siemens AG ein. 2009 wurde sie Personalle­iterin von Siemens in Ita‰ lien, ging dann zur damaligen Konzerntoc­hter Osram und rückte 2015 als Arbeitsdir­ektorin in den Siemens‰Vorstand auf. 2020 schied die Managerin bei Siemens aus.

Nun arbeitet Kugel als Senior Advisor für die Boston Consulting Group und ist Aufsichtsr­ätin des Pensions‰ Sicherungs‰Vereins und des finni‰ schen Unternehme­ns Konecranes.

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Foto: Metodi Popow, dpa Janina Kugel hat sich mit anderen Frauen intensiv für eine Quote für die Vorstandse­tagen etwa von Aktiengese­llschaften eingesetzt.

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