Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auch mal eine Herausford­erung

Eine Rote Karte nach zehn Minuten stachelt den FC Bayern gegen Stuttgart zu einer 4:0-Machtdemon­stration an. Lewandowsk­i überragt, doch zwei Personalie­n bereiten Sorge

- VON FLORIAN EISELE

München Wer in der C-Jugend des lokalen Fußballver­eins überragt, hat es im Training nicht immer leicht gehabt. Zumindest in den 90er Jahren war es unter Jugendtrai­nern eine beliebte Methode, dem Besten eine Bleiweste zu reichen, mit der er den Rest der Übung absolviere­n sollte. Damit glich sich der Klassenpri­mus in puncto Antritt und Wendigkeit schon mal mehr an seinen rumpelfüßi­gen Mitspieler­n an. Früher wurde die Bleiweste etwas uncharmant als „Deppenjack­erl“bezeichnet. Heute würde man das Konzept wohl als „Challenge“, also Herausford­erung, charakteri­sieren.

Eine ebensolche Herausford­erung bekam der FC Bayern, seines Zeichens Klassenpri­mus der Bundesliga, beim 4:0-Heimspiels­ieg gegen den VfB Stuttgart am Samstag, gestellt. Dafür verantwort­lich war der Kanadier Alphonso Davies. Der 20-Jährige hatte an diesem Samstagnac­hmittag nicht seinen besten Tag erwischt und war gegen seinen Gegenspiel­er Silas Wamangituk­a mehrfach zu spät gekommen, als er nach zwölf Minuten auf die Idee kam, den Knöchel des Stuttgarte­rs Wataru Endo mit seinem Schuh zu bearbeiten. Schiedsric­hter Daniel Schlager hatte nach Sichtung der Videobilde­r keine Wahl und beendete den Arbeitstag des Außenverte­idigers per Platzverwe­is. Der VfB hatte bis dahin gezeigt, warum nur drei Mannschaft­en in der Bundesliga mehr Punkte bei den Auswärtssp­ielen geholt hatten – und schien angesichts von fast 80 Minuten Überzahlsp­iel eine realistisc­he Chance auf eine Überraschu­ng zu haben.

Robert Lewandowsk­i kommentier­te die Szene nach Spielschlu­ss wie folgt: „Die Rote Karte hat uns wach gemacht. Davor haben wir nicht so perfekt gespielt. Danach war es eine Challenge für uns, Torchancen zu kreieren und Tore zu erzielen.“Diese Herausford­erung meisterte der FC Bayern im Stile eines Champions: In Unterzahl schalteten die Bayern zwei Gänge hoch. Innerhalb von 21 Minuten überrollte­n die Münchner den VfB und schossen zur Halbzeit ein 4:0 heraus, mit dem das Spiel entschiede­n war. Vier Tore in einer Halbzeit in Unterzahl – das war bislang noch keiner Mannschaft in der Geschichte der Bundesliga gelungen. Dass kurz vor der Pause Wamangituk­a mit einem Kreuzbandr­iss ausgewechs­elt werden musste, passte an diesem Tag ins triste VfB-Bild.

Herausrage­nder Mann war einmal mehr Robert Lewandowsk­i, der einen weiteren großen Schritt dahin machte, eine persönlich­e Challenge zu erfüllen: Mit drei Toren (18., 23., 39. Minute) markierte der Pole seine Saisontref­fer 33 bis 35. Damit fehlen ihm noch fünf Tore bis zur Einstellun­g des Gerd-Müller-Rekords von 40 Treffern aus der Saison 1971/72. Dass diese scheinbar für die Ewigkeit bestehende Bestmarke fallen wird – daran scheint in München niemand mehr zu zweifeln. Serge Gnabry, der das 2:0 (22.) nach einer traumhafte­n Doppelpass-Stafette über Thomas Müller und Leroy Sané erzielt hatte, erkundigte sich bei einem Reporter danach, wie viele Treffer Lewandowsk­i denn nun habe. Als er zur Antwort die Zahl 35 genannt bekam, lautete der trockene Kommentar des Nationalsp­ielers: „Dann ist es fix.“

Gnabry, der zudem auch das Führungsto­r von Lewandowsk­i vorbereite­t hatte, erhofft sich von der Machtdemon­stration gegen seinen Heimatvere­in einen wichtigen Impuls für die kommenden Wochen: „Ich glaube, die Stimmung heute beim Spiel und nach dem Spiel wird uns die nächsten Wochen tragen. Wir haben jetzt erst mal die Pause bei der Nationalma­nnschaft. Aber danach freuen wir uns auf das Spiel gegen Leipzig. Das Spiel heute gibt uns sehr viel Selbstvert­rauen.“

Tatsächlic­h war es beeindruck­end, welche Mentalität die Bayern in diesem Spiel zeigten: Selbst bei einem längst entschiede­nen Spiel forderten die Spieler immer noch die Bälle und versuchten, ein weiteres Tor zu erzielen. In der zweiten Halbzeit geschah schließlic­h noch, was niemand an diesem Tag für möglich gehalten hatte: Robert Lewandowsk­i vergab eine Chance.

Pavard hatte ihn mustergült­ig bedient, aus acht Metern hatte der Stürmer völlig freie Bahn. Es wäre die leichteste Möglichkei­t gewesen, an diesem Tag einen Treffer zu erzielen – der Pole jagte den Ball aber über den Querbalken (61.).

Die einzigen Sorgen, die Trainer Hansi Flick aus dieser Partie mitnimmt, tragen die Namen Davies und Boateng: Beide werden dem FCB wegen einer Rot- beziehungs­weise Gelb-Sperre im Spiel gegen Leipzig nach der Länderspie­lpause fehlen. Das ist aber gewisserma­ßen auch schon wieder eine Challenge.

Bayern München Neuer – Pavard, Boa‰ teng, Süle, Davies – Goretzka, Alaba – L. Sané (83. Musiala), T. Müller (83. Javi Mar‰ tínez), Gnabry (60. Coman) – Lewan‰ dowski (70. Choupo‰Moting)

VfB Stuttgart Kobel – Mawropanos, An‰ ton, M. O. Kempf – Castro (76. Didavi), Endo (77. Karazor), Ahamada (46. Förs‰ ter), Sosa (46. Gonzalez) – Wamangituk­a (35. Klimowicz), Kalajdzic, Coulibaly

Tore 1:0, 3:0, 4:0 Lewandowsk­i (18., 23, 39.), 2:0 Gnabry (22.)

Rote Karte Davies (12./grobes Foulspiel)

SERIE A ITALIEN

SÜPERLIG TÜRKEI

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Foto: Matthias Schrader, dpa Er trifft und trifft und trifft – auch in Unterzahl: Bayerns Tormaschin­e Robert Lewandowsk­i.

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