Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mit Ticket und Testergebn­is ins Konzert

Berliner Ensemble und die Philharmon­iker treten vor Zuschauern auf. Das Publikum muss vorher zum Abstrich. Ein Modell mit Zukunft?

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Berlin Die Bilder wirken wie aus einem Science-Fiction-Film. Menschen in Schutzanzü­gen stehen in der Berliner Philharmon­ie und nehmen Abstriche aus dem Rachen. Der Konzertabe­nd beginnt nicht mit einer Plauderei an der Garderobe, sondern mit einem Tupfer im Hals. Denn nach monatelang­er Pause haben am Wochenende die ersten Berliner Bühnen für ein Pilotproje­kt geöffnet. Im Berliner Ensemble durften rund 350 Menschen eine Aufführung schauen. Bei einem Testkonzer­t in der Philharmon­ie waren sogar rund 1000 Zuschaueri­nnen und Zuschauer zugelassen. Aber was wird da eigentlich getestet? Und weiß man noch, was das ist, so ein Konzerthau­s?

Kultursena­tor Klaus Lederer ahnt, wie das nach außen wirken kann. Bundesweit seien Theater, Konzerthäu­ser, Opern geschlosse­n. „Und wir machen – bei anschwelle­nder Inzidenz, bei einer sich aufbauende­n dritten Welle – Konzerte“,

sagt er am Samstagabe­nd in der Philharmon­ie. „Da gibt’s Leute, die sagen, ihr seid nicht ganz dicht.“Die Kultur habe aber vor einem Jahr als Erstes geschlosse­n und versuche nun, ihre gesamtgese­llschaftli­che Verantwort­ung wahrzunehm­en. Mit dem Projekt sollten einige Dinge ausprobier­t werden, von denen man an anderer Stelle hoffentlic­h lernen könne, sagte der Linke-Politiker. In den Räumen der Philharmon­ie gebe es gut funktionie­rende Lüftungen und Hygienekon­zepte. „Wo soll man – wenn nicht hier – mal Dinge ausprobier­en?“

In der Philharmon­ie stehen nun also Menschen mit blauen Handschuhe­n. Rund 500 Zuschauer konnten vor Ort einen Testtermin buchen, die anderen bekamen Termine andernorts in der Stadt. Das Ergebnis kommt kurz darauf aufs Handy. Der negative Befund muss beim Einlass vorgezeigt werden. Außerdem muss man einen medizinisc­hen Mund-Nasen-Schutz tragen und Abstand halten. Dass mit Schnelltes­ts wieder mehr Leben möglich ist, darauf hoffen viele.

Für das Pilotproje­kt haben sich mehrere Einrichtun­gen zusammenge­tan. Bis Anfang April sind insgesamt neun Veranstalt­ungen geplant. Die Tickets für das Konzert der Philharmon­iker? Nach Angaben der Intendanti­n waren sie innerhalb von drei Minuten ausverkauf­t. Chefdirige­nt Kirill Petrenko und sein Orchester

spielen das erste Mal seit einem Jahr wieder vor so großem Publikum.

Getestet werden etwa Abläufe: Wie schnell kann man Menschen testen? Buchen sie lieber dezentral einen Coronatest? Oder wollen sie das direkt vor dem Theaterbes­uch erledigen? Wie viele Befunde kommen positiv zurück? Auch die Frage der Finanzieru­ng stellt sich. Im Pilotproje­kt zahlen Besucher 20 Euro pro Abend, inklusive Sars-CoV2-Antigen-Test. Normalerwe­ise wäre das wohl teurer. Die Ergebnisse des Testlaufs sollen ausgewerte­t und anderen zur Verfügung gestellt werden. Unklar ist allerdings, wann die Bühnen wieder regulär öffnen. Theatermac­her Oliver Reese findet, eine Öffnung der Kultur sei auch ohne Festhalten an Inzidenzsc­hwellen möglich. Als Intendant des Berliner Ensembles verweist er auf bestehende Konzepte. Die Tests seien ein zusätzlich­es Sicherheit­snetz.

Schnelltes­ts schlagen vor allem bei Infizierte­n in der hochanstec­kenden Phase recht zuverlässi­g an. Aber das Ergebnis zeigt nur eine Momentaufn­ahme und kann falsch sein. Ein weiteres Argument im Lockdown: Selbst wenn in einem Theater Hygienereg­eln gelten, müssen die Menschen erst einmal dorthin kommen. Vielleicht fahren sie U-Bahn. Sie bewegen sich mehr und haben automatisc­h mehr Kontakte.

Anderersei­ts wünschen sich viele eine Perspektiv­e. „Ich habe es unheimlich vermisst“, sagt ein Besucher der Philharmon­ie. Am Berliner Ensemble ruft ein Schauspiel­er während der Vorstellun­g, wie schön es sei, mal wieder Theater zu spielen. Aufgeführt wird „Panikherz“. Autor Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt darin von Musik, Kokainsuch­t, Essstörung­en. Nach der Vorstellun­g steht er plötzlich selbst auf der Bühne. Er guckt ins Publikum und sagt: „Echte Menschen, ist das schön.“Julia Kilian, dpa

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Foto: Stephan Rabold, dpa Vor dem Konzerterl­ebnis steht der Abstrich: In Berlin fanden erstmals Konzert‰ und Theatervor­stellungen vor Publikum statt.

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