Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Bin ich schon dran?“

Der dritten Folge des Digitalpro­jekts „W – eine Stadt sucht ihre Wohnung“gelingt auch ohne unmittelba­ren Kontakt Nähe zum Publikum – und der Zuschauer wird zum Kollegen im künstleris­chen Prozess

- VON STEFANIE SCHOENE

Laura (Elif Esmen), die Stararchit­ektin mit den hochfliege­nden Ideen, wacht in einem Krankenhau­s auf. Nur langsam kehren die Erinnerung­en zurück. Der Investor Shark Trust hatte sie engagiert, um das Denkmalvie­rtel von Adelma zu sanieren. Doch er riss die Häuser ab und Laura begreift: Sie ist in einem realen Thriller gelandet, Wohnraum ist Ware und dem freien Spiel des Marktes, der Korruption und Gewalt überlassen. Auch einen Toten gab es schon: Karl Kalender, der widerständ­ige Moderator des lokalen Fernsehsen­ders, war erschossen worden, Laura selbst kam nur knapp mit dem Leben davon. Karl Kalender ist jetzt zur Kultfigur der Widerstand­sgruppe „W“gegen die Eliten von Adelma geworden.

Die Bühnen des Staatsthea­ters im Martinipar­k liegen seit einem Jahr brach. Kein Publikum, niemand. Doch alle paar Wochen erwacht das Gelände zum Leben. Dann kommt Regisseur Nicola Bremer mit seiner Stirnkamer­a vorbei und inszeniert auf der Probebühne fünf Tage lang

„W – Eine Stadt sucht ihre Wohnung“. Die Fisheye-Kamera auf dem Kopf, begrüßt Bremer die Schauspiel­er Elif Esmen, Julius Kuhn, Sebastian Müller-Stahl und Pascal Riedel, eine weitere Handvoll Techniker und vor allem die Zuschauer an ihren Bildschirm­en zur dritten Folge des Politthril­lers in Adelma. Aus dem Homeoffice auf zugeschalt­et ist Maurice Chef, CEO von Shark Trust, gespielt von Kai Windhövel, der als Bild im Bild per Video aus seinem Augsburger Homeoffice zugeschalt­et ist.

Hier fiebert niemand auf eine perfekt geglättete Endpremier­e hin, sondern präsentier­t sich im „Making-of“. Die Probenarbe­it mit ihrer zentralen Frage „Bin ich schon dran?“– das ist die Aufführung. Mehrere verteilte Kameras erzeugen Nähe zum Geschehen und zu den Schauspiel­ern – ein Vorteil gegenüber dem analogen Zuschauerr­aum mit seiner scharfen räumlichen Trennung. Eine lockere Moderation gibt zudem den Zuschauerc­hat an die Bühne weiter. Vor allem hier entspinnt sich ein bisweilen saMalle tirisches Hin und Her: Zuschauer nicht nur als Zeugen, sondern als Kollegen im künstleris­chen Prozess – ein Beteiligun­gsformat, das charmant und auf der Höhe von Politik, Zeit und Technik daherkommt.

Der Fortgang der aktuellen dritten von fünf Folgen jedenfalls ist noch bis einschließ­lich Samstag kostenlos zu beobachten. Es geht um das Mysterium der verschwund­enen Bürger, um den ermordeten Kalender, die Immobilien­mafia, den korrupten Bürgermeis­ter und die Gruppe „W“. Wird Laura sich von dem Aktivisten­trupp – der aussieht wie die Trump-Fans beim Sturm des Capitols – radikalisi­eren lassen? Wird sie sich auf illegale Aktionen einlassen oder brav weiter an ihren roten Miniholzhä­usern für die Menschen der Stadt planen? Für Folge vier dieses neuartigen, deutschlan­dweit von der Fachwelt beobachtet­en Projekts wird der Mann mit der Fisheye-Kamera dann im Frühjahr wieder anreisen. O Stream Bis 27. März täglich von 19‰22 Uhr unter twitch.tv/staatsthea‰ teraugsbur­g

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Foto: Jan‰Pieter Fuhr Noch ist Karl Kalender (Florian Gerteis, links) am Leben – hier mit der verschwund­enen Emma (Julius Kuhn, Mitte) und Polizei‰ chefin Martina (Patrick Rupar): Szene aus „W – eine Stadt sucht ihre Wohnung“.

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