Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was sind eigentlich Spazierwan­derwege?

Weil sich seine Gäste immer wieder im Wald zu verlaufen drohten, wurde ein Gastwirt aktiv. Es entstand ein Projekt, das mit dem Chiemgau konkurrier­t, aber die Nase bislang vorn hat

- VON MARKUS BÄR

Autenried Die Entstehung­sgeschicht­e der Premium-Spazierwan­derwege in den Landkreise­n Neu-Ulm und Günzburg – möglicherw­eise bald gar die ersten ihrer Art im Freistaat – ist durchaus zum Schmunzeln. Sie kam dadurch auf, dass sich ein rühriger Gastwirt ständig Sorgen machen musste, dass sich seine Gäste im Wald verlaufen. Genauer gesagt, im Roggenburg­er Forst. Also gab er den Anstoß für eine spannende Initiative. Mit dem Ergebnis, dass nun im Donautal neun Premium-Spazierwan­derwege entstehen – die mit einem ähnlich gelagerten Projekt im Chiemgau darum konkurrier­en, die ersten in Bayern sein zu können.

Rudolf Feuchtmayr betreibt zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn den Autenriede­r Brauereiga­sthof, einer Gaststätte samt Brauerei und Hotel mit 80 bis 90 Betten und rund 25 Angestellt­en. Und wenn nicht gerade die Coronaschu­tzmaßnahme­n den Gastwirten das Geschäft kaputt machen, machen sich von Autenried – ein Dorf, das zur Stadt Ichenhause­n gehört – viele Gäste der Schlossbra­uerei auf in den Wald, der sich etliche Kilometer von Norden nach Süden, von Autenried bis Babenhause­n hinzieht. „Das Problem ist, dass man gut in den Wald hineinfind­et. Man läuft dann bequem auf Langholzwe­gen, die dann aber plötzlich im Nichts enden.“Diese Wege sind freilich reinweg aus forstwirts­chaftliche­n Gründen entstanden und folgen darum nicht unbedingt den Bedürfniss­en eines Naherholun­gssuchende­n etwa nach Rundwander­erlebnisse­n. Feuchtmayr erinnert sich zum Beispiel an eine Frau, die bei ihm zu Gast war, und die nach langem Marsch auf einer anderen Seite des Waldes bei Stoffenrie­d stand und nicht mehr wusste, wo sie ist.

„Ich habe immer wieder Anläufe bei den Staatsfors­ten genommen, damit Wege ausgewiese­n werden.“Lange vergebens. Doch dann kam die Sache irgendwann doch ins Rollen. Auch, weil es seltene Vogelarten im Forst gibt. Und das Argument im Raum stand, dass man die Wanderer auf den Wegen halten müsse. Was bei markierten Trassen natürlich leichter funktionie­rt. Schließlic­h kam dann noch der Verein „Donautal-aktiv“(er hat die Regionalen­twicklung zwischen Iller und Lech im Schwäbisch­en zum Ziel) dazu – und die Sache gewann zusehends an Kontur. Die Landkreise Dillingen, Günzburg und Neu-Ulm errichte

ein Leader-Kooperatio­nsprojekt (Leader ist ein Programm der Europäisch­en Union zur Förderung des ländlichen Raums), mit dem Ziel, EU-Mittel für ein Wanderwege­netz zu gewinnen.

Doch vorher musste noch die Frage geklärt werden: Wo sollen denn in der betreffend­en Region Spazierwan­derwege ausgewiese­n werden? Zur Beantwortu­ng dieser Frage wurde Kontakt zum Deut

schen Wanderinst­itut im nordhessis­chen Marburg aufgenomme­n. Dabei handelt es sich um einen Zusammensc­hluss von Wanderexpe­rten, die laufend an der Weiterentw­icklung von Qualitätss­tandards für alles, was mit dem Thema Wandern zu tun hat, arbeiten. Grundlage für diese Arbeit ist wissenscha­ftliche Forschung. Für das Institut sind beispielsw­eise Diplom-Geografen, Natursozio­logen, Biologen oder stuten dierte Touristike­r aktiv. Das Institut entsandte seinen Zweiten Vorsitzend­en Jochen Becker, der letztlich im größeren Umgriff der Region neun Premium-Spazierwan­derwege auf den Gemarkunge­n der Kommunen Ellzee/Waldstette­n, Ichenhause­n, Roggenburg/Buch und Weißenhorn ausmachte, von denen die ersten – wenn alles klappt – ab dem Wanderherb­st eröffnen sollen, wie Andrea Zangl vom Projektträ­ger, dem Verein Donautal-aktiv, bestätigt.

Nachdem es aber ja überall ausgewiese­ne Wanderwege gibt (prominente­s Beispiel ist etwa die Wandertril­ogie im Allgäu), stellt sich nun natürlich die Frage: Was bitte ist überhaupt ein Premium-Spazierwan­derweg? Und wozu braucht man dafür Experten aus Marburg? Jochen Becker verweist auf die Wanderfors­chung. Premium–Spazierwan­derwege tragen demnach der Erkenntnis Rechnung, dass sich viele Menschen, im Gegensatz zu versierten Wanderern, nicht allzulange Strecken wünschen – etwa zwischen drei und sieben Kilometern. Premium-Spazierwan­derwege müssen jeden Kilometer eine irgendwie geartete Rastmöglic­hkeit beinhalten. Sie dürfen außerdem nicht eintönig geradeaus führen, sondern müssen in relativ kurzen Abständen Formations­wechsel und Attraktion­en – etwa Ausblicke, Sitzgelege­nheiten, Naturschön­heiten – aufweisen und für Kinder erlebnisha­ft sein. Bislang gibt es in Bayern noch keine vom Wanderinst­itut ausgewiese­nen Premium-Spazierwan­derwege. „Und so, wie es aussieht, wird Schwaben gegenüber dem ebenfalls laufenden Projekt im Chiemgau wohl die Nase vorn haben“, sagt Becker. Sprich: Nummer eins in Bayern sein.

Nicht zu verwechsel­n mit den Premium-Spazierwan­derwegen sind die Premium-Wanderwege, die ebenfalls vom Deutschen Wanderinst­itut zertifizie­rt werden und die es schon in Bayern gibt. Ihre Strecken sind länger – sechs bis 20 Kilometer. Ihre Formations­wechsel dürfen im Gegensatz zu den Spazierwan­derwegen weiter auseinande­rliegen, müssen aber dennoch circa alle zwei Kilometer erfolgen.

Das Wanderinst­itut in Marburg ist in seiner Form einzigarti­g in Deutschlan­d, wie Becker betont. Als Mitbewerbe­r beim Zertifizie­ren nennt er den Deutschen Wanderverb­and, der Dachverban­d aller deutschen Wandervere­ine. Auch er weist – unter anderem – Wanderwege aus.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Auf Rudolf Feuchtmayr geht die Initiative für neun Premium‰Spazierwan­derwege zurück.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Auf Rudolf Feuchtmayr geht die Initiative für neun Premium‰Spazierwan­derwege zurück.

Newspapers in German

Newspapers from Germany