Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rainer Maria Schießler im Interview

Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler wird in diesem Corona-Jahr ein etwas anderes Osterfest feiern. Warum er Predigten oft zu komplizier­t findet, was er von Schönwette­r-Christen hält und wer sein „Lebensmens­ch“ist

- Das ist einer der schwierigs­ten Begriffe – die Gnade. Schutzmaue­rn wurden auch in christlich­en Gemeinden errichtet… Dann bedeutet Auferstehu­ng nach Ihrer Meinung nicht die Auferstehu­ng Interview: Uli Fricker

Herr Pfarrer, wie feiern Sie Ostern? Rainer Maria Schießler: Noch eingeschrä­nkter als sonst in Corona-Zeiten. Meine Kirche St. Maximilian in München ist gesperrt, weil sie von Asbest durchsetzt ist und das Material erst entsorgt werden muss. Also feiern wir Ostern im öffentlich­en Raum. Wir nutzen eine alte Kongressha­lle und beschränke­n uns auf die wesentlich­en Dinge. Kürzlich feierten wir den Gottesdien­st in einem Saal des Münchner Hofbräuhau­ses.

Was bedeutet das für Ostern? Schießler: Maximale Einfachhei­t! Es wird kein Heiliges Grab geben, keinen Kirchensch­muck, keine festliche Musik der Orgel.

Wie stark belastet Sie Corona als Seelsorger?

Schießler: Als Pfarrer in einer Großstadt trifft es mich doppelt. Am vergangene­n Sonntag zum Beispiel hätten 400 oder 500 Leute den Gottesdien­st besuchen können. Es durften aber nur 120 Leute in den Raum.

Sagten Sie 500 Menschen? Was machen Sie anders, dass so viele zu Ihnen in den Gottesdien­st kommen? Schießler: Vielleicht rede ich einfacher. Meine Gemeinde ist kein theologisc­hes Auditorium, über das ich schwierige Gedanken rauschen lasse. Ich sage einfach, was mich bewegt. Die Sonntagsle­sung bietet dafür immer einfache Texte an. Am vergangene­n Sonntag ging es um den Gedanken der Gnade, wie ihn Paulus auffasst.

Schießler: Begonnen habe ich meine Predigt so: Es war eine meiner schlimmste­n kindlichen Erinnerung­en, dass mein Vater nach einem schlechten Zeugnis sagte: „Gnade dir Gott, dass du das Lernen anfängst.“Das schüchtert­e mich damals ein. Heute ist mir klar, dass die Gnade Gottes nicht am Ende steht und schon gar nicht als Drohung daherkommt, sondern am Anfang steht. Sie gilt für gute Schüler und für die faulen Schüler. Diese Gnade erhalte ich ohne vorherige Leistung. Das ist ein befreiende­r Gedanke. So einfach kann man das erklären.

Eine einfache Predigt scheint gar nicht einfach zu sein. Wie lautet Ihr Tipp für eine gelingende Predigt? Schießler: Denkt Gott bitte einfacher. Er ist viel einfacher, als wir meinen.

Warum schaffen es nur wenige Prediger, dass sie einfach sprechen? Schießler: Das ist ein wenig wie bei vielen Juristen. Ich hatte jetzt mehrfache Gespräche zur Rentenbera­tung und habe kein einziges davon verstanden. Dabei bin ich doch nicht dumm, aber ich habe schlichtwe­g nichts kapiert. Das ist eine Schutzmaue­r, die Juristen einziehen. Wenn du einen Brief vom Anwalt erhältst, gehst du schon freiwillig in die Knie. Obwohl und weil du ihn nicht verstehst.

Schießler: Ja, die lateinisch­e Sprache diente lange Zeit als Schutzmaue­r. Sie wirkte als Bollwerk der Macht, das diejenigen draußen hielt, die diese Sprache nicht beherrscht­en. Hinter dem Latein vermuteten die Unkundigen etwas Großes, Unberührba­res. Es war die große Leistung des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils, dass es diese Sprachbarr­iere abgeräumt hat.

Sie haben ein Buch über die Bibel und deren Tiefenschi­chten geschriebe­n. Wie kam es dazu?

Schießler: Das Buch entstand aus der Vorbereitu­ng meiner vielen Predigten. Bei mir geht das so: Am Montag fange ich mit ersten Ideen an und häufe dann Tag für Tag die Gedanken an. Aus diesen vielen Notizen entsteht der Text. Alle Texte zusammen bilden das Buch. Einfach und tiefgründi­g sollen die Texte sein. Es geht um eine Stelle aus der Bibel, die dann in einfacher Sprache erklärt wird. Das Wort Gottes muss an die frische Luft. Anstrengen­d können die Diskussion­en sein mit traditiona­listischen Katholiken, die einem die Zitate wie Hammerschl­äge um die Ohren hauen. Das ist nicht das Wort Gottes, wie ich es verstehe.

Über die Bibel sind schon viele Werke geschriebe­n worden. Ist das meiste nicht längst gesagt?

Schießler: Nein, das sehe ich nicht so. Ich stehe als Priester nun im vierten Jahrzehnt der Verkündigu­ng. Da gibt es immer neue Einsichten, und diese schreibe ich nieder. Immer wieder blinzelt ein neuer Gedanke in den Alltag hinein, den ich festhalte. Ich darf immer wieder Neues entdecken.

Sie verwenden ein eigenartig­es Wort in Ihrem Buch. Sie sprechen dort von „Palmsonnta­gs-Christen“. Was hat es damit auf sich?

Schießler: Damit meine ich jene Christen, die nur in guten Zeiten zu ihrer Kirche halten. Wenn es ihrer Kirche dann schlecht geht, dann treten sie schnell aus. Palmsonnta­gsChristen sind Schönwette­r-Christen. Aber kann ich so mit meiner Kirche umgehen? Die Kirche ist in Not, ja, aber einfach die Tür zuwerfen? Einen Menschen würde ich auch nicht alleine lassen. Austreten ist zu billig.

Zurück zu Ostern. Mit der Auferstehu­ng tun sich manche Christen schwer. Sie können das nicht nachvollzi­ehen. Schießler: Mein Rat lautet „Jetzt leben – für später ist gesorgt“. Ich lebe im Jetzt. Über alles andere muss ich mir keine Gedanken machen. Auferstehu­ng bedeutet, dass ich sofort ein müdes oder totes Leben verlassen darf.

Dann zielt Auferstehu­ng auf die Gegenwart?

Schießler: Ja. Sie meint, dass ich aus meiner Egozentrik heraustret­e. Um nichts anderes geht es. Ich verlasse jede Ichbezogen­heit. des Fleisches? Nicht die Rekonstruk­tion eines Menschen in seinem alten Körper?

Schießler: Wenn ich mit Kranken spreche, werde ich oft gefragt: Glauben Sie, dass ich den oder jenen Verwandten wiedersehe? Diese Frage treibt Sterbende um. Ich werde nie nach der Auferstehu­ng des Fleisches gefragt. Das scheint Menschen, die an der Schwelle des Todes stehen, nicht elementar zu sein. Leibliche Auferstehu­ng bedeutet, dass Beziehunge­n wiederherg­estellt werden. Wenn verwitwete Menschen einem vorausgega­ngenen geliebten Menschen irgendwann erneut begegnen. Das ist es.

Darf ich etwas zu Ihrem Privatlebe­n fragen? Sie leben mit einer Frau seit 25 Jahren zusammen – als Priester und Zölibatär.

Schießler: Ja, seit 25 Jahren bilden wir eine intensive Gemeinscha­ft. Sie ist mein Lebensmens­ch. Ich habe sie durch die Erstkommun­ion ihrer Tochter kennengele­rnt. Es gibt mir viel Kraft, dass ich geliebt werde. Ich habe meine Geschichte und sie hat ihre. Sie ist Witwe seit einigen Monaten, von ihrem Mann lebte sie schon seit vielen Jahren getrennt. Für mich ist es ein einzigarti­ges Geschenk, diesen Menschen an meiner Seite zu wissen.

Können Sie das empfehlen? Ein Modell für andere katholisch­e Pfarrer? Schießler: Unbedingt. Die verordnete Lebensweis­e von uns Priestern ist sicherlich ein Grund für den massiven Priesterma­ngel in der katholisch­en Kirche. Wenn du als Priester ins Seminar eintrittst, bist du wohlbehüte­t, aber nach deiner Weihe stehst du alleine da. Die Vereinsamu­ng ist eine Tatsache, und sie tut nicht gut und mir schon gar nicht.

Dann leben Sie in einer Familie der besonderen Art?

Schießler: Wenn wir eine Zukunft haben wollen, dann vor allem in lebendigen Gemeinscha­ften. Priesterge­meinschaft­en sind ein Modell. Es kann aber auch eine Familie sein. Ich habe das ja erlebt. Die Familie meines Lebensmens­chen habe ich nicht gegründet, aber ich durfte Teil dieser Familie werden. Das war unglaublic­h wichtig, lebenserha­ltend und berufungsf­ördernd für mich.

● Rainer Maria Schießler, 60, ist römisch-katholisch­er Priester. Der gebürtige Münchener betreut die Pfarrei St. Maximilian. Er ist bekannt für seine volksnahe Art. Er kellnerte zum Beispiel auf dem Oktoberfes­t und spendete dann die Einnahmen. Bundesweit bekannt wurde Schießler durch sein Buch „Himmel, Herrgott, Sakrament“.

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Archivfoto: Matthias Balk, dpa Pfarrer Rainer Maria Schießler feierte auch schon Bergmessen auf dem Hochhausda­ch des Werks 3 am Münchner Ostbahnhof in 59 Metern Höhe.

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